Tobias Armbrüster: Der Countdown läuft bei unseren Nachbarn in den Niederlanden. Da wird morgen, am Mittwoch ein neues Parlament gewählt. Großes Thema im Wahlkampf in den zurückliegenden Wochen war vor allem der Islam. Das waren muslimische Einwanderer. Und entsprechend wurden die Kampagnen der Parteien dann in den letzten Tagen noch einmal befeuert durch die Kontroverse um Auftritte von türkischen Politikern in den Niederlanden. Wir haben es gerade noch mal gehört im Gespräch mit dem Kollegen in Berlin.
Profitieren von dieser ganzen Kontroverse könnte natürlich vor allem der Rechtspopulist Geert Wilders und seine Partei für die Freiheit, die PVV. Wir wollen das jetzt noch mal ausführlicher besprechen mit Loek Geeraedts. Er ist niederländischer Philologe, Publizist, und er war bis im vergangenen Jahr Geschäftsführer am Zentrum für Niederlande-Studien der Universität Münster. Schönen guten Morgen, Herr Geeraedts.
Loek Geeraedts: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
Armbrüster: Herr Geeraedts, wieso ist der Islam so ein Riesenthema in den Niederlanden?
Geeraedts: Ja, das ist traditionell in der Tat in den Niederlanden der Fall. Seit etwa 15 Jahren ist es mehr im Fokus gelandet. Es ist immer so gewesen in den Niederlanden, dass wir sehr viele Allochthonen in unserem Land begrüßt haben, mit ihnen gelebt haben, und das hat sich etwas verschärft in den letzten Jahren. Es ist aber nicht so außergewöhnlich, wenn man das vergleicht mit anderen europäischen Ländern.
"Vor 25 Jahren war die Welt noch in Ordnung"
Armbrüster: Sie kennen ja nun beide Länder, Deutschland auch. Warum ticken da die Menschen, warum tickt die Politik hier etwas anders als im Nachbarland?
Geeraedts: Ich glaube, dass es in den Niederlanden darum geht, dass viele Niederländer zwar ihre eigene persönliche Situation ganz positiv beurteilen, dass aber doch ein gewisses Frustpotenzial da ist, das irgendwie fokussiert werden muss. Wir hatten vor 25 Jahren die Situation, da war die Welt noch in Ordnung. Da hatten wir sozusagen einen Ost-West-Konflikt. Im Westen war man gegen den Feind im Osten und umgekehrt. Das ist jetzt nach dem Fall des Eisernen Vorhangs verschwunden und jetzt muss irgendjemand anders erhalten für Frust und für, sagen wir mal, Situationen, die man gerne irgendwie ausspielen will. Das ist in den Niederlanden sicherlich wie in anderen Ländern auch der Fall. Jetzt sind es die islamischen Mitbewohner, die jetzt im Fokus stehen.
Armbrüster: Das heißt, die islamischen Mitbewohner selbst, die haben eigentlich nichts damit zu tun? Bei denen hat sich nicht viel geändert?
Geeraedts: Bei denen hat sich nicht so viel geändert. Es gibt natürlich sehr wohl auch radikale Gruppierungen, die sich besonders hervortun, aber das ist potenziell nicht viel mehr als früher. Sie tauchen nur in der Publizität etwas mehr auf und es gibt eine Partei, die das aufgreift und die mit anderen Punkten das in den Vordergrund stellt.
Armbrüster: Und das ist die PVV von Geert Wilders?
Geeraedts: Das ist die PVV, richtig.
"Es kann durchaus sein, dass die PVV zweitgrößte Partei wird"
Armbrüster: Wie schätzen Sie die ein? Kann die morgen wirklich was reißen?
Geeraedts: Sicher! Das können sie sicherlich. Es ist aber eine Protestpartei. Es ist eine Partei, wo alle Niederländer, die mit den gefestigten Parteien nicht einverstanden sind, sich dort im Grunde genommen kulminieren. Es kann also durchaus sein, dass die PVV morgen vielleicht nicht die größte Partei, aber die zweitgrößte Partei wird. Sie wird aber im Prinzip im politischen Spektrum keine Bedeutung haben – deswegen, weil keine andere Partei mit der PVV koalieren möchte.
Armbrüster: Das heißt, sie bleibt auf jeden Fall außen vor vor jeder Regierungsbildung. Was für ein Signal würde das denn setzen, wenn sie tatsächlich, sagen wir mal, stärkste oder auch zweitstärkste Kraft werden würde?
