Proteste begleiteten die Wahl der neuen Regierungschefin. Rund um das Hongkonger Kongresszentrum ging es bunt und laut zu, wütende Demonstranten brüllten anti-festlandchinesische Parolen in ihre Megafone. Auf Transparenten war immer wieder der Vorwurf zu lesen, die Wahl sei eigentlich gar keine. Und tatsächlich: Es stand von vornherein fest, dass sich die knapp 1.200 Wahlleute mehrheitlich für Carrie Lam entscheiden würden.
Denn das überwiegend von Wirtschaftsvertretern besetzte Wahlleutegremium tickt mehrheitlich pro-festlandchinesisch und auch die ehemalige Verwaltungschefin der britischen Ex-Kolonie gilt als pekingfreundlich. Und tatsächlich hatten ihre beiden Gegenkandidaten keine Chance gegen Lam. Beide übrigens auch keine ausgesprochenen Demokratie-Aktivisten.
Kritik aus dem pro-demokratischen Lager
Nach der Wahl am Vormittag versuchte die künftige Regierungschefin auffällig deutlich, auf ihre Kritiker zuzugehen.
"Grundwerte wie Presse- und Meinungsfreiheit, die Achtung der Menschenrechte und die hart erkämpfte Rechtsstaatlichkeit und die unabhängige Justiz sind Dinge, die wir Hongkonger wertschätzen und auf die wir stolz sind. Als Eure Regierungschefin werde ich alles tun, um das Prinzip 'Ein Land, zwei Systeme' aufrechtzuerhalten und unsere Grundwerte zu erhalten."
Lams Kritiker aus dem pro-demokratischen Lager hatten sie vor der Wahl scharf angegriffen und von einem Albtraum gesprochen, der mit ihrer Wahl war werde. Sie werfen ihr vor, einen Kuschelkurs mit der chinesischen Zentralregierung zu fahren und die Autonomierechte Hongkongs aufs Spiel zu setzen. Als die sieben Millionen Einwohnerstadt vor knapp 20 Jahren von den Briten an China zurückgegeben wurde, wurden diese und die weitreichende Autonomie Hongkongs vertraglich zugesichert.
Einfluss der chinesischen Regierung gewachsen
In den vergangenen Jahren jedoch ist der direkte und der indirekte Einfluss der chinesischen Regierung jedoch immer weiter gewachsen, auf Wirtschaft, Gesellschaft und eben auch auf die Politik. Vor allem haben die Hongkonger immer noch nicht die Möglichkeit, frei zu wählen. Au Nok-Hin von der nicht staatlichen Organisation "Civil Human Rights Front":
"Welcher Kandidat hier auch immer gewählt wird - das ist keine Demokratie. Nur ein kleiner Zirkel wählt hier und deswegen kämpfen wir für das allgemeine Wahlrecht."
Vor rund drei Jahren waren in Hongkong Hunderttausende Menschen für mehr Demokratie auf die Straßen gegangen. Die sogenannten Regenschirmproteste blieben jedoch ohne Ergebnisse. Die politische Partei Demosisto, die aus den Protesten von damals hervorgegangen ist, erklärte nach der Wahl heute, man plane neue Aktionen des Zivilen Ungehorsams. Die Menschen in Hongkong fürchteten sich davor, dass aus dem Prinzip "Ein Land, zwei Systeme" mit der Wahl Carrie Lams bald "Ein Land, anderthalb Systeme" werde.