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Wahlen in Portugal
Vom TV-Star zum Präsidentschaftskandidat

Portugal wählt am Sonntag einen neuen Präsidenten. Favorit ist der gemäßigte Konservative Marcelo Rebelo de Sousa - ein TV-Star, der bis vor kurzem und fast 16 Jahre lang in den Sonntagabendnachrichten kommentiert hat. Diese Verquickung von Politik und Medien ist in Portugal kein Einzelfall.

Von Tilo Wagner |
    Der portugiesische Präsidentschaftskandidat Marcelo Rebelo de Sousa.
    Der portugiesische Präsidentschaftskandidat Marcelo Rebelo de Sousa. (AFP / Franciso Leong)
    An einer Straßenkreuzung direkt neben dem Präsidentenpalast im Lissabonner Stadtteil Belém steht Gonçalves Pereira mit seinen Freunden in der milden Wintersonne. Bis vor einem Monat trafen sich die Rentner hier jeden Morgen in einem Café. Doch das Lokal musste schließen, und jetzt ist der Präsidentschaftskandidat Marcelo Rebelo de Sousa mit seinem Wahlkampfteam vorübergehend in das Gebäude gezogen.
    "Ich kenne Marcelo aus dem Fernsehen und höre ihm sehr gerne zu. Er kann sich sehr gut ausdrücken, er ist intelligent und gebildet. Er macht auf mich einen sehr guten Eindruck."
    Zehn Persönlichkeiten aus den unterschiedlichsten Bereichen der portugiesischen Gesellschaft bewerben sich um das höchste Staatsamt, unter anderem ein früherer Universitätspräsident, eine ehemalige Gesundheitsministerin und ein bekannter Korruptionsbekämpfer. In Lissabon finden sich riesige Wahlposter mit den freundlichen Gesichtern der Präsidentschaftskandidaten. Nur das Konterfei von Marcelo Rebelo de Sousa sucht man vergeblich.
    Das habe Rebelo de Sousa auch nicht nötig, sagt die Kommunikationswissenschaftlerin Rita Figueiras von der Katholischen Universität in Lissabon:

    "Seine Popularität ist das Resultat einer langen und erfolgreichen TV-Karriere. Seit fast 16 Jahren kommentiert Marcelo Rebelo de Sousa einmal wöchentlich in den Abendnachrichten eines großen Senders die aktuellen politischen Ereignisse. Und dieses Magazin wurde von durchschnittlich einer Millionen Portugiesen gesehen. Niemand hat in Portugal einen derartig großen Einfluss über die Medien erreicht, und das ist natürlich für seine Mitstreiter ein großes Problem."
    Absolute Mehrheit im ersten Wahlgang möglich
    Laut jüngsten Umfragen könnte Rebelo de Sousa bereits im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit erreichen, und das, obwohl der 67-jährige Professor für Rechtswissenschaften seine Kandidatur unabhängig präsentiert hat, ohne sich auf die Wahlkampfmaschinerie seiner Partei, der konservativen PSD, zu stützen. Rebelo de Sousa war in 1990er-Jahren Vorsitzender der PSD gewesen, bevor er sich aus der aktiven Politik zurückzog.
    Der TV-Erfolg seiner Magazin-Sendung hat eine Entwicklung losgetreten, die die Beziehung zwischen Fernsehen und Politik in Portugal grundlegend verändert hat. Ehemalige Spitzenpolitiker kommentieren mittlerweile tagtäglich die politischen Ereignisse. Kritische Analyse und parteigefärbte Interpretation seien nur schwer voneinander zu trennen, sagt Rita Figueiras, die die Macht der Politiker im portugiesischen Fernsehen seit Jahren analysiert:
    "Es fällt sehr schwer, Kommentatoren zu finden, die nichts mit den politischen Entscheidungen zu tun haben, die sie kommentieren. Das stellt das Prinzip des öffentlichen Raums auf den Kopf. Eigentlich sollte dieser Raum existieren, damit die Bürger die Politiker und ihre Entscheidungen besser kontrollieren und so eine kritische Meinung entwickeln können. Wenn die Grenzen zwischen dem öffentlichen Raum und der Politik so stark verwischen, ist das bedenklich und müsste eigentlich eine tiefgreifende Debatte anstoßen."
    Marcelo Rebelo de Sousa ist nicht der einzige Politiker, der von seiner Medienpräsenz so offensichtlich profitiert. Drei der letzten vier Premierminister in Portugal waren als Kommentatoren im Fernsehen aktiv, bevor sie ihre größten politischen Erfolge feierten.
    Alternative zum spröde wirkenden Silva gesucht
    Eine Gefahr für die Demokratie sei diese Entwicklung nur, wenn die Politiker keine Demokraten seien und die Macht der Medien missbrauchen würden, sagt der Politikwissenschaftler José Maltez. Und im Falle von Marcelo Rebelo de Sousa sehe er hier keine Gefahr. Linksgerichtete Kreise weisen immer wieder auf Rebelo de Sousas Verbindungen zum autoritären Salazar-Regime hin: Sein Vater war Kolonialminister in den 1970er-Jahren.

    Doch Marcelo Rebelo de Sousa hat sich noch vor der Nelkenrevolution für ein demokratisches Portugal eingesetzt und 1973 die einflussreiche Wochenzeitung "Expresso" mitgegründete. Der Verfassungsrechtler, der jahrzehntelang das Bild des einflussreichen Intellektuellen gepflegt hat, ist nun in seinem TV-Programm sehr viel menschlicher geworden, hat von seinen Enkeln erzählt oder sich per Liveschaltung aus dem Urlaub gemeldet. Diese Facette sei wichtig, sagt der Politologe Maltez. Denn nach dem etwas spröde und autoritär wirkenden Staatspräsidenten Cavaco Silva würden sich die Portugiesen nun ein anderes Staatsoberhaupt wünschen:
    "Wir Portugiesen sind nach der Krise immer noch sehr bedrückt und suchen eine gewisse emotionale Befreiung: Einen Präsident, der spielerisch ist, einer, der gut dichten kann oder jemanden, der den alten Damen auf der Straße die Hand küsst."