Im Iran hat der konservative Kleriker Ebrahim Raisi nach offiziellen Angaben die Präsidentschaftswahl gewonnen und wird damit Nachfolger des als moderat geltenden Amtsinhabers Hassan Ruhani. Noch während der Auszählung konnte Raisi mit knapp 18 Millionen Votierungen bereits mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen für sich verbuchen.
Raisi wird damit nicht nur Präsident – er wird auch als Nachfolger des obersten Führers Ajatollah Chamenei gehandelt. Im Wahlkampf hatte Raisi damit geworben, Armut und Korruption bekämpfen zu wollen. Bei letzterem Unterfangen konnte er sich als bisheriger Justizchef bereits einen Namen machen - durch zahlreiche Korruptionsverfahren auch gegen hohe Staatsbeamte und Richter.
Bevölkerung hat kein Vertrauen mehr in Wahlen
Im Vergleich zum eher moderaten Ruhani gilt Raisi als ultrakonservativ. Nicht zuletzt deshalb rechnet Iran-Expertin Azadeh Zamirirad damit, dass sich die Kluft zwischen Gesellschaft und Staat im Iran nun weiter vergrößern wird. Die stellvertretende Forschungsgruppenleiterin für den Bereich Afrika und Mittlerer Osten bei der Stiftung Wissenschaft und Politik prognostizierte im Dlf-Interview, dass Repressionen nun auch "in noch kleineren politischen Räumen" zunehmen würden. Zudem hätten Wahlen für einen Großteil der Iranerinnen und Iraner als Mittel für politischen Wandel leider ausgedient. "Für viele war auch die Nichtwahl eigentlich ein aktiver Akt des Widerstandes, wenn man so will, und viele haben ja auch einfach einen leeren Wahlzettel abgegeben oder irgendwelche anderen Namen wie Saddam Hussein oder Ähnliches reingeschrieben", so Zamirirad.
Mit Blick auf die Außenpolitik sagte Zamirirad, dass die Annäherung zwischen Teheran und Washington nun schwieriger werde. Die internationale Atomvereinbarung sieht sie durch die Wahl aber nicht gefährdet. Es sei sogar wahrscheinlich, dass es nun zeitnah zu einer politischen Verständigung zum Erhalt der Vereinbarung komme. Zamirirad: "Raisi ist auch gar nicht in der Position, das Ganze jetzt wieder eigenmächtig umschmeißen zu können."
Das Interview in voller Länge:
Silvia Engels: Ein klarer und erwarteter Sieg also für den Hardliner, das allerdings bei geringer Wahlbeteiligung. Wie fest, würden Sie denken, sitzt Raisi im Sattel?
Azadeh Zamirirad: Na ja, die Präsidentschaft ist entschieden, er sitzt da relativ fest im Sattel. Was wichtiger ist eigentlich als die Präsidentschaft, und darum sind diese Wahlen ja auch so besonders, was eigentlich aus diesem Karriereweg für ihn erwächst, denn bei diesen Wahlen ging es ja um sehr viel mehr als die Präsidentschaft. Es geht letztlich darum, wer in der besten Ausgangsposition ist, die Nachfolge für den Revolutionsführer darzustellen. Da ist Raisi im Moment nun in einer ausgesprochen guten Position, heißt aber gleichzeitig auch – weil wir uns eben in dieser Transitionsphase befinden, machtpolitischer Wettkämpfe darum, wer eigentlich das Oberste im Staat übernimmt –, dass er sehr viel Gegendruck eher aus dem konservativen Lager selbst erhalten wird von potenziellen Konkurrenten. Letztlich sind wir jetzt mitten im Machtkampf für die Nachfolge von Revolutionsführer Chamenei.
Raisis fehlender ökonomischer Plan
Engels: Die Machtebene und der Klerus, der mit anderen inneren Widersprüchen kämpft, ist das eine, auf der anderen Seite gibt es ja auch durchaus Druck von der Straße im Iran, dort leiden die Menschen unter der Wirtschaftskrise. Was kann er hier tun?
