Ein Seminarraum in der Nasarbajew-Universität in Kasachstans Hauptstadt Astana. Aydana, Biologie-Studentin, hält ein Referat. Sie stellt ein Forschungsprojekt vor, wirft eine Tabelle nach der anderen an die Wand. Es geht um Wirkstoffe gegen Arterienverschluss, eine der, wie sie sagt, häufigsten Erkrankungen in Kasachstan. Die Kommilitonen schreiben auf Computern mit. Es gibt nur wenige Nachfragen. Aydana ist zufrieden. "Wenn ich ein Stipendium bekomme, mache ich das Projekt später. Es basiert auf echten Daten. Ich möchte Wissenschaftlerin werden."
Die Nasarbajew-Universität ist eine Eliteeinrichtung, benannt nach ihrem Gründer, dem, wie es in der Verfassung heißt, "Ersten Präsidenten und Führer der Nation". Die Hochschule wurde aus dem Boden gestampft wie die gesamte Hauptstadt Astana, mitten in der kasachischen Steppe, mithilfe der Einnahmen aus dem Öl- und Gasexport. Der Lehrbetrieb begann vor vier Jahren, die Professoren kommen aus aller Welt, alle Veranstaltungen sind auf Englisch. Alles ist neu, ständig springt der Feueralarm an. Sie achten einfach nicht mehr darauf, erzählt Aydana.
"Das hier ist die einzige Universität in unserem Land mit einem modernen und internationalen Bildungssystem. (…) Wir haben stets die neuesten Forschungsdaten zur Hand. Wir haben wirklich gute Professoren. (…) Und hier herrscht auch eine besondere Denkweise. Es ist kreativ, wir haben Spaß." In den anderen Universitäten Kasachstans ist alles noch wie in der Sowjetunion. Total veraltet.
Am Eingang zur Uni hängen Aufforderungen, am Sonntag wählen zu gehen. Amtsinhaber Nasarbajew wird Präsident bleiben, daran besteht kein Zweifel. Er hat das Land fest in der Hand. Aydana lächelt. Ob sie wählen gehe, will sie nicht sagen. In der Universität seien sie frei, außerdem beschäftige sie sich nicht mit Politik. "Der Name der Universität bedeutet mir nicht viel. Sie heißt einfach nach einer sehr beliebten und wichtigen Person. Mehr nicht. Das heißt nicht, dass wir Nasarbajew wählen müssen."
Tausende studierten auf Staatskosten im Ausland
Viele tun es freiwillig. Die Zustimmung zu dem 74-Jährigen ist überwältigend – auch unter gebildeten Jugendlichen. Nasarbajew hat das Land nach der Unabhängigkeit in alle Richtungen geöffnet. Mehr als zehntausend Studenten durften in den vergangenen zwanzig Jahren auf Staatskosten im Ausland studieren. Der Präsident hat eigens ein Programm geschaffen: "Bolaschak", das heißt "Zukunft". Viele Absolventen arbeiten heute im Staatsdienst in Astana. Zum Beispiel Sajasat Nurbek. Er hat das Bolaschak-Programm eine Zeit lang geleitet, beherrscht mehrere Sprachen, darunter Chinesisch, und leitet mit 33 Jahren die Denkfabrik der Partei des Präsidenten. "Der Präsident hat ein wichtiges Erbe aufgebaut: Eine junge Generation, die sehr gut ausgebildet ist, starke Werte hat und an diesem Land und dieser Nation hängt. Die Gesellschaft wird immer moderner. Haben Sie vom Marathon in Almaty gehört? Der findet am Sonntag statt. Den hat ein Bolaschak-Absolvent eingeführt, der in Boston studiert hat."
Almaty ist die ehemalige Hauptstadt Kasachstans. Sie gilt nach wie vor als kulturelles und intellektuelles Zentrum des Landes, obwohl viel Geld nach Astana fließt.
Gegenüber der Oper trinkt ein junger Mann Kaffee aus dem Pappbecher und isst ein Croissant aus der Tüte. Jewgenij arbeitet in einer Bank und macht gerade Frühstückspause. Er wird nicht zur Wahl gehen. "Ich habe noch nie gewählt. Aus Protest. In diesem Land hat es keinen Sinn zu wählen. Wir haben seit mehr als 20 Jahren ein und denselben Menschen zum Präsidenten." In meiner Seele bin ich aber im Prinzip auch froh, dass er das Land führt. Er ist nun mal die beste Variante für unser Land.
Gefahr durch radikalen Islam
Jewgenij verbringt den Sonntag lieber mit seiner Frau. "Meine ausländischen Freunde vergleichen immer die Länder, die auf –stan enden. Zum Beispiel Kasachstan, Kirgistan und Usbekistan. Im Prinzip hat alles, was die Regierung und unser Präsident in den vergangenen 20 Jahren getan haben, dafür gesorgt, dass wir nicht klagen können. Wenn du ein bisschen Köpfchen und eine gute Ausbildung hast, findest du hier einen guten Job. Vielleicht nicht im Staatsdienst, da brauchst du Beziehungen, aber in der Wirtschaft, bei internationalen Unternehmen. Ich habe ein Auto, ich kann es mir leisten, ein, zwei Mal im Jahr ins Ausland zu reisen. Aber das können nur wenige Menschen in unserem Land. In Kasachstan gibt es einen sehr großen Unterschied zwischen reich und arm."
Kritische Beobachter sehen genau darin eine potenzielle Gefahr für die viel gelobte Stabilität des Landes. In Almaty hat der unabhängiger Politologe Dosym Satpajew sein Büro. Er warnt vor einer Radikalisierung der Jugendlichen durch den Islam. "Jugendliche stellen etwa 27 Prozent der Bevölkerung. Viele von ihnen, besonders auf dem Land, sehen für sich keine Zukunft. Sie haben keine gute Ausbildung und kein Geld, um in eine große Stadt zu ziehen, dort eine Wohnung zu kaufen und eine Familie zu gründen. Viele suchen schon jetzt Zuflucht in der Religion. (…) Es gibt eine soziale Basis für islamistischen Extremismus. Und sie wird wachsen."
Bisher hat der radikale Islamismus in Kasachstan aber keine Bedeutung. Die Biologie-Studentin Aydana bekommt an der Nasarbajew-Universität in Astana von solchen Entwicklungen ohnehin nicht viel mit. Sie glaubt an ein weltoffenes Kasachstan. "Ich glaube, Astana wird mal so eine Art Dubai. Und Kasachstan ist so etwas wie das Herz Eurasiens. Ich war in Europa, in den USA, in asiatischen Ländern. Die Menschen in Kasachstan können die Kulturen all dieser Länder verstehen. Denn hier ist es sehr gemischt. Wir sind postsowjetisch, wir sind russisch, zugleich haben wir eine asiatische Mentalität und wir versuchen, Amerikaner zu sein, offen und liberal. Dieses Denken ist typisch für meine Generation."