Geeraedts: Sie müssen bedenken, dass die PVV, wenn sie stärkste Partei wird, möglicherweise 16 bis 17 Prozent der Stimmen in den Niederlanden erreichen wird. Dem stehen gegenüber 80 bis 85 Prozent der Stimmen der Parteien, die im politischen Spektrum der Niederlande von Bedeutung sind. Ich glaube, das muss man so in etwa einschätzen. Natürlich ist das ein Signal und natürlich greifen auch die Parteien, die anderen Parteien, die traditionellen Parteien, durch die Politik der PVV bestimmte Punkte auf und nehmen sie jetzt mittlerweile auch in ihren Wahlprogrammen auf. Aber sie setzen sich ab gegen die Radikalisierung der PVV und das gilt auch für die Mehrheit der niederländischen Wähler.
Armbrüster: Jetzt haben wir ja in der Geschichte immer wieder gesehen, dass radikale Parteien sehr oft sehr klein anfangen und dann im Laufe von Jahren plötzlich sehr viel größer werden, bis sie dann plötzlich eine wirklich beachtliche Mehrheit erreichen. Gibt es diese Befürchtung nicht auch, wenn man sich die PVV, wenn man sich die Partei von Geert Wilders ansieht?
Geeraedts: Die Befürchtung ist da. Die Wahrscheinlichkeit ist nicht sehr groß. Denn die PVV hat ja eigentlich im Vergleich zur letzten Wahl so viel mehr Anhängerschaft gar nicht gewonnen. Es ist mehr so, dass die jetzige Koalition ihre Mehrheit deutlich verlieren wird zu Gunsten anderer Parteien. Es kommen in der zweiten Reihe eine Reihe von Parteien hoch, die Linksliberalen, die Grünen werden Stimmen gewinnen, auch die Christdemokraten. Es wird jetzt vor allem fixiert auf die PVV, aber es sind auch noch andere Parteien, die deutlich gewinnen werden.
"Das Wahlprogramm ist eine A4-Seite"
Armbrüster: Herr Geeraedts, wenn man über die PVV, wenn man über Geert Wilders spricht, dann verfällt man immer leicht in diesen Modus, dass man das Ganze als große Gefahr sieht. Was ist eigentlich so gefährlich an dieser Partei? Oder vielleicht anders gefragt: Ist es nicht eigentlich etwas völlig Normales, wenn sich Menschen, wenn sich 17 Prozent in einem Land zusammentun und sagen, wir wollen eigentlich diese Form der Einwanderungspolitik nicht mehr haben?
Geeraedts: Ja, das ist durchaus nachvollziehbar, dass es Leute gibt, die das so denken. Ich glaube aber, dass es gar nicht mal nur um die Islamisierung der Niederlande geht. Es gibt gar nicht mal um die Zuwanderung alleine. Es geht auch um andere Punkte in der niederländischen Politik, die sozusagen zu einem Frustpotenzial geführt haben, die die PVV hat wachsen lassen. Ich glaube, es wird sich in den nächsten Monaten und auch in den nächsten Jahren herausstellen, dass die PVV ja keine Lösungen anbietet. Sie sind irgendwo dagegen, aber sind nirgends dafür. Ich glaube, dass es zu einer Koalition kommen wird, die deutlich macht, dass man Lösungen suchen muss und nicht nur immer irgendwo dagegen sein muss. Es ist ja auch signifikant, dass diese Partei eigentlich gar kein Wahlprogramm hat. Das Wahlprogramm ist eine A4-Seite und es sind plakative Absichtserklärungen.
Armbrüster: Man könnte sagen, das ist schön übersichtlich.
Geeraedts: Es ist sehr übersichtlich, aber es ist alles irrationell. Wissen Sie, wenn Sie vorschlagen, alle Moscheen zu schließen, wenn Sie vorschlagen, den Koran zu verbieten, wenn Sie vorschlagen, die islamischen Schulen zu schließen, dann müssen Sie auch angeben, wie Sie das machen wollen, und das macht die PVV nicht. Die PVV, wenn es darauf ankommt, läuft weg und scheut die Mitverantwortung. Deswegen glaube ich nicht, dass das sehr sinnträchtig ist, und ich glaube, dass die anderen Parteien das auch aufgreifen werden.
Armbrüster: Mal angenommen, die PVV landet, so wie es jetzt gerade in den Umfragen aussieht, morgen unter den stärksten Parteien, oder wird vielleicht sogar stärkste Kraft, kann man dann die Niederlande noch als ein liberales Land bezeichnen?
Geeraedts: Ich glaube, ja, denn ich habe vorhin schon gesagt, etwa 80 bis 85 Prozent der Niederländer wählen andere Parteien und es wird zu einer Koalition kommen und diese Koalition wird zeigen, dass die Niederlande nach wie vor ein liberales Land sind.
Armbrüster: Live hier bei uns heute Morgen in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk war das der niederländische Philologe und Publizist Loek Geeraedts. Vielen Dank, Herr Geeraedts, für das Interview.
Geeraedts: Auf Wiederhören!
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