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Wahl-Isländer Dieter Roth wiederentdeckt

Das Reykjavik Arts Festival ist eines der ältesten Kulturfestivals in Nordeuropa. Diese Mal im Mittelpunkt: Die Bildende Kunst. Dabei ist die Geschichte der isländischen Malerei nur knapp hundert Jahre alt. Erst als der deutsch-schweizerische Künstler Dieter Roth in den fünfziger Jahren nach Island zog, brachte er die Konzeptkunst mit. Ein Jahr nach seinem Tod würdigt das Festival Roths Kunst in drei Ausstellungen.

Von Susanne Lettenbauer |
    "Es hätte keinen besseren Zeitpunkt geben können", sagt Sigurdur Gudmundsson und er scheint recht zu behalten: Damals in den 60er Jahren, als er und Dieter Roth als suspekte Undergroundkünstler Reykjavik durchstreiften, war es utopisch zu glauben, Dieter Roth, der zugereiste deutsch-schweizer Künstler, der Kleidung mit Schokolade und Leim begoss und einen Rahmen darum baute, könnte nach 40 Jahren in die wichtigsten Museen der isländischen Kunst einziehen. Im Vorgängerbau des jetzt knapp vier Jahre jungen Kunsthauses hingen damals nur minimalistische Landschaftsgemälde einer noch jungen bildenden Kunst Islands.

    Nun ist es passiert und vom Staatspräsidenten bis zur Chefetage des bislang wohlsituierten gemächlichen Artfestivals wird der Wahlisländer Roth wiederentdeckt. Seine gebackenen Plastiken, die Siebdrucke, seine Gewürzbilder und die "Zeitschrift für Alles" aus den 70ern – Sohn Björn Roth und die Dieter-Roth-Academy präsentieren in den weitläufigen Räumen der National Galerie, in Reykjaviks Kunst Museum und in der einzigen professionellen Galerie Islands die Ausstellung unter dem Namen "The Train" - ein langer Zug, auf den man aufspringen kann, während andere ihn verlassen. Und der Trend geht eher hin zum Absprung:

    Genau sieben Jahre nach dem Tod Dieter Roths in Basel setzen sich in Reykjavik 33 nicht nur isländische Künstler sehr kritisch mit den vielfältigen Arbeitsweisen Roths auseinander und - lassen ihn hinter sich. Die "Material time, work time, life time" des Workoholics Roth ist die Schule, durch die Islands Kunst gehen musste, um in der selbstbewussten Vielfalt zu landen, die sogar die Kuratorin der Gruppenausstellung, Jessica Morgan von der Londoner Tate Modern, erstaunt:

    " Was mich am meisten überrascht hat, war die grosse Zahl von Künstlern hier. Ich habe ja eine Gruppenausstellung von 33 Künstlern kuratiert und mehr als die Hälfte von ihnen kommen von Island. Es war überraschend einfach, passende Künstler zu finden. Ihr Arbeitsstil ist erstaunlich ausdifferenziert. Sie kennen sich hervorragend aus, weil sie viel reisen. "

    Zwar studieren einige hundert Studenten an der hauptstädtischen Kunstakademie, die meisten der ausstellenden Künstler zwischen 25 und 60 Jahren waren für eine Weile wenigstens in Berlin, in London oder New York, z.B. Olafur Eliasson.

    Auch wenn der 38jährige als das Aushängeschild isländischer Kunst gilt, wirkt seine ausgestellte Jokla Serie - Landschaftsphotos rund um Islands grössten Gletscher – auf dem diesjährigen Festival routiniert. Im Gegensatz zu dem 46jährigen Finnbogi Petursson, der in den ehemaligen Wassertanks Reykjaviks mit faszinierend verwirrenden Echo- und Schallgeräuschen arbeitet. Oder Kristian Gudmundsson, der in dem neuen Museum eines Nachbarortes von Reykjavik an die Minimal Art erinnert:

    " Das interessante an dieser Ausstellung ist, dass die meisten isländischen Künstler, die mit Dieter Roth, seinen Freunden und Schülern gross geworden sind, ihn mittlerweile absolut langweilig finden. Die meisten Arbeiten sind deshalb aus einer ironischen oder sehr distanzierten Sicht auf das Roth-Werk entstanden. Dieselbe Haltung hat man hier gegenüber den isländischen Klischees – Vulkane, Gletscher, Geysire, Kälte, Dunkelheit. Genau das thematisieren jetzt interessanterweise die ausländischen Künstler, John Bock oder Christoph Schlingensief, die fahren durchs Land und filmen wochenlang. Isländische Kunst hat damit überhaupt nichts mehr zu tun."

    Ob es an der erst kürzlich umgesetzten effizienteren Finanzierung von Islands Museen liegt oder an der kompletten Neustrukturierung der Repräsentanz für isländische Kunst, die seit neuestem ein Deutscher leitet – die landesweit über 40 Ausstellungsorte des diesjährigen Festivals zeigen ein künstlerisch intensives Niveau, das wie die Vorhut der vor der Tür stehenden Biennale Venedig wirkt. Und diese Anspielung ist sogar gewollt: Seit Island mit progressiven Hightech- und Genforschungsoffensiven eine rasante Entwicklung hingelegt hat, will der Zwischenlandeplatz gen Europa und Amerika auch im Kulturbereich durchstarten. Die Rede ist von einer Kunst-Biennale in den Herbstmonaten, von vernetzten Galerien landesweit. Nicht umsonst lud Islands Präsident am Freitag erstmals sämtliche Künstler und Pressegäste in seine Residenz. Und nicht umsonst hatte man für den vakanten Direktoren-Posten der National Gallerie zuallererst einen Ausländer im Auge, ehe man sich dann doch für einen Isländer entschied.

    Der Gewinn für die isländische bildende Kunst dürfte nach den drei Festivalwochen enorm sein. Nicht nur, dass die gewagte Zerfledderung heiliger isländischer Traditionen durch Christoph Schlingensief ihm Trauben von begeisterten Menschen vor dem Installationseingang bescherte und die Drehbühne seines Animatografen zeitweise wegen Überlastung den Dienst verweigerte – am Eröffnungswochenende traf man auch die ausländischen Künstler wie die Österreicherin Elke Krystufek, Wilhelm Sasnal aus Polen, Matthew Barney, John Bock oder Turnerpreisträger Jeremy Deller vor den Arbeiten der isländischen Kollegen.