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Wahlbeobachter: Kein fairer Wahlprozess in der Ukraine

Der Wahlkampf in der Ukraine ist von Verletzungen und Mängeln begleitet gewesen, sagt der Wahlbeobachter Markus Meckel (SPD). Es sei in der Ukraine ein "gefährlicher Prozess", dass Oppositionsführer im Gefängnis sitzen und Medien kontrolliert werden. Der Wahltag selbst sei größtenteils technisch ganz gut abgelaufen.

Markus Meckel im Gespräch mit Gerd Breker |
    Gerd Breker: Die pro-russische Partei des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch bleibt vorläufigen Ergebnissen zufolge an der Macht. Bei der Parlamentswahl gestern lag seine Partei der Regionen nach der Auszählung von gut einem Drittel der Stimmen mit 37 Prozent in Führung. Die Opposition kam nach Wählerbefragung, der Prognose also, zwar auf mehr als 40 Prozent; dennoch zeichnet sich ein Sieg der Janukowitsch-Partei ab, da sie bei der Vergabe der Direktmandate ebenfalls in Führung lag.
    Am Telefon in der Ukraine sind wir nun verbunden mit dem SPD-Außenpolitiker Markus Meckel. Er war der letzte Außenminister der DDR. Guten Tag, Herr Meckel!

    Markus Meckel: Einen schönen guten Tag!

    Breker: Der Ablauf der Wahl in der Ukraine nach Ihrer Einschätzung: War er fair?

    Meckel: Ich denke, man kann einen Wahlprozess nicht fair nennen, wenn die Oppositionsführer im Gefängnis sitzen. Das ist einmal schon klar. Zum anderen muss auch gesagt werden, dass der ganze Wahlkampf vorher, der ja mit zur Wahl gehört – das ist ja nicht nur der Wahltag -, von schweren Verletzungen und Mängeln begleitet war. Es ist einmal der Einsatz von Regierungsmitteln, das heißt eines Amtsbonus, der stark eingesetzt wurde, aber auch öffentliche Mittel im Wahlkampf. Es ist die ungleichmäßige Zusammensetzung der Wahlkommissionen auf den mittleren und unteren Ebenen, wo auch große Oppositionsparteien, die im ganzen Land auftreten, recht schwach vertreten sind. Und insbesondere ist es der sehr begrenzte Zugang zu den Medien durch die Opposition, und der TVi, der einzige Sender, wo die Opposition wirklich agieren konnte, der ist stark begrenzt worden und immer Attacken ausgesetzt gewesen. Insofern kann man diesen Prozess insgesamt schwer fair nennen.

    Am Wahltag selbst, muss man sagen, lief alles mit einigen Mängeln, aber doch technisch eigentlich ganz gut. Es lief ruhig am gestrigen Tag. Im Augenblick sind wir dabei, mit großer Sorge zu sehen den Auszählungsprozess. Da gibt es jetzt ganz aktuell Nachrichten, dass von dieser mittleren Ebene der Wahlkommissionen Ergebnisse aus den örtlichen Wahlkommissionen zurückgesandt wurden, weil offensichtlich der falsche Direktkandidat gewonnen hat, mit der Bitte, das noch mal nachzuzählen und zu korrigieren. So werden wir jetzt gewahr, dass es einige Hilferufe aus regionalen Wahlbeobachtungen aus dem Lande selber gibt, dass wir dort hingehen, um diese Dinge genauer zu verfolgen. Also das Ergebnis ist mit Sicherheit nicht so einfach zu benennen, wie es dieser französische Abgeordnete gesagt hat. Es ist ein gemischtes Bild. Ich würde sagen, sie ist weitgehend frei, was den Ablauf der Wahl gestern war, aber die Wahl fair zu nennen, würde ich nicht können.

    Breker: Sie sind einer von insgesamt 3700 Wahlbeobachtern aus dem Ausland gewesen. Hat Ihre Anwesenheit etwas bewirkt, haben Sie da etwas feststellen können? Ist der Ablauf am Wahltag selber vielleicht so verlaufen, weil Sie vor Ort waren?

