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Wahlbeobachterin warnt vor unkritischer Zusammenarbeit mit Kasachstan

Die Grünen-Politikerin Viola von Cramon sagt, dass Kasachstan keine demokratischen Mindeststandards bei der Präsidentenwahl eingehalten habe. Die Bundesregierung müsse diesen Aspekt bei einer Rohstoffpartnerschaft mit Präsident Nasarbajew jedoch ernst nehmen.

Viola von Cramon im Gespräch mit Anne Raith | 08.02.2012
    Anne Raith: Auf der offiziellen Agenda stehen ein Treffen mit der Bundeskanzlerin, danach eine Pressekonferenz, bevor es dann weitergeht zum Bundespräsidenten, zu einem Bildtermin im Schloss Bellevue. Zur Stunde ist der kasachische Präsident Nasarbajew in Berlin, primär um eine Rohstoffpartnerschaft zu vereinbaren. Die Rohstoffvorkommen Kasachstans gelten als die Fünftgrößten der Erde, und von denen will Deutschland profitieren. Von Verträgen mit einem Gesamtvolumen von 4,5 Milliarden Euro ist da die Rede. Menschenrechtler hingegen warnen eindringlich vor einer unkritischen Zusammenarbeit mit einem Land wie Kasachstan.
    Und eine der Beobachterinnen war die Grünen-Politikerin Viola von Cramon, die ich jetzt am Telefon begrüße. Guten Tag!

    Viola von Cramon: Ja guten Tag, Frau Raith.

    Raith: Wenn Sie uns zunächst noch einen Einblick geben können - welche Eindrücke haben Sie als Wahlbeobachterin machen können?

    von Cramon: Ich glaube, es waren sich alle internationalen Wahlbeobachter in diesem Fall einig, dass es sich leider nicht um Wahlen mit fairen, freien Standards, nach demokratischen Mindeststandards gehandelt hat. Zunächst einmal sah es so aus, als wolle man ein durchaus Mehr-Parteien-System auch in Kasachstan zulassen, aber desto näher man sich auf die Wahlen hin bewegte, zeigte sich, dass man entweder besondere Kandidaten, die vielleicht chancenreicher gewesen wären, oder auch Parteien komplett ausgeschlossen hat, und es zeigte sich dann am Ende, dass die Wahlbeteiligung insgesamt sehr niedrig war. Da gab es natürlich dann auch Anläufe der Regierungspartei, das Ergebnis ein bisschen aufzubessern, und die Aussagen am Ende waren nicht wirklich kohärent, aber wenn man sich vor Ort in den Wahllokalen umschaute, dann merkte man einfach, die Leute hatten keine Wahl und kamen deswegen auch nicht zur Wahl.

    Raith: Frau von Cramon, ist das ein Grund, weswegen Sie jetzt die Rohstoffpartnerschaft kritisieren, die ja geschlossen werden soll?

    von Cramon: Ich halte es für einen ganz großen Fehler, Nasarbajew insbesondere jetzt diesen großen Bahnhof hier in Berlin zu ermöglichen. Nasarbajew hat leider gezeigt, dass er sowohl im Dezember bei dem Streik der Ölarbeiter komplett versagt hat, er hat seine Sicherheitskräfte brutal auf streikende Arbeiter eingesetzt, er hat sie teilweise erschossen, er hat sie schwer verletzt - Sie haben es eben in der Anmoderation erwähnt -, es wurden viele gefoltert. Wir haben gestern bei unserer Pressekonferenz mit Menschen vor Ort, mit Journalisten, mit NGO-Vertretern gesprochen, die genau das bezeugt haben. Das wäre schon ein Grund gewesen, diesen Besuch abzusagen und auf eine internationale unabhängige Untersuchungskommission zu pochen.
    Dann die gefälschten Wahlen, jetzt noch die Verhaftungswelle - all das, finden wir, steht nicht im Einklang mit einer werteorientierten Außenpolitik, die sich die Bundesregierung so gern zueigen machen möchte.

    Raith: Sie sagen, dass Sie einen Besuch, diesen sogenannten großen Bahnhof, jetzt für nicht passend halten. Würde denn ein anderer Zeitpunkt irgendwas an der Situation ändern?

    von Cramon: Ja, ich hoffe schon, dass man Einfluss nehmen kann. Nasarbajew möchte eine gute Reputation im Westen hinterlassen, er möchte eine Zusammenarbeit mit Deutschland, mit der Europäischen Union. Das sollte man nutzen. Man sollte seinen Einfluss, wir sollten unseren Einfluss in Kasachstan geltend machen, indem wir eben nachdrücklich auf einen Aufklärungsprozess setzen sollten, indem wir uns anbieten sollten als Mediator bei beispielsweise eigentlich lokalen Tarifkonflikten, wie das im Westen Kasachstans der Fall war. All das haben wir nicht gemacht, wir haben noch nicht mal genau hingeschaut, bis zu diesem Besuch wurde über Kasachstan und die Verhältnisse dort leider auch in unseren Medien sehr wenig berichtet. Ich denke, der Herr Nasarbajew, der sich auch teilweise zu medizinischen Behandlungen hier in Deutschland aufhält, hat ein großes Interesse daran, dass er wiederkommen darf, und ich glaube, wir sollten alles daran setzen, den Druck deutlich zu erhöhen.

