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Wahl in Frankreich
Ökonom: Macron möchte "das Problemlösungseuropa"

Für den künftigen französischen Präsident Emmanuel Macron sei Europa nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung, sagte der Ökonom Henrik Enderlein im DLF. In Frankreich sei das wirklich wie "gegen den Strom schwimmen". Den Fokus setze er vor allem um die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit und Förderung des Wachstums.

Henrik Enderlein im Gespräch mit Sina Fröhndrich |
    Henrik Enderlein, Regierungsberater und Professor für politische Ökonomie an der Herti School of Governance in Berlin, aufgenommen am 19.02.2015 während der ZDF-Talksendung "Maybrit Illner" zum Thema: "Athen gegen alle - scheitert der Euro?" im ZDF-Hauptstadtstudio im Berliner Zollernhof Unter den Linden.
    Die letzten Jahre des deutsch-französischen Verhältnisses würden sich durch ein stillschweigendes Nebeneinander charakterisieren, sagte Henrik Enderlein. (dpa / picture alliance / Karlheinz Schindler)
    Sina Fröhndrich: Die Börsen nicht so wirklich in Feierlaune nach dem Macron-Sieg, weil man den Erfolg auch schon eingepreist hat. Politisch wird der Wahlsieg überwiegend begrüßt, und auch deutsche Wirtschaftsvertreter freuen sich auf die Zusammenarbeit mit Macron, dem großen Europäer, der mehr Europa will, eine vertiefte Zusammenarbeit der Euroländer – wir haben es gerade schon angesprochen. Wie realistisch aber ist dieses Szenario? Darüber habe ich mich dem Ökonomen Henrik Enderlein gesprochen. Frage an ihn: Ist Macron wirklich der große Europäer, der die Eurozone vor dem Aus bewahren kann?
    Henrik Enderlein: Er ist ein Europäer, der das Problemlösungseuropa möchte. Er weiß, dafür braucht man auch ein paar Symbole, aber er ist jemand, der weiß, man muss vor allem Jugendarbeitslosigkeit bekämpfen, Investitionen nach Europa zurücktragen und das Wachstum, und da ist Europa dann am Ende auch sehr stark Mittel zum Zweck.
    Fröhndrich: Und steht Macron jetzt tatsächlich für einen Neustart der Union?
    Enderlein: Ich glaube schon. Es ist schon überraschend, wenn man zurückschaut, dass ein Kandidat im souveränistischen Frankreich nicht versucht, Europa zu verstecken, sondern der nach draußen geht und sagt, Europa ist Teil der Antwort. Europa ist nicht Teil des Problems, Europa ist Teil der Lösung. Das ist in Frankreich wirklich gegen den Strom schwimmen, aber er hat sich damit durchgesetzt, und das ist ein ganz wichtiges Zeichen.
    "Das Parteiensystem in Frankreich ist dabei, sich neu zu ordnen"
    Fröhndrich: Aber wenn wir jetzt mal in die nächsten Monate schauen – Macron hat noch keine Mehrheit im Parlament, er hat ja im Prinzip noch nicht mal eine eigene Partei, die da hinter ihm steht, das ist noch eine Bewegung. Wie wahrscheinlich ist es denn, dass er innenpolitisch tatsächlich Mehrheiten für seinen proeuropäischen Kurs in Zukunft organisieren kann? Oder besteht dann vielleicht die Gefahr, dass eine wirtschaftspolitische Aufgabe oder Vorhaben, Reformen da vielleicht auch mal geopfert werden?
    Enderlein: Das Parteiensystem in Frankreich ist dabei, sich neu zu ordnen. Es kann gut sein, dass En Marche, seine Bewegung, bei den Parlamentswahlen mehrere Hundert Sitze bekommt – in Frankreich gibt es 577 Parlamentssitze –, vielleicht reicht das nicht für eine absolute Mehrheit, aber ich glaube, er wird sehr, sehr stark sein. Und dann wird er um diese Mehrheit – seine eigene oder um seine eigene Partei herum – durch die Unterstützung von moderaten Linken, moderaten Rechten versuchen, tatsächlich eine präsidiale Mehrheit aufzubauen, die sein Programm trägt. Aber klar ist, ein leichter Weg wird es nicht, nach der Wahl ist vor der Wahl. Er muss jetzt erst noch neue politische Kräfte an sich ziehen, um sein Reformprogramm auch tatsächlich umsetzen zu können.
    Fröhndrich: Wenn wir jetzt noch mal auf sein Reformvorhaben in Richtung EU, in Richtung Eurozone schauen, welche Rolle kann denn Deutschland dabei spielen? Man hat jetzt ein bisschen das Gefühl, dass davon gesprochen wird, dass die deutsch-französische Partnerschaft gestärkt ist, aber wenn man dann eine Ebene tiefer schaut, dann sieht man schon, Deutschland und Frankreich liegen da ja doch bei einigen Positionen – Stichwort Exportüberschuss, aber auch Sparpolitik – ja eher weit auseinander.
    Enderlein: Die letzten Jahre des deutsch-französischen Verhältnisses charakterisieren sich durch ein stillschweigendes Nebeneinander. Frankreich hat Deutschland nur selten offen für das kritisiert, das Frankreich nicht schmeckt, aber Deutschland hat umgekehrt auch Frankreich nur sehr selten für den Mangel an Strukturreformen oder die Staatsfinanzen wirklich kritisiert. Was ich mir wünsche mit einem Präsidenten Macron, ist, dass die Streitpunkte jetzt offen auf den Tisch gelegt werden und man anfangen kann, darüber zu sprechen, wie man sich einander annähert. Konkret heißt das, dass Emmanuel Macron sicherlich für Frankreich einiges tun wird, das Deutschland gefallen wird, das heißt, er wird Strukturreformen in die Hand nehmen, er wird den Arbeitsmarkt vor allem reformieren. Das ist alles etwas, wo man sagen kann, aha, Frankreich liefert. Aber Macron wird gleichzeitig auf Deutschland schauen und sagen, auch Deutschland muss liefern. Da geht es um Investitionen …
    Fröhndrich: Inwiefern?
