Wahlsendungen folgen seit Jahren eingespielten Routinen. Zwischen der Schließung der Wahllokale um 18 Uhr und der "Tagesschau" zwei Stunden später werden in der ARD Prognosen und Hochrechnungen präsentiert, zwischen denen munter zu den jeweiligen Parteien geschaltet wird, um Reaktionen einzufangen.
Der mediale Begriff von Politik, der dabei vermittelt wird, reduziert sich auf Bilanzen: Wer gewinnt, wer verliert, wer darf sich freuen, wer muss Konsequenzen ziehen, was heißt das für Berlin. In der veränderten politischen Landschaft unserer Tage stößt diese Logik an ihre Grenzen, was zum einen in der sogenannten Berliner Runde zu sehen war – da saßen gestern Abend gleich sieben Parteienvertreterinnen um Tina Hassel, die Leiterin des ARD-Hauptstadtstudios, herum. Dass eine sinnvolle Diskussion in solcher Größe kaum möglich ist, ahnte Hassel, die zu Beginn der Sendung fast ächzend auf die Größe der Runde verwies. Wäre es dann nicht besser, man überlegte sich ein anderes Format?
Zum anderen zeigte wiederum Hassel Moderationen deutlich, dass ein bestimmtes Reden über Wahlergebnisse heute nicht mehr ohne Weiteres funktioniert. In ihren Einschätzungen floskelte sich die ARD-Journalistin wie üblich durch die Gemengelage: "Blaues Auge" hier, "zum Regieren verdammt" da. Was man halt immer so gesagt hat.
Eigentümliche Scheu gegenüber AfD
Nun gibt es mit der AfD aber eine Partei, die den Grundkonsens des deutschen Nachkriegsparlamentarismus zur Disposition stellt: Eine Partei, die Menschenverachtung und Ausgrenzung betreibt, die an der Spaltung der Gesellschaft Interesse hat, deren Äußerungen und Personen rechtsradikal bis rechtsextrem sind.
Die ARD-Moderatoren des gestrigen Wahlabends hat das vor eine Herausforderung gestellt, der sie nicht gewachsen waren. Während man SPD- oder CDU-Politikerinnen unterbricht und kritisch angeht, war im Umgang mit den AfD-Vertretern eine eigentümliche Scheu spürbar.
Diese Angst vor der Konfrontation lässt sich an einem nebensächlich scheinenden Umstand illustrieren: der Wahl der Attribute, mit denen die AfD in der ARD bis zum "Tatort" beschrieben wurde. Tina Hassel, Wiebke Binder vom MDR und Sascha Hingst vom RBB brachten nicht einmal das Wort "rechtsradikal" oder "rechtsextrem" über die Lippen.
Kein mediales "Weiter so"
Stattdessen wurde von der AfD geredet als "bürgerlich", von, Zitat, "doch sehr radikalen Positionen, teilweise auch Flügel-Menschen", Zitat Ende, als wären "sehr radikal" und "Flügel-Menschen" das irgendwie erträgliche Packpapier, in das man Aussagen einpackt in der Hoffnung, die Leute vorm Fernseher verstünden dann schon. Die Angst, zu sagen, was ist, führte auch zu Konstruktionen wie, Zitat, "des rechtesten Flügels der AfD, den manche nationalkonservativ nennen oder nationalistisch". Zitat Ende. Wobei noch nicht mal das Outsourcen von Beurteilung, die man selbst nicht wagt, zu Deutlichkeit führt: Andere, wie kompetente Forscherinnen, sprechen nämlich mittlerweile von "rechtsradikal" und "rechtsextrem".
Diese Unfähigkeit, Dinge beim Namen zu nennen, haben die ARD-Journalistinnen nicht exklusiv. Dahinter steckt ein gravierendes strukturelles Problem: Weil erst der richtige Begriff ein adäquates Handeln ermöglicht; weil dann den Journalisten auffallen würde, mit wem sie da gerade versuchen, sich zu verständigen.
Oder anders gesagt: Solange sich exponierte Moderatorinnen verhalten wie Kinder, die das böse Wort nicht aussprechen wollen, weil es dann ja Realität werden würde, solange wird die AfD Wahlerfolge feiern wie gestern. Um eine beliebte Floskel aus der Wahlanalyse zu bemühen: Ein mediales Weiter-so kann es nicht geben.