Zamirirad: Na ja, Raisi hat ja angedeutet oder deutlich gemacht, dass er neue Arbeitsplätze schaffen will, dass er gegen die Wirtschaftskrise angehen will. Es ist überhaupt nicht klar, was für einen tatsächlichen ökonomischen Plan er hat, er wird allerdings vermutlich davon profitieren, dass einige Wirtschaftssanktionen jetzt im Zuge der Atomgespräche wieder ausgesetzt werden. Hier wird es vermutlich auch einige wirtschaftliche Fortschritte geben können auf der ein oder anderen Ebene, aber was er nicht wird kippen können, ist diese doch immer weiter größer werdende Kluft zwischen Gesellschaft und Staat. Wir werden hier wahrscheinlich mit mehr Repressionen auch rechnen müssen, in noch kleineren politischen Räumen. Und wir sehen ja schon auch an der Wahlbeteiligung, dass für einen Großteil der Wählerschaft der Iranerinnen und Iraner Wahlen überhaupt als Mittel für politischen Wandel ausgedient haben. Es bleiben dann eigentlich nur noch die Straße und andere Formen politischer Partizipation, andere Formen des Protests, und da wird es sicherlich zu mehr Auseinandersetzungen als zu weniger kommen.
Engels: Raisi gilt als erzkonservativ, Sie haben seine Position im Machtapparat angesprochen, er ist aber auch Kleriker, wird für viele Todesurteile in der Vergangenheit verantwortlich gemacht. Werden die Kleriker die Restriktionen des Alltags für die Menschen im Iran wieder anziehen?
Zamirirad: Das kann durchaus passieren. Wir haben das häufig erlebt unter Hardlinern, dass sich gerade innenpolitisch, zivilgesellschaftlich auch die Räume verengen, auch gerade für Frauen. Es kann aber auch sein, dass er in bestimmten Bereichen eher darauf angewiesen ist, etwas größeren gesellschaftlichen Rückhalt für sich zu kreieren, gerade mit Blick darauf, dass er ja tatsächlich womöglich die Nachfolge von Revolutionsführer Chamenei übernehmen will und dafür einen gewissen auch gesellschaftlichen Rückhalt braucht. Insgesamt gehe ich aber tatsächlich von kleineren gesellschaftspolitischen Räumen aus und von einer sehr viel schwierigeren Situation gerade für die Zivilgesellschaft.
Neben Resignation auch Aufbruchstimmung
Engels: Wir haben es eben von unserer Korrespondentin gehört, Resignation unter vielen Menschen sei ein bestimmendes Thema, ein bestimmendes Momentum. Ist die Reformbewegung im Iran, die sich ja in früheren Jahren immer mal wieder mit Protesten zu Wort gemeldet hat, endgültig geschlagen?
Zamirirad: Ich denke, Resignation ist tatsächlich nur ein Teil dessen, was wir im Moment im Iran erleben. Wir sehen tatsächlich sehr viel Vitalität und sehr viel auch Aufbruchsstimmung – in verschiedenen Diskussionen, gerade in Clubhouse und auf anderen Messenger-Diensten –, die Frage, ob es nicht eine Art Neuaufbruch jetzt geben müsste und könnte. Und dafür muss man eben kippen, kappen mit den Arten von politischer Partizipation, die man vorher betrieben hat. Es gibt die Idee, dass man eben ganz neu ansetzen muss, dass das, was wir unter traditionellen Reformbewegungen im Iran gesehen haben, schlicht nicht greift, letztlich gescheitert ist. Und ich sehe hier eher auch Potenzial auf gesellschaftlicher Ebene, dass hier Neues erwächst und hier auch eine neue Zusammenarbeit eigentlich stattfinden müsste zwischen Reformkräften, die einer kompletten Erneuerung bedürfen, und Teilen der Gesellschaft. Also es ist nicht alles Resignation hier. Für viele war auch die Nichtwahl eigentlich ein aktiver Akt des Widerstandes, wenn man so will, und viele haben ja auch einfach einen leeren Wahlzettel abgegeben oder irgendwelche anderen Namen wie Saddam Hussein oder Ähnliches reingeschrieben. Das sind bewusste Entscheidungen von Bürgern, die sich doch einen ganz anderen Weg wünschen, und hier, glaube ich, werden wir eher mehr Vitalität erleben als völlig Apathie und Desinteresse.
Vorerst keine Gefährdung der Atomvereinbarung
Engels: Frau Zamirirad, schauen wir noch auf den internationalen Kurs, den die wichtige Regionalmacht Iran nun einschlagen könnte, Sie haben es eben schon mal angedeutet: In Wien verhandelt der Iran ja seit Wochen mit den Vertragsstaaten des Atomabkommens. Hier herrschte ja die Hoffnung vor, mit dem Amtsantritt von US-Präsident Biden könne hier eine Annäherung zwischen Teheran und Washington erfolgen. Ist das nun alles dahin?
