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Wahlen in Indien
Die Götter wählten mit

Die Inderinnen und Inder haben gewählt, die Ergebnisse werden in wenigen Tagen bekannt gegeben. Klar ist schon jetzt: Der Wahlkampf hat religiöse Konflikte angeheizt, vor allem zwischen Hindus und Muslimen.

Von Horst Blümel |
Amit Shah, Parteipräsident der Bharatiya Janata Party (BJP), bei einer Werbetour in Kolkata
Amit Shah, Parteipräsident der Bharatiya Janata Party (BJP), bei einer Werbetour in Kolkata (dpa / picture alliance / NurPhoto)
Seit der letzten Wahl 2014 regiert die nationalistische Bharatiya Janata Party, die BJP. Zum ersten Mal nach 30 Jahren erhielt eine Partei die absolute Mehrheit. Die BJP-Politikerin Maneka Gandhi auf einer Veranstaltung nach Beginn der aktuellen Abstimmung:
"Ich gewinne die Wahl nur durch die Unterstützung der Wähler. Und es wäre nicht gut, wenn Muslime mich nicht wählen würden. Aber auch ohne ihre Stimmen werde ich die Wahl gewinnen. Jedoch bin ich nicht bereit, ohne eine Gegenleistung etwas für sie zu tun. Wenn Muslime mich dann später nach Jobs fragen - nun, dann kann ich ihnen auch nicht weiter helfen."
Attacken und Lynchjustiz
Maneka Gandhis Rede hat nicht nur unter den Muslimen im Land Empörung ausgelöst, auch von Politikern der anderen Parteien gab es heftige Kritik. Akademiker sind allerdings mit ihren Äußerungen zur Politik zurückhaltender geworden.
"Einige Leute sind angegriffen worden, nur weil sie eine andere Meinung hatten als die regierenden Politiker. Das waren Menschen, die sich objektiv geäußert haben und keiner Partei nahestanden."
Sagt der Historiker Raziuddin Aquil von der University of Delhi.
"Solche Leute müssen Freiheiten genießen, damit unsere Gesellschaft richtig informiert wird und nicht nur politische Propaganda zu hören bekommt. Aber neutrale politische Beobachter sind in unseren Institutionen und in der Öffentlichkeit attackiert worden. Dies ist völlig inakzeptabel."
Seit der Regierungsübernahme der BJP vor fünf Jahren ist es nicht nur zu Angriffen gegen regierungskritische Personen gekommen, sondern auch Bauern, die Handel mit Kühen betreiben, sind ins Visier radikaler Hindu-Nationalisten gelangt.
Da die Kuh im Hinduismus heilig ist, stoppten sogenannte Kuhbeschützer immer wieder Transporte mit Kühen, zogen die Fahrer aus dem Führerhaus und verprügelten sie. Einige verletzten sie so schwer, dass diese Menschen starben.
2015 forderte der Regierungschef des Bundeslandes Haryana, ein Minister der BJP, die in Indien lebenden Muslime auf, den Verzehr von Rindfleisch einzustellen.
Im gleichen Jahr lynchte ein Mob den 52-jährigen Mohammad Akhlaq in einem Vorort der indischen Hauptstadt: Man hatte ihn beschuldigt, Rindfleisch in seinem Kühlschrank aufzubewahren. Seitdem sind fast 50 Menschen gestorben, die von den Hindu-Nationalisten angegriffen wurden.
"Das Gesetz muss für alle gleich sein. Niemand darf aufgrund seiner Religion benachteiligt werden. Auch Minderheiten müssen die gleichen Rechte haben. Wenn man allerdings den Muslimen verbieten will, Rindfleisch zu essen und Lynchjustiz durchgehen lässt, dann sind die Verfassung und das Gesetz wirklich nichts wert. Und wenn ein Mob einfach die Gesetze missachten kann, wie ist es dann um die Autorität des Staates bestellt?"
"Die Politik versagt und wir müssen damit leben"
Auch 1992 war die Polizei machtlos, als militante Hindus in Ayodhyia die Babri-Moschee innerhalb weniger Stunden zerstörten. Danach kam es kam zu gewalttätigen Ausschreitungen im ganzen Land, bei denen über 2.000 Menschen starben – vor allem Muslime. Dort, wo die Moschee stand, soll vor 60.000 Jahren der Hindu-Gott Rama zur Welt gekommen sein. Hier soll ein Rama-Tempel entstehen, fordern Politiker der BJP und Hindu-Nationalisten immer wieder. Der Oberste Gerichtshof muss aber erst ein Urteil fällen, da sowohl Muslime als auch Hindus den Platz für sich beanspruchen. Ende November des vergangenen Jahres demonstrierten 200.000 Hindus in Ayodhiya und an anderen Orten für den Bau des Hindu-Tempels.
