Claudia Pechstein polarisiert. Die einen bewundern sie für ihr Durchhaltevermögen beim Gang durch die juristischen Instanzen, aber auch ihr immer noch hohes Leistungsniveau. Immerhin feiert Pechstein während der Spiele in Pyeongchang ihren 46. Geburtstag.
Die anderen sehen in ihr eine streitbare Person, die sich mit so manchen Äußerungen keine Freunde macht. Vor Jahren wurde Pechstein wegen Dopingverdachts gesperrt, Grundlage war kein positiver Befund, sondern ein auffälliges Blutbild. Später wurde diese Sperre von einer Expertenkommission des DOSB als Fehlurteil bewertet, juristisch aber nie zurückgenommen. Das treibt sie an, weiter zu klagen, mittlerweile in der 8. Instanz. Ihre Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ist bereits seit eineinhalb Jahren anhängig.
Pechstein kritisiert Athletenvereinbarung
Als sie vor dem Bundesgerichtshof mit ihrem Begehren nach Schadensersatz scheiterte, sagte sie, dass sie und andere Sportler sich "als Menschen zweiter Klasse" fühlten. Denn, so erklärte Pechstein: "Die Schiedsvereinbarung habe ich auf keinen Fall freiwillig unterschrieben, weil wenn ich nicht unterschreibe, darf ich nicht starten. Das gilt für alle anderen Sportler auch in ihren eigenen Sportarten und das ist eine Farce, würde ich sagen."
Worauf Pechstein anspielt, ist die Athletenvereinbarung, die alle unterzeichnen müssen, um an den Wettkämpfen teilnehmen zu dürfen. Damit erkennen sie automatisch die Sportschiedsgerichtsbarkeit an und schließen den Gang vor ordentliche Gerichte aus und damit beispielweise auch die Möglichkeit unabhängig vom CAS auf Schadensersatz zu klagen.
Der CAS wiederum gewährleistet allerdings andererseits im internationalen Sport die Einheitlichkeit der Rechtsprechung. Sollte das Bundesverfassungsgericht ihrer Beschwerde stattgeben, wäre das ein deutliches Signal an den Internationalen Sportgerichtshof CAS, sich zu reformieren. Denn im langen Gang durch die Instanzen war durchaus Thema, dass die Schiedsgerichte des CAS nicht paritätisch besetzt sind. Die Athletenseite bei der Wahl der Schiedsrichter komme zu kurz, lautete die Kritik vom Oberlandesgericht München.
Es geht um die Rehabilitierung vom Dopingvorwurf
Thomas Summerer, der Anwalt von Claudia Pechstein sagt dazu: "Ich möchte nicht die gesamte Sportschiedsgerichtsbarkeit zum Wanken bringen, das ist nicht unser Ziel. Unser Ziel ist, dass ein Sportler in Deutschland nicht schlechter gestellt wird als ein Asylant, denn Asylanten haben das Recht hier zu prozessieren - und zwar vor staatlichen Gerichten - und auch eine weitere Instanz anzurufen. Sie können also die Rechtsmittel, die unser Rechtsstaat bietet, voll ausschöpfen. Sportler können das nicht."
In der Sache geht es Summerer darum, dass seiner Mandantin im Sport- und damit auch ihrem Berufsbereich bestimmte juristische Wege versperrt sind und dass dies nicht freiwillig geschehe.
Aber noch genereller ist das Anliegen von Pechstein, dass sie von dem Dopingvorwurf rehabilitiert wird. Unter den Experten gilt das CAS-Urteil deshalb als fragwürdig, weil das auffällige Blutbild infolge einer angeborenen Blutanomalie hergeleitet und somit kein entsprechender Beweis für Doping erbracht wurde. Der Internationale Eisschnelllaufverband hält dennoch weiter an dem rechtskräftigen CAS-Urteil fest.
"Wenn dieser nun einlenken würde und sich entschuldigen würde", so Pechsteins Anwalt Summerer, "und auch Claudia Pechstein entschädigen würde, dann müsste man nicht unbedingt diesen Prozess bis zum Ende gehen."
Weil das aber nicht in Aussicht ist, wird Claudia Pechstein bei einer Niederlage vor dem Bundesverfassungsgericht noch den letzten Schritt gehen und die dann neunte Instanz, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anrufen, getreu ihrem immer wieder betonten Motto "Siegen oder Sterben".
Rechtsunsicherheit bleibt bestehen
Für die Spiele Pyeongchang hat sie die Athletenvereinbarung des DOSB offenbar ohne Einschränkung unterzeichnet. Sie selbst hat sich dazu bisher nicht geäußert, laut DOSB hätten alle nominierten Athleten aber unterschrieben.
Die Rechtsunsicherheit über die Klausel bleibt allerdings weiter bestehen. Und sollte das Bundesverfassungsgericht ihrer Beschwerde stattgeben, hätte das womöglich auch Auswirkungen auf jetzt laufende Verfahren aktuell klagender Athleten und Trainer, sagt der Stuttgarter Sportjurist Marius Breucker, der zu Beginn des gesamten Verfahrens die Deutsche Eisschnelllaufgemeinschaft vertrat: "Es ist denkbar, dass bei einer entsprechenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die dortige Argumentation auch international aufgegriffen wird."
Breucker hält eine stärkere Einbindung der Athleten in die Zusammensetzung der Schiedsgerichte und damit eine paritätischere Besetzung grundsätzlich für notwendig - vor dem Hintergrund anderer Streitfälle, die neben dem Dopingthema in Zukunft zunehmen könnten. Etwa wenn es darum geht, wer wie werben und mit Sportgroßveranstaltungen Geld verdienen darf.
"Diese Verfahren werden tendenziell zunehmen mit der wirtschaftlichen Bedeutung und Kommerzialisierung des Sports", so Breucker, "weil die wirtschaftliche Bedeutung, die Wettbewerbsfreiheit inzwischen für die Athleten deutlich relevanter geworden ist, als das noch vor 20, 25 Jahren in den Anfängen des CAS der Fall war."
DOSB-Präsident Hörmann bezeichnet Pechstein als Opfer
Auch wenn Pechstein das ursprünglich nicht vorhatte, so hat sie in der Sportgerichtsbarkeit einiges angestoßen. DOSB-Präsident Alfons Hörmann ist es schon lange ein Anliegen, sie zu rehabilitieren, so bezeichnete er sie unlängst als Opfer denn als Täterin und so kann man auch seinen frühzeitigen Vorstoß auffassen, dass sie in Pyeongchang die Fahne tragen könnte und sie nun auch auf der 5er-Liste steht.
Darüber hinaus hat der DOSB ihren Lebensgefährten Matthias Große akkreditiert. Er darf als ihr Mentalcoach mitreisen, während andere Trainer und Betreuer zu Hause bleiben müssen. Das kommt nicht überall gut an und lässt viele mit der Frage zurück, ob der DOSB hier nicht über das Ziel hinausschießt. In jedem Fall trägt es dazu bei, dass noch stärker die Wahrnehmung da ist: Claudia Pechstein polarisiert.