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Wahlen in Russland
Warum die Kreml-Kandidaten oft gewinnen

Im September werden in Russland regionale und kommunale Parlamente neu gewählt. Vermutlich gewinnen viele Kandidaten, die von der Kreml-Partei Einiges Russland unterstützt werden – obwohl sie teilweise unpopulär sind. Dahinter steht ein ausgeklügeltes System.

Von Thielko Grieß |
Aufgefächerte Wahlzettel der Partei "Einiges Russland"
Wahlzettel der Partei Einiges Russland: Der Anschein einer Abstimmung soll gewahrt werden ((dpa/ picture alliance/ Yegor Aleyev))
Sankt Petersburgs Prachtstraße, der Newski Prospekt, vor wenigen Tagen. Musiker unterhalten Touristen, Einheimische strömen über Bürgersteige. Dass bald hier der Gouverneur gewählt wird, ist nirgends zu bemerken. Kein Plakat, keine Unterstützer.
Der amtierende, 63 Jahre alte Gouverneur, Alexander Beglow, hat zumindest in dieser Passantin, Tatjana, eine entschiedene Unterstützerin:
"Ich bin für Beglow, er weiß mit Geld umzugehen, weil er viel Erfahrung hat. Er kümmert sich um die Leute, es werden neue U-Bahn-Stationen eröffnet, Stadtparks werden hergerichtet, Arbeitsplätze geschaffen. Man wird sehen, wie es wird."
Der Kreml-Kandidat kommt nicht gut weg
Dabei ist im Netz viel Nachteiliges über Alexander Beglow zu lesen, der vor gut einem Jahr von Wladimir Putin eingesetzt worden war. Vielen Bürgern ist noch in schlechter Erinnerung, wie Sankt Petersburg im vergangenen Winter im Schnee versank und die Stadtreinigung nicht in der Lage war, zügig zu räumen.
Der Gouverneur schlug vor, die Bezirksbeamten sollten selbst eine Schaufel in die Hand nehmen. Daraufhin ergoss sich viel Spott über ihn, vor allem im Netz. Man könnte nun schlussfolgern, der Kandidat müsste mit Eifer für sich und seine Wahl werben.
Opposition wird durch den Munizipalfilter aussortiert
Doch er ist der Kandidat des Kremls – und diese Wahl ist, wie fast überall in Russland, nur die Simulation einer Wahl. Das liegt zuerst am sogenannten Munizipalfilter.
"Das ist das stärkste Instrument, weil Kandidaten nicht auf den Wahlzettel gelangen können, ohne diesen Filter zu überwinden", sagt Wladimir Gelman, Politikwissenschaftler an der Europäischen Universität Sankt Petersburg, der die Funktionsweise von Wahlen in einem autoritären System schon lange analysiert.
Der Munizipalfilter funktioniert so: Wer etwa in Sankt Petersburg zum Amt des Gouverneurs kandidieren will, benötigt laut Gesetz aus mindestens zwei Drittel der Stadtbezirke Unterschriften kommunaler Abgeordneter. Die aber bekommt er nicht, weil auch diese Abgeordneten nicht frei entscheiden können, da sie unter der Kontrolle der Kreml-Partei Einiges Russland stehen. Das weiß ein Oppositionskandidat zu berichten, der versucht hat, sich für die Wahl aufstellen zu lassen. Boris Wischnjewskij von der Partei Jabloko.
Anschein von Wahl soll gewahrt werden
Er sitzt im Stadtparlament, aber nun, als er ein höheres Amt anstrebte, wurde er nicht zugelassen. Den Abgeordneten sei stattdessen klar gesagt worden, für wen sie unterschreiben dürften – und für wen nicht. Manch einer habe das hinterher eingeräumt, sagt Wischnjewskij:
"Man hat ihnen eine Liste gegeben, Du sollst dafür, dafür und dafür unterschreiben. Das haben sie gemacht. Ich war natürlich nicht auf der Liste. Und unterschreiben darf man nur für einen Kandidaten. Der Munizipalfilter dient dazu, oppositionelle Kandidaten von der Wahl auszuschließen."
Um jedoch den Anschein einer demokratischen Wahl zu wahren, stehen auf dem Wahlzettel durchaus noch weitere Kandidaten. Doch auch sie werden vom Kreml bestimmt, fast immer aus den Reihen der so genannten Systemopposition. Bedingung ist: Die Mitbewerber dürfen nicht allzu populär sein – und sie dürfen nicht wirklich gewinnen wollen, erklärt Politikwissenschaftler Gelman.
"Diese Leute im Kreml kontrollieren, wie der Wahlkampf der Systemopposition verläuft, etwa über den Zugang zu Massenmedien, über die Finanzierung. Und es ist ja gut zu sehen, wie die Konkurrenten einen sehr zurückhaltenden Wahlkampf führen."
Wahlfälschung stets möglich
Hinzu kommen üblich gewordene Anreize am Wahltag selbst: Beschäftigten im in Russland großen öffentlichen Dienst oder in staatlichen Unternehmen wird nahegelegt, wie sie abzustimmen haben.
Das System funktioniert effektiv, sodass plumpe Wahlfälschung kaum noch nötig ist – aber sie ist stets möglich, sollte trotz allen Manipulationen und Beschränkungen vor der Wahl das Ergebnis doch nicht wunschgemäß ausfallen.