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Wahlen in Jordanien
Minimalbeteiligung der islamischen Opposition

König Abdulla II. von Jordanien versucht, die islamistische Opposition im Land klein zu halten. Deshalb wurden in Jordanien mehrfach das Wahlrecht geändert und die bürgerlichen Rechte eingeschränkt. Das Parlament hat ohnehin nicht viel Gestaltungsspielraum - dennoch sehen auch einige Oppositionellen in der aktuellen Wahl einen Hoffnungsschimmer.

Von Jürgen Stryjak |
    Der jordanische König Abdullah bei einer Rede in Rom (10.12.2015).
    Der jordanische König Abdullah bei einer Rede in Rom. (afp / Alberto Pizzoli)
    In der heißen Phase des Wahlkampfes im Vorfeld der Parlamentswahlen wird getanzt und gesungen, wie hier zum Beispiel bei einer Veranstaltung der Muslimbrüder. Auch die Anhänger anderer Strömungen bejubeln ihre Kandidaten.
    Die Regierung fordert die Wahlberechtigten unermüdlich dazu auf, von ihrem Wahlrecht unbedingt Gebrauch zu machen. König Abdullah II. versichert seinem Volk, dass er "eine echte parlamentarische Regierung" möchte.
    Bislang hat das Parlament in Jordanien allerdings wenig zu melden. Fast alle Entscheidungen werden vom Königshaus getroffen. Oder von der Regierung, die der König ernennt. Ein neues Wahlgesetz soll angeblich Abhilfe schaffen:
    "Das neue Gesetz ist in der Tat ein Fortschritt", erklärt der Blogger Naseem Tarawneh am Tag der Wahl, also am vergangenen Dienstag. "Jetzt ist es erstmals möglich, Kandidatenlisten und Parteien zu wählen. Das könnte die Parteien stärken und eine neue Art von Parlament schaffen."
    Die Parteien sind allerdings immer noch schwach. Bislang stimmten die Wähler zumeist für einen Kandidaten, der ihrem Stamm angehört oder von dem sie eine neue Straße für ihr Dorf erwarteten oder eine Trinkwasserleitung – aber nicht für ein politisches Konzept.
    Königshaus schränkte bürgerliche Freiheiten ein
    20 Prozent aller Kandidaten sind Frauen. Eine von ihnen ist Hind al-Fayez, Ende 40, Mutter von vier Kindern. Als sie am Tag vor der Wahl in ihr Büro am Stadtrand kommt, wird sie euphorisch begrüßt. Hind al-Fayez ist beliebt, weil sie sich nicht einschüchtern lässt.
    "Seit 27 Jahren bekommen wir bei jeder Wahl ein neues Wahlgesetz. Wenn die Leute es gerade so verstanden hatten, dann wurde es wieder geändert. Das ist kein Zufall, das ist Absicht."
    In den vergangenen Jahren schränkte die Regierung bürgerliche Freiheiten ein mit der Begründung, dies diene dem Erhalt der Stabilität des Landes und dem Kampf gegen Extremisten. Hind al-Fayez widerspricht:
    "Man wirft Kritiker nicht ins Gefängnis und behauptet, dass dies Stabilität schaffe. Ich erlebe, dass die Menschen frustriert sind. Wer sich einer Terrorgruppe anschließt, tut dies doch nicht aus ideologischen Gründen, sondern weil er verbittert ist."
    Auch sie möchte ein stabiles Jordanien, befürchtet aber, dass das Gegenteil eintritt, wenn der Staat die Zivilgesellschaft unterdrückt. Die repressiven Maßnahmen verursachen allerdings nur wenig Aufregung im Land.
    "Ich denke, die Menschen setzen Prioritäten", erklärt der Blogger Naseem Tarawneh. "Das Konzept von Stabilität ist tief verwurzelt. Es ist Teil der nationalen Identität, besonders angesichts dessen, was in Syrien geschieht, oder seit der Flüchtlingskrise."
    Für Nervosität sorgen die Islamisten, unter anderem bei den Christen des Landes. So mancher sieht in ihnen einen Garant für Instabilität. Awda Qawass, Christ und hoher Kirchenfunktionär, hat deshalb beschlossen, bei der Parlamentswahl auf der Liste der Islamischen Aktionsfront zu kandidieren. Sie ist die stärkste unter mehreren Gruppierungen der Muslimbruderschaft.
    "Dies ist eine Chance für einen Christen wie mich, dessen Glauben stark genug ist, um dabei zu helfen, dass die Christen in der Region nicht weiter geschwächt werden."
    Angst vor der Radikalisierung
    Awda Qawass befürchtet eine Radikalisierung der Christen als Reaktion auf die Bedrohung. Sie seien dabei, sagt er, eine Art christlichen IS zu bilden. Er will die wachsende Polarisierung in der Gesellschaft bekämpfen. Er sucht Verbündete, nicht Gegner. Und glaubt, sie in der Islamischen Aktionsfront gefunden zu haben. Bei einer Wahlveranstaltung von christlichen Kandidaten wird er dafür als Verräter beschimpft, einer der christlichen Kandidaten bezeichnet ihn als "Scheich". Awda Qawass fordert wütend eine Entschuldigung.
    Ali Abu Sukkar von der Islamischen Aktionsfront sagt, seine Partei habe sich vom Slogan "Der Islam ist die Lösung" verabschiedet, weil er nicht mehr in die Zeit passe:
    "In unserer Liste treten jetzt erstmals Kandidaten an, die eine andere Religion haben und andere politische Auffassungen. Wir haben aus den Erfahrungen in Tunesien, Marokko und Ägypten gelernt. Wir haben uns weiterentwickelt."
    Der Wahltag am vergangenen Dienstag verläuft überwiegend reibungslos. Inzwischen sind auch die ersten Ergebnisse da. Der Christ Awda Qawass hat es nicht ins Parlament geschafft. Und Hind al-Fayez muss noch warten. In ihrem Bezirk wurden zehn Wahlurnen gestohlen, in einigen Wahllokalen ging plötzlich das Licht aus. Womöglich wird hier neu ausgezählt oder die Wahl sogar wiederholt.
    Die Islamische Aktionsfront ist, nachdem sie die Wahl Jahre lang boykottiert hatte, im neuen Parlament wieder vertreten. Ihre Liste errang 15 von insgesamt 130 Sitzen. Allerdings lag die Wahlbeteiligung nur bei 36 Prozent. Die meisten Stimmen gingen an Stammesvertreter und Geschäftsleute, die dem Königshaus nahestehen. Der Blogger Naseem Tarawneh hatte dies erwartet.
    "Ich bin trotzdem vorsichtig optimistisch", sagte er am vergangenen Dienstag. "Wenn Wandel nur zu einem Prozent wahrscheinlich ist, dann ist das wichtig. Die Alternative dazu wäre null Prozent."