    Enderlein: … da geht es um die Nachfrage in der Wirtschaft, die dann mittelfristig viel mit dem Exportüberschuss zu tun hat, dass die Löhne weiter steigen, dass auch die schwarze Null, nicht die Schuldenbremse, aber die schwarze Null ruhig auch mal auf den Prüfstand gestellt werden kann. Das sind Punkte, wo er Deutschland mit offenem Visier sehr klar sagen wird, was seine Vorstellungen sind. Und dann gibt es natürlich noch die europäischen Elemente: ein Eurozonenhaushalt, eine auch stärker legitimierte Handlungsfähigkeit der Eurogruppe. Das sind Punkte, wo er klare Forderungen an Deutschland stellen wird, und das muss man dann natürlich zwischen dem deutschen Bundeskanzleramt und dem französischen Präsidialamt erst mal aushandeln und dann politisch entscheiden.
    "Macron hat eine sehr schwierige wirtschaftspolitische Aufgabe vor sich"
    Fröhndrich: Sie haben jetzt die schwarze Null angesprochen. Außenminister Sigmar Gabriel, früherer Wirtschaftsminister, hat gestern Abend direkt gefordert, dass man Emmanuel Macron jetzt unterstützen solle bei all seinen wirtschaftspolitischen, innenpolitischen Vorhaben, und zwar, indem man beispielsweise nicht so genau beim Defizit hinschaut und Frankreich da nicht so sehr auf die Finger klopft. Wie sehen Sie das?
    Enderlein: Macron hat eine sehr schwierige wirtschaftspolitische Aufgabe vor sich. Er muss den Schuldenstand reduzieren, er muss investieren, da ist es immer einfacher, wenn man einen gewissen finanziellen Spielraum hat. Wir erinnern uns, Deutschland hat die Kriterien des Stabilitäts- und Wachstumspaktes in dem Jahr gebrochen, als die Agenda durchgesetzt wurde. Der Bundeskanzler Schröder hat damals gesagt, wenn man diese 30 Milliarden auch noch hätte einsparen müssen, dann wäre auch die Agenda nicht durchgekommen. Insofern hab ich viel Sympathie für den Ansatz zu sagen: Wer harte Reformen durchführt, der soll auch mehr finanziellen Spielraum haben, aber grundsätzlich würde ich mich gern verabschieden von dieser holzschnittartigen Diskussion, wo man fixiert ist auf eine Zahl, diese Defizitzahl. Es geht ja nicht nur ums Defizit, es geht auch darum, wie das Geld ausgegeben wird. Wir sollten viel stärker in die Inhalte der Ausgaben schauen als nur auf diese magische Defizitzahl, die, glaube ich, auch außerhalb von Brüssel sehr, sehr wenige Menschen interessiert.
    Fröhndrich: Mal sehen, wie Finanzminister Wolfgang Schäuble diesen Vorschlag bewertet.
    "Augenmaß und eine politische Einschätzung der Gesamtsituation sind enorm wichtig"
    Enderlein: Darf ich dazu einen Satz sagen?
    Fröhndrich: Ja, gerne.
    Enderlein: Natürlich muss man in Europa die Regeln einhalten. Ich bin auch beim Bundesfinanzminister, dass er als deutscher Bundesfinanzminister auf die Einhaltung dieser Regeln pocht. Aber Augenmaß und eine politische Einschätzung der Gesamtsituation sind enorm wichtig. Dass das der Bundesfinanzminister teilt, wissen wir übrigens: Deutschland hat sich nicht am Ende für ein Verfahren gegen Portugal und Spanien ausgesprochen, auch wenn das der Vertrag eigentlich vorgesehen hätte. Das heißt, da gibt es manchmal auch ein pragmatischeres Vorgehen im Bundesfinanzministerium, als das vielleicht in den Überschriften oder Schlagzeilen den Anschein macht.
    "Ein Eurozonenhaushalt ist in der mittleren Frist absolut nötig"
    Fröhndrich: Und glauben Sie, dass es dieses pragmatischere Vorgehen vielleicht auch in Bezug auf Pläne gibt, die Herr Macron ja auch im Wahlkampf immer wieder genannt hat, nämlich einen gemeinsamen Eurofinanzminister, auch ein gemeinsames Budget, das durch eine Steuer zustande kommt? Glauben Sie, dass das in Deutschland tatsächlich auf Gegenliebe stoßen wird?
    Enderlein: Ein Eurozonenhaushalt ist in der mittleren Frist absolut nötig, damit der Euro funktionieren kann. Dass ein solcher Haushalt dann auch gekoppelt sein muss mit einer stärkeren Konzentration von politischer Legitimation und damit mit einer Personifizierung, ist doch völlig offensichtlich. Wenn man schon ein starkes Europa im Bereich der Währungen über die Haushaltsebene aufbauen möchte, dann wäre es doch ein schönes Symbol, einen europäischen Finanzminister zu haben. Das ist übrigens ein Vorschlag, der auch mit Vorschlägen einhergeht, die der Bundesfinanzminister formuliert hat. Wolfgang Schäuble hat einen europäischen Finanzminister genauso gefordert wie Emmanuel Macron. Insofern gibt es da auf jeden Fall schon mal Gesprächsgrundlagen.
    Fröhndrich: Sagt der Wirtschaftswissenschaftler Henrik Enderlein.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.