Der alteingesessenen Oppositionspartei UNITA rechnet Negwer keine guten Chancen aus. Sie werde aufgrund ihrer "ethnischen Gebundenheit" vor allem in den Regionen um die Hauptstadt Luanda nicht gewählt. Zudem sei sie vor allem eine Veteranenpartei des Bürgerkrieges. Ihr Vorstand habe es nie geschafft, aus dem Schatten des Krieges herauszutreten. Es gebe allerdings eine Abspaltung von der UNITA, die CASA. Die habe bei der letzten Wahl aus dem Stand sechs Prozent erreichen können und könnte auch dieses mal für eine Überraschung gut sein.
Weg von der Erdöl-Abhängigkeit
Dem noch regierende Präsident dos Santos wird von Kritikern Vetternwirtschaft und Kriegstreiberei vorgeworfen - viele Bürger Angolas sehen das laut Negwer aber nicht so. "Er wird als eine Art Übervater der Nation gesehen und auch mit positiven Aspekten in Verbindung gebracht". So stehe er für den Frieden von 2002 nach 27 Jahren Bürgerkrieg. Zudem wollten die Angolaner nicht unbedingt andere Verhältnisse, sondern bessere.
Verbesserungen seien etwa in der Wirtschaft nötig. Das Land sei zwar reich an Rohstoffen wie Diamanten und Erdöl. Die brächten aber nur schnelle Profite, so Negwer. In den Supermärkten gebe es 80 Prozent Importware, das sei nicht nötig. Die Landwirtschaft müsse intensiviert werden, denn Angola habe durchaus fruchtbares Land.
Dirk-Oliver Heckmann: Wer Angola seine Heimat nennt, hat es zumeist nicht gerade gut getroffen. Ein Drittel der Bevölkerung lebt in Armut. Die Menschen leben seit Jahrzehnten in einem Klima der Angst, sagt Amnesty International. Vetternwirtschaft und Korruption sind fester Bestandteil des Machtsystems von Langzeitpräsident dos Santos. Er zählt zu den dienstältesten Präsidenten der Erde. 1979 kam er an die Macht. Nach 38 Jahren tritt er jetzt nicht noch einmal an, sondern bereitet seinem Nachfolger den Weg. Parteichef aber will er bleiben. Heute sind die Wähler aufgerufen, ein neues Parlament zu wählen. Die EU, die hat auf eine Beobachtermission verzichtet, weil Angola keine Bewegungsfreiheit garantieren wollte. - Am Telefon ist dazu jetzt live Manuel Negwer. Er ist Leiter des Goethe-Instituts in Luanda, sozusagen die kulturelle Auslandsvertretung der Bundesrepublik, und er kennt das Land seit Jahrzehnten. Schönen guten Tag, Herr Negwer!
Manuel Negwer: Ja, guten Morgen!
Heckmann: Jetzt hören wir Sie, Herr Negwer. - Ich habe gerade schon gesagt: Die EU hat darauf verzichtet, eine Beobachtermission zu entsenden, weil Angola keine Bewegungsfreiheit garantieren wollte. Wie fair und wie frei muss man sich jetzt die Wahlen, die heute stattfinden, vorstellen?
Negwer: Dass Angola das abgelehnt hat, das ist natürlich in die Medien auch geraten. Das alleine würde ich allerdings noch nicht als Indiz sehen, dass da irgendwelche Unregelmäßigkeiten anstehen. Es ist natürlich jetzt schwer für mich einzuschätzen, wie das dann insgesamt abläuft, aber ich würde mal der Fairness halber unterstellen, dass die Wahlen auch ordnungsgemäß dann organisiert und durchgeführt werden.
Heckmann: Das heißt, beide Lager gehen dann doch mit einigermaßen gleichen Voraussetzungen in diese Wahlentscheidung hinein?
Negwer: Das natürlich nicht, denn ich meine, die MPLA-Regierung ist ja eigentlich ununterbrochen seit 1975 nicht nur im Amt, sondern beherrscht naturgemäß auch das Land und weite Teile, Bereiche der Gesellschaft. Insofern ist da ein Ungleichgewicht vorhanden. Aber letztlich sind es inzwischen drei Parteien, kann man sagen, weil zu der älteren Oppositionspartei UNITA noch eine neue Partei hinzugekommen ist: die CASA als eine Abspaltung der UNITA, der man durchaus einige Erfolge zutraut.
"Die meisten Angolaner wollen keine völlig anderen Verhältnisse"
Heckmann: Ich habe in meiner Anmoderation gerade schon gesagt: Ein Drittel der Bevölkerung lebt in Armut. Viele Angolaner leben in einem Klima der Angst seit Jahrzehnten. Das sagt Amnesty International. Vetternwirtschaft und Korruption sind fester Bestandteil des Machtsystems von dos Santos. Wie groß, Herr Negwer, ist aus Ihrer Sicht die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Angolaner vom System dos Santos befreien wollen?