Die Schriftstellerin und Aktivistin Urvashi Butalia:
"Wenn unsere Politiker an einem friedlichen Miteinander interessiert wären, hätten sie das schon längst erreichen können. Aber sie haben versagt und wir müssen nun damit leben. Und wenn der politische Wille nicht da ist, jedem die gleichen Rechte einzuräumen, wird sich auch an der Situation derer, die seit langem unter Benachteiligung leiden, nichts ändern."
In Indien sind 80 Prozent der Bevölkerung Hindus und 14 Prozent Muslime. Die meisten Hindus haben Vorurteile gegen ihre muslimischen Mitmenschen im Land: Sie seien in der Mehrzahl aggressiv, würden heimlich zu Pakistan halten und auch zu viele Kinder kriegen. Und Politiker zeigen kein Interesse, diese Meinung korrigieren zu wollen - im Gegenteil. Der Hindupriester und Regierungschef von Uttar Pradesh, Yogi Adityanath, hat den Begriff "Love Djihad" geprägt. Damit prangert er an, dass Muslime Frauen anderen Glaubens heiraten. Und dass diese Frauen zum Islam übertreten müssen.
"Was Muslime angeht, gibt es unter Hindus eine ganze Menge von Klischeevorstellungen. Der Wahrheit halber muss man aber sagen, dass Muslime hierzulande schon seit langem nicht mehr durch Aggressionen aufgefallen sind. Die einzige Ausnahme stellen die Unruhen dar, die sich 1992 in Bombay, dem heutigen Mumbai, zugetragen haben. Und da kamen die Urheber des Ganzen – fanatische Muslime mit indischen Wurzeln - aus Arabien. Und von dort stammte auch das Geld, mit dem die damaligen Angriffe finanziert worden sind."
Wählen für Modi und den Rama-Tempel
Kurz vor Beginn der Wahl des neuen Parlaments ging in Uttar Pradesh das größte religiöse Fest der Welt zu Ende. Nach Prayagraj, dem ehemaligen Allahabad, kamen Millionen Hindus, um im heiligen Ganges ein rituelles Bad zu nehmen, das sie von ihren Sünden befreien soll. Dieses Fest, die Kumbh Mela, finanzierte die Bundes- und Landesregierung. Für Yogi Adityanath war die Kumbh Mela das wichtigste Projekt nach seinem Amtsantritt.
Auf dem Fest sangen Hindupriester und religiöse Führer Loblieder auf Premierminister Narendra Modi und Yogi Adityanath – für die beste Kumbh Mela aller Zeiten. Sie riefen die Gläubigen auch dazu auf, die Regierungspartei BJP bei der nächsten Wahl zu unterstützen, damit der Rama-Tempel in Ayodhya endlich Wirklichkeit wird.
"Statt neue Jobs zu schaffen, wie Narendra Modi es versprochen hatte, ist die Zahl der Arbeitslosen noch gestiegen! Und in dieser Situation versucht die BJP, erneut die Wahlen zu gewinnen. Knapp 40 Prozent der indischen Bevölkerung ist jung, will arbeiten und sich engagieren. Die meisten der jungen Leute sind Hindus. Sie finden keine angemessene Arbeitsstelle, fühlen sich diskriminiert und lassen sich somit auch leicht aufwiegeln."
Aggressive Positionen gegen Muslime
Obwohl die Wahl bereits begonnen hat, setzen die Politiker ihren Wahlkampf fort, um noch Wählerstimmen zu gewinnen. Nicht nur Premierminister Narendra Modi mit seinen Ministern ist unterwegs, sondern auch Rahul Gandhi, der Vorsitzende der National Congress Party. Er ist der schärfste Konkurrent um das Amt des zukünftigen Premierministers.
"Muslime haben immer die Kongresspartei und auch die kommunistischen Parteien unterstützt. Diese Parteien bekennen zur Trennung von Religion und Staat. Die BJP gerät da in Schwierigkeiten, wegen der Lynchmorde, dem Schlachtverbot von Rindern und anderer Begebenheiten. Es mag durchaus sehr gute BJP-Kandidaten geben, die Zuspruch von Muslimen bekommen. Aber da diese Partei immer mal wieder eine sehr aggressive Position gegen Muslime einnimmt, wird sie wohl kaum Stimmen von dieser Religionsgruppe bekommen."
Varanasi, die heilige Stadt am Ganges, war vor kurzem Ziel des Premierministers. Am Ufer des Ganges führte Narendra Modi, in Anwesenheit von Priestern und vielen Anhängern, ein hinduistisches Ritual durch.
Um den Ganges geht es auch den Demonstranten, die seit Ende Januar in Neu-Delhi protestieren. Sie wenden sich gegen Pläne der Regierung, Dämme im heiligen Fluss zu errichten.
"Die Ganga spielt in unserer Religion traditionell eine große Rolle. Der Fluss stellt für Abermillionen von Hindus eine Göttin dar. Und unsere Politiker wollen unsere Göttin zerstören, indem sie ihren Lauf behindern. Unsere Regierung besteht aus Heuchlern, die sich als religiös bezeichnen und korrupt sind. Diesen Menschen stellen wir uns mit aller Kraft entgegen."