    Raith: Das heißt, Ihrer Meinung nach würde man ihn nicht verprellen, wenn man das Treffen verschiebt, sondern könnte dadurch sogar Druck ausüben?

    von Cramon: Man muss das ja nicht so offiziell deklarieren, aber selbstverständlich könnten wir das machen. Ja, es besteht überhaupt gar kein Zeitdruck. Die deutsche Wirtschaft hat diesen Zeitdruck aufgebaut, ich halte das für vollkommen unangebracht.

    Raith: Jetzt soll das Thema Menschenrechte heute auch angesprochen werden. In einem entsprechenden Konzept heißt es außerdem, die Achtung der Menschenrechte wird gewahrt. Glauben Sie der Bundesregierung nicht?

    von Cramon: Ja, es ist einer von sechs Punkten und ich gehe schwer davon aus, dass die Bundeskanzlerin ihr Versprechen einhält, auch diesen Menschenrechtsaspekt anzusprechen. Das ist das Mindeste. Aber wenn man sich darauf verpflichtet, innerhalb dieser Rohstoffpartnerschaft diesen Aspekt auch ernst zu nehmen, dann kann man das nicht tun, wenn zum Beispiel auf die Ölarbeiter geschossen wird und wenn bislang nicht klar ist, wie mit solchen Situationen weiter umgegangen wird, warum es so viele politische Gefangene gibt, warum diese nicht unmittelbar freigelassen werden, warum es keine fairen Prozesse gibt. Das ist eine lange Latte an Forderungen, die wir hätten, und bislang sehe ich nicht, dass die erfüllt wurden.

    Raith: Das heißt aber, die Rohstoffpartnerschaft an sich stellen Sie nicht infrage?

    von Cramon: Auch die stelle ich infrage, vor allen Dingen die nationalen Ansätze. Die bilateralen Rohstoffpartnerschaften laufen schon Gefahr, das multilaterale Handelsgefüge komplett aus den Angeln zu heben, es geht in Richtung Rohstoff-Kolonialismus. Wir halten das nicht für einen richtigen Ansatz, wir würden uns eine stärkere Einbindung in die multilateralen, in die EU-Strukturen wünschen. Wir setzen auch auf Recycling, wir setzen auch auf Alternativen, auf Forschung und auf natürlich Einsparung. Genau das macht die Bundesregierung hier aber in Deutschland nicht. Sie setzt unambitionierte Kreislaufquoten für die Kreislaufwirtschaft und eigentlich ist das hier anzufangen weitaus einfacher, als jetzt erneuerbare Ressourcen in diesen Ländern auszubeuten.

    Raith: Aber im vergangenen Jahr mussten Rohstoffe hier für mehr als 100 Milliarden Euro importiert werden, und was die seltenen Erden angeht, bedient China rund 95 Prozent die weltweite Nachfrage. Kann man überhaupt auf Kasachstan komplett verzichten?

    von Cramon: Also man darf das nicht vor dem Status quo sehen. Man muss hier etwas ändern, man braucht hier eine andere Strategie. Das sehen wir im Moment nicht. Wenn wir von der Status quo Situation ausgehen und dem Druck der Wirtschaft in dieser Form nachgehen, dann ist das Ergebnis so, wie das die Bundesregierung derzeit präsentiert. Allerdings darf man nicht vergessen, dass beispielsweise in einer Tonne Handyschrott mehr Gold ist, 60-mal mehr Gold ist als in einer Tonne Golderz, und genau das muss man sich vor Augen führen: Was können wir hier vor Ort machen, wie können wir hier unsere Produkte recyceln, wie können wir hier vor Ort einsparen, um eben auch nicht mehr diesen Druck zu haben, nach Kasachstan, in die Mongolei, in andere Länder zu gehen, um da im großen Stile diese Ausbeutung auch vornehmen zu müssen.

    Raith: Die Grünen-Politikerin Viola von Cramon über ihre Kritik an der Rohstoffpartnerschaft der Bundesregierung mit Kasachstan. Haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch.

    von Cramon: Ich danke Ihnen, Frau Raith. Schönen Tag.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.