Negwer: Ich würde das ein bisschen differenzierter sehen, denn der Präsident wird natürlich auch so als eine Art Übervater der Nation gesehen, durchaus auch mit positiven Aspekten. Er ist ja der Mann, der sozusagen 2002 dann für den Frieden steht nach 27 Jahren Bürgerkrieg. Das ist ein bisschen, sage ich mal, schillernd. Die meisten Angolaner wollen jetzt auch keine völlig anderen Verhältnisse, sie wollen bessere Verhältnisse, und das spiegelt sich auch in der jetzt doch sich diversifizierenden Parteienlandschaft wieder.
Heckmann: Die Angolaner wollen nicht völlig andere Verhältnisse, aber bessere Verhältnisse, haben Sie gerade gesagt. Hat denn der designierte Nachfolger von dos Santos, der Verteidigungsminister Lourenço. Hat der überhaupt eigentlich ein Interesse daran, die Verhältnisse im Land zu ändern, und auch die Möglichkeiten? Denn dos Santos bleibt ja offenbar als Parteichef im Hintergrund.
Negwer: Das ist richtig. Aber João Lourenço gehört einer anderen Generation an. Er ist kein ganz junger Politiker, aber doch um einiges jünger als der derzeitige Präsident, und ich denke schon, dass da auch eine Einsicht in die Notwendigkeit da ist, die Lebensverhältnisse für die Bevölkerung zu verbessern. Und er ist auch durchaus ein volkstümlicher Typ, nicht so, sage ich mal, unnahbar wie viele von den MPLA-Vertretern. Wenn man ihn sprechen hört, dann kann man sich zumindest vorstellen, dass da der Wille vorhanden ist.
Heckmann: Die größte Oppositionspartei UNITA - Sie haben sie gerade schon erwähnt -, sie macht sich durchaus Hoffnungen auf ein besseres Wahlergebnis als bei den letzten Malen. Weshalb ist die UNITA so schwach?
Negwer: Die UNITA ist natürlich auch, wenn man so will, ein bisschen eine Veteranenorganisation des Bürgerkrieges. Und der Führer oder der Vorsitzende der UNITA, denke ich, hat es auch nie so richtig geschafft, aus diesem Schatten des Bürgerkrieges hinauszutreten. Es kommt noch etwas hinzu: Die UNITA ist natürlich eine ethnisch gebundene Partei, was die Erfolge in den Gebieten jetzt um Luanda auch von vorneherein einschränkt.
Dritte Partei könnte für Überraschung sorgen
Heckmann: Das Land ist eigentlich von Hause aus zumindest ein sehr reiches Land aufgrund des Erdölvorkommens und der Produktion von Erdöl. Mittlerweile durch den sinkenden Ölpreis ist das Land in die Krise gerutscht. Aber das Potenzial ist ja da. Dennoch ist die ganze Wirtschaft ziemlich einseitig auf diese Ölwirtschaft ausgerichtet. Weshalb ist es nicht gelungen, da eine Veränderung herbeizuführen?
Negwer: Ich meine, Erdöl und Diamanten werfen natürlich schnellere Profite ab als zum Beispiel Landwirtschaft. Es gibt durchaus gute Ansätze, die Landwirtschaft zu diversifizieren, zu fördern. Nur müsste das noch viel intensiver geschehen, denn ich meine, wenn man in einen Supermarkt hier im Lande geht, dann sieht man 70, 80 Prozent Importwaren, und das müsste nicht sein. Das ist angesichts der Fruchtbarkeit auch des Landes und der von Ihnen ja angesprochenen guten Rahmenbedingungen vorstellbar, dass sich das doch jetzt ändert in den nächsten Jahren.
Heckmann: Das heißt, Sie würden sagen, der heutige Tag, der heutige Wahltag ist durchaus eine Chance für das Land?
Negwer: Ja, würde ich sagen, und es gibt wie gesagt diese dritte Partei, die ich kurz erwähnt hatte, die CASA-CE, die von einem ehemaligen UNITA-Vertreter gegründet wurde. Schon bei den letzten Wahlen haben die sechs Prozent erhalten, so aus dem Stand. Das war auch ganz erstaunlich. Und die könnte für eine kleine Überraschung gut sein heute.
Heckmann: Wir werden das weiter verfolgen. Einstweilen war das Manuel Negwer, der Leiter des Goethe-Instituts in Luanda. Herr Negwer, schönen Dank für das Gespräch und einen schönen Tag!
Negwer: Gerne! - Auf Wiederhören!
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