    Meckel: Ich gehöre hier zu einer zivilgesellschaftlichen Wahlbeobachtung. Das ist auch etwas Neues, dass wir mit dieser NGO, European Exchange, eine deutsche Organisation, die im Osten Europas stark engagiert ist, gemeinsam mit der Batory-Stiftung in Polen und einem Institut in Litauen diese Kommission machen und hier mit einer Langzeitbeobachtung seit Anfang September hier sind und dann eben mit Kurzzeitbeobachtungen auch in verschiedenen Teilen des Landes parallel. Es sind verschiedene Länder: Die Kanadier sind ganz stark hier, weil viele dort haben hier ihre Wurzeln, und dann die übliche OSZE- und EU-Delegation. Die Regierung hat uns als Beobachter hervorragend betreut und mit hervorragenden transparenten Mitteln ausgestattet, weil sie natürlich ausgesprochen daran interessiert ist, dass sie das Ergebnis bekommt, dass alles fair und gut gelaufen ist. Man fühlt sich hervorragend behandelt in dieser Frage. Vor Ort ist es auch meist so gewesen, dass man alles sehen konnte. Aber wie gesagt, man hat dann den Wahltag selbst im Blick, technisch ist es meist auch wirklich gut gelaufen. Man darf aber den Auszählungsprozess, der noch nicht abgeschlossen ist, nicht vergessen, und da kann manches noch passieren. Und gleichzeitig darf man den ganzen Wahlkampf, die Frage der Medien, Zugang und die Ressourcen nicht vergessen. Und außerdem sind die Finanzen des Wahlkampfes wie überhaupt der Parteien völlig undurchsichtig, und das bleibt auch für die Zukunft ein Problem.

    Breker: Alles in allem wird es also aller Voraussicht nach bei Präsident Janukowitsch und seiner Partei bleiben, die an der Macht bleiben werden. Was lernen wir daraus? Wie sollte sich die Bundesrepublik Deutschland, wie sollte sich der deutsche Außenminister, wie sollte sich die Europäische Union gegenüber der Ukraine von Präsident Janukowitsch verhalten?

    Meckel: Ich habe es ehrlich gesagt schon im Vorhinein für ein bisschen problematisch gehalten, wenn man gesagt hat, wenn die Wahl fair und frei ist, dann gehen wir voran mit der europäischen Orientierung und dann kann man auch darauf zugehen, den Assoziierungsvertrag mit der EU zu unterzeichnen. Ich bin dafür, beides deutlich zu trennen. Wir sollten das eine tun, immer deutlich sagen, wir wollen demokratische Wahlen und werden uns auch dafür einsetzen, dass sie hier stattfinden, in Zukunft noch mehr, als es bisher möglich war, aber wir sollten gleichzeitig die Ukraine nicht fallen lassen oder isolieren. Ich bin für eine Unterzeichnung des Assoziierungsvertrages möglichst bald, weil das dann viele technische Prozesse für die rechtsstaatliche Entwicklung in diesem Land zur Folge hat, aber gleichzeitig sollten wir die politische Entwicklung hier sehr deutlich und klar kritisieren, denn wie gesagt: mit Oppositionsführern im Gefängnis, was ganz klar politische Gründe hat, mit der Art und Weise, wie die Medien immer stärker kontrolliert werden und wie zivilgesellschaftliche Organisationen immer weniger frei arbeiten können, das ist ein gefährlicher Prozess. Hier sollten wir unterstützen demokratische Opposition und den Aufbau von Zivilgesellschaft, hier sollten wir freie Medien unterstützen und wir sollten an dem Land dran bleiben, aber gleichzeitig auch die Dinge, die hier schief laufen – und da läuft viel schief -, deutlich kritisieren.

    Breker: Immerhin hat die Opposition ja 40 Prozent erhalten, bislang zumindest nach der bisherigen Auszählung.

    Meckel: Ja, man muss sogar sagen, wenn es das frühere Verhältniswahlrecht gewesen wäre, hätte vermutlich sogar die Opposition gewonnen. Die haben hier ein ganz komisches Wahlrecht. Das heißt, die Hälfte der Abgeordneten wird nach Verhältniswahlrecht gewählt, das heißt nach dem Verhältnis der Parteien, und da hatte gestern nach den ersten Aussagen, wo nur diese Listen dann vorlagen, sogar die Opposition eine Mehrheit. Und daneben gibt es unabhängige Kandidaten, die aber faktisch dann oft von den Parteien sind, und da halten sich Oligarchen, die auch hinter manchen Parteien stehen, dann ihre Abgeordneten und bringen sie entsprechend ein, sodass es faktisch ein verdecktes Spiel ist und das Wahlergebnis, das sich auf die Parteien konzentriert, dann am Ende wieder deutlich verschiebt. Und in diesem Prozess befinden wir uns gerade, nachdem am Anfang die Opposition relativ stark im Blick war, weil dieses Verhältniswahlrechts, da war die Opposition stark, vielleicht sogar in der Mehrheit, so verschiebt sich das dann durch die unabhängigen Kandidaten und bei einer Atmosphäre der Korruption, die in diesem Lande sehr stark beheimatet ist, ist dann zu erwarten, dass am Ende wieder eine klare Mehrheit für die Partei der Regionen da ist.

    Breker: Der SPD-Außenpolitiker Markus Meckel, er beobachtete die Wahlen in der Ukraine. Herr Meckel, vielen Dank für dieses Gespräch.

    Meckel: Bitte schön!


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