Zamirirad: Die Annäherung zwischen Washington und Teheran dürfte sicherlich schwieriger werden, aber ich denke, die Atomvereinbarung an sich ist durch diese Wahl jetzt nicht gefährdet. Es ist sehr viel wahrscheinlicher, dass es nun auch zeitnah zu einer Vereinbarung kommt, zu einer politischen Verständigung über den Erhalt der Vereinbarung. Raisi selbst hat sich ja auch zu der Vereinbarung bekannt und ist auch gar nicht in der Position, das Ganze jetzt wieder eigenmächtig umschmeißen zu können oder zu wollen. Es wäre aber schon wichtig, dass wir zeitnah tatsächlich hier zu einer politischen Verständigung finden, dann, denke ich, wird die Atomvereinbarung an sich erst mal in trockenen Tüchern sein. Was allerdings schwieriger sein wird in Zukunft, ist, angesichts dessen, dass der jetzige Präsident nicht in gleicher Weise hinter dieser Atomvereinbarung stehen wird, Verhandlungen in Zukunft zu führen, auch über andere Fragen, die über die Atomfrage hinausgehen, beispielsweise Regionalfragen, ballistisches Raketenprogramm, Menschenrechtsfragen, aber auch im Krisenfall, im Streitfall, wenn es um die Umsetzung der Atomvereinbarung geht, es vermutlich etwas schwieriger sein könnte in der Zusammenarbeit. Aber ich denke, die Vereinbarung an sich ist eine gemachte Sache, da sind sich eigentlich auch alle Machtzentren im Iran im Moment einig.
Engels: In der Region übt der Iran ja auch viel Einfluss aus, sei es der Libanon, sei es Syrien. Häufig tritt Teheran da als Gegenspieler zu Saudi-Arabien und zu westlichen Staaten auf und natürlich vor allem als Gegenspieler zu Israel. Wird Raisi diesen Kurs verschärfen?
Zamirirad: Wir werden auch hier vermutlich mehr Kontinuität als Wandel erleben. Gerade dieser Bereich der Regionalpolitik fällt ja klassisch auch gar nicht so sehr in die Arbeitssphäre des Kabinetts beispielsweise, des Außenministeriums, sondern hier sind andere Akteure wie die Revolutionsgarden und hier insbesondere die Jerusalem-Brigaden vor allen Dingen an vorderster Front, was auch teilweise strategische Planungen anbelangt. Andere Institutionen wie der Oberste Nationale Sicherheitsrat spielen hier eine wesentliche Rolle. Der Präsident hat hier Einfluss, aber innerhalb eines gewissen Rahmens, also wir werden hier keine großen radikalen Veränderungen vermutlich sehen. Gleichzeitig ist ja positiv, wenn man so will, zu vermelden, dass wir Ansätze sehen für eine Entspannung, gerade zwischen Saudi-Arabien und Iran. Hier finden ja schon seit einiger Zeit auch vertrauliche Gespräche statt, unter anderem zwischen den Sicherheitsapparaten. Das ist ein kleiner Lichtblick, wenn man so will, angesichts der doch sehr desaströsen sicherheitspolitischen Entwicklung gerade am Persischen Golf in den letzten Jahren.
Internationale Unterstützung der iranischen Zivilgesellschaft notwendig
Engels: Welche Empfehlung hätten Sie dann an die westlichen Staaten, wie nun mit dem Iran umgehen?
Zamirirad: Na ja, zunächst einmal, wir können uns nicht aussuchen, wer in solchen Staaten die Amtsgeschäfte übernimmt, und ich denke, die Herausforderungen mit Blick auf autoritäre Systeme sind immer die gleichen und sind in Berlin und anderswo ja auch bekannt. Letztlich ist das immer ein Spagat zwischen sicherheitspolitischen Interessen aufrechterhalten, beispielsweise im Zuge der Atomvereinbarungen, und sich für eine werteorientierte Außenpolitik stark machen, sich für Menschenrechte stark zu machen. Das ist ein Spannungsverhältnis, was sich nicht ohne Weiteres auflösen lässt. Ich hoffe aber, dass wir nicht zurückfallen in die Art von Position, die wir teilweise damals in der Ahmadinedschad-Ära erlebt haben, wo gerade die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen, der akademische Austausch, Hochschulkooperationen stark eingeschränkt wurden oder eingeschlafen sind. Das ist eigentlich die Zeit, wo gerade die Zivilgesellschaft unserer enormen Unterstützung bedarf, und ich hoffe, dass hier nicht Stimmen Oberhand gewinnen, die eher für Abbruch von Beziehungen und Einschränkungen dieser Art von Austausch eintreten.
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