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Wahlen in Ägypten
Hoffnung auf Stabilisierung

Der Präsident abgesetzt, die Muslimbrüder zur terroristischen Vereinigung erklärt. Nach dem Verfassungsreferendum plant die ägyptische Regierung nun Wahlen. Doch ob diese Wahlen frei und fair sind und das Land stabilisieren können, bleibt fraglich.

Von Jürgen Stryjak | 04.01.2014
    "Wir haben die Absicht, freie Wahlen durchzuführen, die den Volkswillen widerspiegeln und korrekt verlaufen. Das ist der einzige Weg für unser Land zu einer demokratischen Zukunft."
    Das versprach Adli Mansour Anfang Juli, kurz nachdem ihn das Militär zum Übergangspräsidenten ernannte.
    Wahlmarathon ab Mitte Januar
    Mitte Januar beginnt ein Wahlmarathon. Zuerst darf das Volk über den neuen Verfassungsentwurf entscheiden. Ein paar Monate später werden das Parlament und der neue Präsident gewählt, in welcher Reihenfolge ist noch unklar.
    Fünf Mal waren die Ägypter seit 2011 in die Wahllokale geströmt – Stichwahlen nicht mitgerechnet. Sie wählten ihre Volksvertreter, machten Muhammed Mursi von der Muslimbruderschaft zum Präsidenten und stimmten mehrheitlich 2012 für Mursis neue Verfassung.
    Am Ende waren alle ihre Stimmen wertlos. Das Militär stürzte Mursi nach Massenprotesten.
    Die Menschen resignieren
    Kein Wunder, wenn die Menschen resignieren. Dieser Mann aus Kairo wird alle kommenden Wahlen boykottieren.
    "Keiner von den Leuten, die gewählt werden, interessiert sich für das Wohl des Landes, weder die Muslimbrüder noch irgendein anderer. Sie wollen alle nur an die Macht kommen."
    Übergangspräsident Mansour versprach freie Wahlen, doch wie frei sind Wahlen, die in einem Klima der Hetze und der Angst stattfinden? Mohamad Elmasry, Dozent an der Amerikanischen Universität von Kairo:
    "Die Geschichte kennt keinen einzigen Fall, bei dem eine demokratische Umgestaltung gelang, wenn sie auf Ausgrenzung und Unterdrückung basierte."
    Der Machtkampf heißt offiziell "Kampf gegen den Terror"
    Seit Monaten tobt ein Krieg, der offiziell "Kampf gegen den Terror" genannt wird. Im Sommer kamen bei drei blutigen Massakern rund 1000 Menschen ums Leben, überwiegend Mursi-Anhänger. Nicht alle, aber die meisten hatten friedlich gegen den Sturz des gewählten Präsidenten protestiert. Tausende Muslimbrüder wurden verhaftet. Die Regierung erklärte die Bruderschaft zur Terrororganisation.
    "Wer will, dass Muslimbrüder ohne Gerichtsurteil hingerichtet werden, der klicke den 'Like'-Button", schrieb ein ägyptischer Popstar jüngst auf seiner Facebook-Seite. Rund 2500 Menschen kamen der Aufforderung nach, in nicht mal einer Stunde.
    "Das ist eine durchaus faschistoide Atmosphäre, die den Hass der Leute auf eine einzige gesellschaftliche Gruppe lenkt."
    Doch der Zorn richtet sich nicht nur gegen Muslimbrüder. Jeder, der das Militär und seine Propaganda kritisiert, muss damit rechnen, als Unterstützer von Terroristen im Gefängnis zu landen.
    "Es ist eine sorgfältig gestaltete Propaganda. Niemand möchte als Terrorsympathisant gelten. Mit diesem Vorwurf kann man Menschen leicht abstempeln. Die Propaganda soll bewirken, dass die Leute alle möglichen Repressalien hinnehmen."
    Haftstrafen auch gegen säkulare Regimekritiker
    Inzwischen verhängte die Justiz die ersten Haftstrafen auch gegen säkulare Regimekritiker.
    Die Muslimbruderschaft und ihre Sympathisanten brutal aus dem Weg geräumt, Militärkritiker stigmatisiert und dämonisiert, viele einst leidenschaftliche Wähler von Resignation befallen – es sieht ganz danach aus, als würden die Jasager und Unterstützer des Militärs alle kommenden Wahlen unter sich ausmachen. Und dann als Erfolg der Demokratie verkaufen.
    Amr Moussa, Außenminister unter Mubarak, jetzt Chef der Verfassungskommission, appellierte an seine Landsleute, beim Verfassungsreferendum Mitte Januar doch unbedingt mit "Ja" zu stimmen. Nur das könne die Gefahr abwenden, in der Ägypten sich befindet.
    Wahrscheinlich werden Millionen Ägypter diesem Appell Folge leisten, denn viele haben Chaos und Gewalt satt. Gewalt, die in den letzten Monaten allerdings überwiegend von Sicherheitskräften verübt wurde. Die Leute sehnen sich nach Normalität, selbst wenn es jene deprimierende Normalität ist, die schon unter Mubarak herrschte.