Kommentar
Eine rote Karte für Großbritanniens Populisten

Die britische Labourpartei steht nach ihrem Wahlsieg vor riesigen Aufgaben. Das Risiko zu scheitern, ist groß. Doch die Wahl zeigt auch: Die Populisten haben auf der Insel ihren Zenit überschritten.

Ein Kommentar von Sandra Pfister |
Rishi Sunak steht an einem Rednerpult vor Ten Downing Street in London.
Er konnte sich nur noch entschuldigen: Nach der verlorenen Wahl räumte Rishi Sunak den Posten des Premierministers. (picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Kin Cheung)
Die Tories haben abgewirtschaftet. Sie haben sich selbst ramponiert und das Land dabei gleich mit. Die Briten haben in einer historischen Zäsur Labour gewählt. Aber noch viel mehr haben sie die Tories abgewählt.
Keir Starmer ist nicht Tony Blair. Er steht nicht für den Aufbruch in etwas Modernes, Neues. Er ist der nüchterne Insolvenzverwalter, der den Schaden begrenzen und den Menschen einen Staat zurückgibt, der nicht nur für die Superreichen funktioniert. Mit einem Gesundheitssystem, das nicht auf dem Zahnfleisch geht, Ärztinnen und Lehrern, die anständig bezahlt werden, und mit Wohnungen, die sie sich leisten können. Jetzt sagen viele und zu Recht: Wenn das mal gut geht!

Starmer muss sich auf Wachstum setzen

Er hat auch keinen Magic Money Tree, also keinen Baum, auf dem Geld wächst. So wie sein Vorvorvorgänger David Cameron alles dem Sparen untergeordnet hat, wird Starmer sich voll auf Wachstum fokussieren müssen: Damit die Unternehmen stärker werden und mit ihnen die Steuereinnahmen. Sonst werden die Populisten das in vier Jahren wieder ausschlachten.
Warum könnte es klappen? Interessanterweise genießt Labour bei britischen Unternehmern mehr Vertrauen als die Konservativen. Selbst der liberale, unternehmensfreundliche The Economist gibt Labour diese Vorschusslorbeeren.

Vertrauen bei den Unternehmen aufgebaut

Monatelang hat Labour jetzt bereits Vertrauen bei den Unternehmen aufgebaut, mit Lachsfrühstück und der klaren Aussicht darauf, sich klar von der sozialistischen Attitüde zu distanzieren, die noch Keir Starmers Labourvorgänger Jeremy Corbyn an den Tag gelegt hat. Wenn selbst die Anleger an den Aktienmärkten unbekümmert sind, wenn eine linke Regierung das Ruder übernimmt, dann zeigt das: Der neue Steuermann ist solide.
Die Aufgabe für Labour ist riesig, das Risiko zu scheitern auch. Aber erst mal erwarten die Britinnen und Briten von ihrer neuen Regierung einfach nur keine weiteren Ego-Shows, Harakiri-Aktionen und messianische Versprechen von alter Unabhängigkeit und Größe, sondern Ruhe im Karton, solide, nüchterne Politik und zwar erst mal Innenpolitik.
Das bedeutet auch: Europa wird noch eine Weile auf Großbritannien warten müssen. Vielleicht 100, vielleicht 200 Jahre, wie der ehemalige luxemburgische Premier Jean-Claude Juncker vor ein paar Tagen gesagt hat, dann könne es wieder EU-Mitglied sein. Aber das will auch in London ernsthaft keiner, selbst der neue Premier nicht, obwohl er gegen den Brexit war.
Keir Starmer wird erst mal zu Hause aufräumen müssen, die Wirtschaft, den Wohnungsbau und den NHS. Aber dann gibt es viele Wege, wie Großbritannien wieder näher an die EU heranrücken kann.

Eine stille Revolution

Die eigentliche stille Revolution bei dieser Wahl ist, dass die Wählerinnen und Wähler in einem der großen Länder Europas den Populisten nach Jahren des Aufpeitschens und Lügens die Rote Karte gezeigt haben.
Während die Populisten überall im Westen stärker werden, haben sie in Großbritannien anscheinend schon ihren Zenit überschritten. Und zwar nicht nur die Populisten von rechts, auch von links: Der neue Prime Minister Keir Starmer hat auch mit dem linksradikalen, moskaufreundlichen Populismus seines Vorgängers Jeremy Corbyn gebrochen und die Labourpartei völlig neu aufgestellt. Und zwar in einer nüchternen, seriösen Mitte.
Großbritannien hat gezeigt: Populisten zerlegen sich gerne selbst, auch im ewigen internen Dauerstreit. An der Macht bleiben sie nur, wenn sie gute Regierungsarbeit leisten und das haben sie im Königreich nicht getan.
Sandra Pfister
Sandra Pfister, geboren 1975 im Saarland, ist Redakteurin in der Abteilung Wirtschaft und Gesellschaft. Nach einem Geschichtsstudium in Freiburg, Düsseldorf, Aix-en-Provence und Brüssel hat sie in Düsseldorf die Georg von Holtzbrinck-Schule für Wirtschaftsjournalisten absolviert. Im Anschluss an ihr Volontariat beim Deutschlandfunk hat sie regelmäßig Sendungen in Deutschlandfunk und WDR moderiert und fünf Jahre als freie Autorin und Moderatorin in London gelebt.