Mario Dobovisek: Ja, es gibt sie noch, die Wahlsiege von Sozialdemokraten in Europa, wie gestern bei den Parlamentswahlen in Finnland. Doch ob es nach 15 Jahren sozialdemokratischer Abstinenz auch für eine Regierungsbildung reicht, ist offen. Antti Rinne will es probieren, muss dafür aber neben linken Parteien auch mindestens einen konservativen Partner mit ins Boot holen.
Ein knapper Wahlausgang in Finnland mit den Sozialdemokraten vorne und den Rechtspopulisten direkt dahinter. Darüber möchte ich sprechen mit Henri Vogt, Politikwissenschaftler an der Universität Turku in Finnland. Guten Morgen, Herr Vogt!
Henri Vogt: Guten Morgen.
Dobovisek: Überrascht Sie das sehr knappe Ergebnis in Finnland?
Vogt: Schon ein bisschen, obwohl man konnte das in den letzten Untersuchungen schon sehen, dass etwas Ähnliches wie vor acht Jahren jetzt diesmal auch passieren könnte.
Dobovisek: Die Sozialdemokraten erklären sich ja zum Wahlsieger, weil sie vorne liegen. Sind sie es denn tatsächlich, Wahlsieger?
Vogt: Ja, klar. Das sind sie trotz allem. Sie haben wohl sechs neue Abgeordnete gekriegt oder Plätze gekriegt. Und vor allem werden die wahrscheinlich die Stelle des Staatsministers jetzt kriegen. Das ist natürlich die Hauptsache für die Partei.
"Die Nation ist wahrscheinlich heterogener geworden"
Dobovisek: Dafür müssen sie natürlich erst mal koalieren. Mein Kollege Carsten Schmiester hat gerade berichtet, wie schwierig das werden könnte. Wird es den Sozialdemokraten gelingen, eine Regierung zu bilden?
Vogt: Das glaube ich schon. Finnland hat ja eine lange Tradition von mehr oder weniger unkonventionellen Regierungen. Das heißt, vor etwa zehn Jahren hatten wir eine Regierung mit sechs verschiedenen Parteien, von der Sammlungspartei, den Konservativen bis zu der finnischen Linken, die als Partei ganz unterschiedlich ist im Vergleich zu der Linken in Deutschland.
Dobovisek: Trotzdem ist es ungewöhnlich, dass es keine Partei gibt, die mehr als 20 Prozent hat.
Vogt: Ja, das ist natürlich extra ordinär diesmal, dass man eine Gruppe von sogar fünf relativ großen Parteien im Land hat. Ich weiß jetzt nicht, wie man das eigentlich interpretieren sollte. Dafür brauche ich vielleicht noch Zeit. Das bedeutet auch, dass die Nation heterogener wahrscheinlich geworden ist.
Dobovisek: Heterogener, sagen Sie. Könnte man vielleicht auch sagen gespalten?
Vogt: Ich würde vorsichtig eigentlich damit sein. Gespalten? Die Unterstützer von den Finnen fühlen sich bestimmt teilweise gespalten oder irgendwie nicht in einer guten Position in der Gesellschaft zu sein. Aber ansonsten ist das schon schwierig und auch "Die Finnen" haben jetzt viele Unterstützer, die im Leben es ganz gut haben.
Dobovisek: Wie erklären Sie sich das? Wie erklären Sie sich den Erfolg, den unsagbar guten Erfolg der Rechtspopulisten, der Partei "Die Finnen", die früher "Die wahren Finnen" hießen? Sie haben ja ihre Stimmen verdoppelt im Gegensatz zum letzten Mal.
Vogt: Die hatten lange letztes Jahr in den Untersuchungen eine Unterstützung von acht Prozent. Während dieses Jahres haben sie die Unterstützung fast verdoppelt. Es gibt eine Reihe von Ursachen dafür. Erstens: Im Januar wurde es klar, dass in der Region von Oulu eine Reihe von Sexualstraftaten gemacht wurden gegen minderjährige Frauen von Migranten-Männern. Deswegen ist teilweise diese Skepsis gegenüber Migranten wieder ein Thema in der Wahl geworden.
Dann hat man vor einem Monat ungefähr große Probleme in privaten Altersheimen, in Altersheimen von privaten Trägern rapportiert, dass die Altersversorgung nicht in einer guten Verfassung ist, und damit konnten die Finnen auch die Regierung stark kritisieren.
Dann hat die Regierung lange eine Neustrukturierung des Sozial- und Gesundheitswesens versucht durchzuführen, aber das ist vor ein paar Wochen gescheitert, und damit wurde die ganze Politik der Regierung heftig kritisiert.
"Die anderen Parteien sind vielleicht irgendwie zu negativ gewesen"
Dobovisek: Wie stark spielt die Partei "Die Finnen" mit Ängsten der Finnen?
Vogt: Das ist sozusagen die Sicherheitsfrage. Das hat schon mit Ängsten zu tun. Die Finnen haben auch von Klimahysterie gesprochen. Das heißt, alle anderen Parteien waren sehr klimafreundlich, mehr oder weniger grün, aber "Die Finnen" haben irgendwie versucht zu sagen, man darf weiter Fleisch essen und Auto fahren und so. In den Klimafragen war die Gesellschaft gespalten, "Die Finnen" auf einer Seite und die anderen auf der anderen Seite.
Dobovisek: Weil die anderen Parteien nicht richtig oder nicht gut genug mit diesen Ängsten umgehen?
Vogt: Ja, ich finde, die sind vielleicht irgendwie zu negativ gewesen. Man hätte viel stärker sagen müssen, dass es immer noch sehr gut in Finnland geht. Das ist nicht nur ein Glück, das wir in Finnland nach dem Happyness-Index in der Krise haben.
Dobovisek: Die glücklichsten Menschen auf der Welt nach diesem Index.
Vogt: Ja. Es geht den meisten immer noch ziemlich gut. Aber es gibt wie in den meisten europäischen Gesellschaften zurzeit einen Teil der Bevölkerung, vielleicht zehn bis 20 Prozent der Probleme.
Dobovisek: Sie sind ja auch oft in Deutschland, Herr Vogt, beobachten hier auch die AfD, die Populisten in Europa insgesamt. Was lernen wir aus dem Wahlergebnis in Finnland für Deutschland, für Europa insgesamt?
Vogt: Ich würde sagen, dass man vorsichtig bleiben muss, trotz allem. Erstens. Und zweitens muss man versuchen, die Gleichheit in der Gesellschaft weiter auszubauen und zu entwickeln.
Dobovisek: Was meinen Sie damit?
Vogt: Hierarchien zwischen Menschen wegtun, natürlich Arbeitsplätze sichern. Ich kann schon verstehen, dass einige Leute denken, dass es brutal ist im Fall Finnland, dass man mit Altersheimen große Gewinne, kapitalistische Gewinne machen kann.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.