Großbritannien wählt am Donnerstag ein neues Unterhaus, nur wenige Tage nach dem Terror an London Bridge und Borough Market. Wird Theresa May für ihre Innenpolitik bestraft oder belohnt?
Am Sonntag stimmen dann die Franzosen darüber ab, mit welcher Parlamentsmehrheit ihr neuer Präsident Emmanuel Macron künftig regiert. Schafft er es, genügend eigene Abgeordnete hinter sich zu vereinen?
Und über allem schwebt die Diskussion, wie sich die Europäische Union verändern muss. Euro-Finanzminister, Eurobonds, Euro-Haushalt, eine stärkere gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik als bisher? Vorschläge gibt es genug, aber welche davon taugen wirklich?
Es diskutierten:
- Sven Giegold, Mitglied des Europäischen Parlamentes, Die Grünen
- Ulrich Ladurner, Journalist, Europa-Korrespondent "Die Zeit"
- Emanuel Richter, Professor für Politische Systeme am Institut für Politische Wissenschaft der RWTH Aachen
- Christoph B. Schiltz, Journalist, EU- und NATO-Korrespondent "Die Welt / Welt am Sonntag"
Giegold: "Reformen in EU nicht alleine mit Deutschland und Frankreich"
Die europäische Kooperation in Sicherheitsfragen sei schlecht, beklagte der Grünen-Europaparlamentarier Sven Giegold. Das habe sich gerade erst nach den Anschlägen in London gezeigt. Einer der Attentäter sei den italienischen Behörden bekannt gewesen, den britischen aber nicht. Giegold kritisierte, dass sich die Sicherheitsbehörden in EU-Europa misstrauten und sich gegenseitig überwachten. "Bisher kann Europol nicht grenzüberschreitend agieren, wir brauchen gemeinsame Ermittlungsteams, die grenzüberschreitend arbeiten können", so der Grünen-Politiker. Als Vorbild nannte er die europäische Bankenaufsicht. Die Verteidigungsausgaben in Europa seien seiner Meinung nach "nicht (*) zu niedrig, sondern ineffizient". Für Reformen der Europäischen Union sei es notwendig, dass nicht nur Deutschland und Frankreich dies wollten, sondern alle EU-Mitglieder mitmachten. Zu der Diskussion um einen gemeinsamen Euro-Finanzminister, wie ihn der französische Präsident Emmanuel Macron ins Spiel gebracht hatte, sagte Giegold, der künftige Euro-Gruppen-Chef sollte kein nationaler Finanzminister sein wie jetzt, sondern ein EU-Kommissar.
Ladurner: "Europa ist gespalten"
Der ZEIT-Journalist Ulrich Ladurner sieht keine Chance, dass nach der britischen Unterhauswahl der Brexit rückgängig gemacht werde. Auch Ladurner mahnte eine bessere gemeinsame Sicherheitspolitik an. Europas Sicherheit im Inneren hänge davon ab, wie sich die Region im Nahen und Mittleren Osten, aber auch Nordafrika entwickele. "Ich halte die offene Grenze zu Libyen für eines der größten Probleme, diese Grenze kann EU zurzeit nicht sichern", sagte der Europa-Korrespondent. Seiner Meinung nach sei eine Kooperation zwischen den europäischen Armeen nötig. Leider kochten zu viele Nationalstaaten ihr eigenes Süppchen: " Das Europa, das wir haben, ist ein gespaltenes Europa zwischen Nord und Süd sowie zwischen Ost und West. Bevor wir Europa weiter ausbauen, sollten wir lieber erst diese Spaltung überwinden". Ladurner kritisierte, Europa könne sich nicht mehr so stark auf die USA verlassen wie es vor der Trump-Ära gewesen sein. Frankreichs neuer Präsident Macron dagegen sei mit "einem sehr großen Vertrauensvorschuss" ins Amt gewählt worden. Nun müsse sich beweisen, ob er dies rechtfertigt.
Schiltz: "Macron-Euphorie ist übertrieben"
Je knapper Theresa May die Unterhauswahl in Großbritannien gewinne, desto schwieriger werde es für die Europäische Union danach, mit den Briten über die Brexit-Inhalte zu verhandeln, gab der WELT-Journalist Christoph B. Schiltz zu bedenken. Ein Grundproblem von EU-Europa sein, dass es viele gute Gesetze gebe, die aber nicht angewendet würden: "Wir reden immer über Reform, dabei gibt es vieles schon". Am Sonntag, glaubt Schiltz, werden in der "EU-Hauptstadt" Brüssel viele dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron für die Parlamentswahlen die Daumen drücken. Auch wenn er selbst die "Macron-Euphorie" für übertrieben halte. Zur möglichen engen Zusammenarbeit von Deutschland und Frankreich sagte Schiltz, die beiden Länder meinten nicht das gleiche, wenn sie einen Euro-Finanzminister und einen gemeinsamen Euro-Haushalt forderten. Sein Tipp: "Lassen sie uns doch alle schauen, dass man das durchsetzt, was da ist, diese ganzen bürokratischen Monster, dann wären wir schon ein ganzes Stück weiter."
Richter: "Osteuropa darf nicht zur Peripherie werden"
Der Aachener Politikwissenschaftler Emanuel Richter empfand nach eigenen Angaben sogar ein wenig Häme für die Situation, in der die britische Premierministerin Theresa May steckt. Dass es nicht automatisch darauf hinausläuft, dass sie die vorgezogenen Unterhauswahlen gewinnen, zeige: "Strategiespiele gehen halt nicht immer auf." Für Richter ist die "Asymmetrie der EU-Partner" das Kernproblem der Europäischen Union. Es gebe große Akteure wie Deutschland und kleine Länder, die sich nicht an allen Themen beteiligen können. Mit Blick auf die aktuellen EU-Vorschläge zur Vertiefung der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik riet er, "die EU-Kommission sollte zu ihren hyper-ehrgeizigen Projekten Alternativen bereit halten. Er habe Sorge, so Richter, dass Osteuropa zur Peripherie der Kern-EU werde. Ein EU-Finanzminister mit eigenem Budget würde "ein heilloses Durcheinander". Richter rief dazu auf, "auch die Ängste der Populisten ernst nehmen, die vor EU-Zentralismus warnen".
(*) In der ersten Version unserer Textzusammenfassung dieser Diskussionssendung fehlte das Wort "nicht" in dem Zitat von Sven Giegold, wodurch das Gemeinte ins Gegenteil verkehrt wurde. Wir haben es ergänzt und bitten den Fehler zu entschuldigen.