Stephanie Rohde: Der Wahlkampf in Südtirol in den vergangenen Wochen lief südtirolerisch, kann man sagen, also eher beschaulich, bis Österreich sich dann einschaltete und vorschlug, der autonomen italienischen Provinz die österreichische Staatsbürgerschaft zu verleihen. Bei vielen deutschsprachigen Südtirolern kommt das immer gut an. Italien aber ist erbost. Kurz zum Hintergrund: Bis 1980 war die Region Teil des Habsburger Reiches, also Österreich. Als Kriegsbeute fiel das Land vom Brenner bis hinter Bozen dann an Italien gegen den Willen der Bevölkerung. Nach schwierigen Jahrzehnten und teils gewalttätigen Auseinandersetzungen mit dem italienischen Staat ist Südtirol heute der reichste Teil Italiens mit weitreichender Autonomie, Vollbeschäftigung und Wohlstand.
Aber bei den Wahlen am Sonntag wird die erfolgsverwöhnte Südtiroler Volkspartei deutliche Einbußen hinnehmen müssen und könnte sogar auf eine Koalition mit der rechtsextremen Regierungspartei in Italien, mit der Lega, angewiesen sein.
Rückt Südtirol nach rechts – darüber kann ich sprechen mit Herbert Dorfmann, er sitzt für die Christdemokratische Südtiroler Volkspartei im Europaparlament, ist am Telefon. Guten Morgen!
Herbert Dorfmann: Schönen guten Morgen!
Rohde: Südtirol geht es blendend. Warum werden Sie wohl trotzdem Stimmen an die rechtsextreme Lega verlieren?
Dorfmann: Ich glaube nicht, dass wir Stimmen an die rechtsextreme Lega verlieren, das hoffen wir zumindest nicht.
Rohde: Aber es kann durchaus passieren, das sagen ja die Prognosen.
Dorfmann: Das kann durchaus passieren, aber Südtirol ist ein ganz besonderes Land. Südtirol hat ungefähr 70 Prozent deutsch- und ladinischsprachige Bevölkerung und 30 Prozent italienischsprachige Bevölkerung, und es zeichnet sich sehr wohl ab, dass innerhalb der italienischsprachigen Bevölkerung die Lega eine starke Position einnehmen wird, aber ich glaube kaum, dass die deutschsprachige Bevölkerung in größerem Ausmaß Lega wählen wird. Also ich glaube nicht, dass meine Partei, die Südtiroler Volkspartei, in größerem Ausmaß an die Lega Nord Stimmen verlieren wird.
"Die italienische Opposition ist total am Boden"
Rohde: Aber wie erklären Sie sich das? Ihrem Land geht es so gut, zumindest wenn man von außen draufschaut. Warum kann die Lega Stimmen gewinnen?
Dorfmann: Die Lega Nord, also die italienischsprachige Bevölkerung in Südtirol ist natürlich sehr eingebunden in das italienische Geschehen insgesamt, und die italienische Regierung, die ist derzeit in Italien sehr, sehr beliebt. Das hat auch mit der Schwäche der Konkurrenz zu tun. Die italienische Opposition ist total am Boden, sowohl die Partito Democratico als auch Forza Italia, und Matteo Salvini ist derzeit der Superstar innerhalb der italienischsprachigen oder der italienischen Regierung.
Das trifft selbstverständlich auch die italienischsprachige Bevölkerung oder süditalienischsprachige Bevölkerung in Südtirol. Ich glaube kaum, dass sich die deutschsprachige Bevölkerung in Südtirol von dem anstecken lässt. Im Gegenteil, in der deutschsprachigen Bevölkerung ist diese Regierung überhaupt nicht beliebt, weil sie ja auch in Sachen Südtirol kaum Zugeständnisse macht und einen Kurs fährt, der eigentlich überhaupt nicht ein Kurs der Autonomie wäre oder eine Weiterentwicklung des Landes.
"Das ist nicht eine normale – unter Anführungszeichen – Koalition"
Rohde: Dennoch könnten Sie ja drauf angewiesen sein, mit der rechtsextremen Lega zusammenarbeiten zu müssen. Würden Sie das tun?
Dorfmann: Da muss man ja die gesetzlichen Regelungen in Südtirol anschauen. Wir sind ja auf jeden Fall zu einer Koalition mit einer italienischsprachigen Regierung oder mit einer italienischsprachigen Partei verpflichtet. Das sieht das südtiroler Autonomiestatut so vor. Also alle drei Sprachgruppen, die deutsche Sprachgruppe, die italienische Sprachgruppe und die ladinische Sprachgruppe müssen in der Südtiroler Landesregierung vertreten sein. Selbst wenn wir die absolute Mehrheit hätten, wie wir sie bis zum Jahr 2013 gehabt haben als Südtiroler Volkspartei, müssten wir eine Koalition mit einer italienischsprachigen Partei machen. Wir werden die Wahlen jetzt abwarten und schauen, was die italienischsprachige Bevölkerung in Italien wählt.
Das heißt, das ist nicht eine normale – unter Anführungszeichen – Koalition in einer normalen Demokratie, sondern das ist eine Koalition der Vertretung der Sprachgruppen, und da hat, glaube ich, die Südtiroler Volkspartei auch einen Moment hinzuschauen, was tun die Italiener, wo fühlen die Italiener, die italienischsprachige Bevölkerung in Südtirol sich repräsentiert, und entsprechend dann zu handeln.
Rohde: Aber, Herr Dorfmann, schließen Sie denn eine …
Dorfmann: Wir werden auch darauf schauen müssen, wo gibt es überhaupt Mehrheiten, wie bei jeder Koalition auch.
"Ich würde die Lega nicht als rechtsextrem sehen"
Rohde: Schließen Sie denn eine Koalition mit der rechtsextremen Lega aus?
Dorfmann: Nein, das können wir nicht ausschließen, weil wir - und ich würde jetzt die Lega auch nicht als rechtsextrem sehen. Man darf nicht vergessen, dass ganz Norditalien oder fast ganz Norditalien, vor allem die zwei großen Regionen, Veneto und die Lombardei, seit Jahren, zum Teil seit Jahrzehnten von der Lega Nord regiert werden, und ich glaube, es wäre jetzt etwas vermessen zu sagen, dass ganz Norditalien seit vielen Jahren rechtsextrem ist.
Rohde: Aber dass die Lega gegen Migranten ganz offen hetzt und menschenfeindliche Dinge sagt, das würden Sie nicht als rechtsextrem bezeichnen?
Dorfmann: Ja, da müssen Sie im Moment aber in der italienischen Politik nachschauen, was eigentlich in den letzten Jahren passiert ist. Das heißt, da haben wir auch auf europäischer Ebene und auch auf Ebene der Länder nördlich der Alpen nicht ganz Unschuld an der Situation, dass es zu einer derartigen Entwicklung in Italien gekommen ist. Die Menschen waren ganz einfach mit der Migrationspolitik nicht mehr einverstanden, und sie waren nicht mehr einverstanden, dass die Europäische Union und auch viele Staaten der Europäischen Union über Jahre gesagt haben, das mit der Migration ist ein italienisches Problem, und die Menschen haben dann jene Partei gewählt, die gesagt haben, okay, dann werden wir das Problem der Migration halt anders lösen.
Da muss man auch sagen, die Tatsache, dass jetzt das Mittelmeer, die Mittelmeerroute weitgehend geschlossen wurde, das ist eine Tatsache, die von den Menschen in Italien sehr stark mitgetragen wird.
Rohde: Trotzdem muss man sagen, die Partei gab es vorher schon, und sie hatte vorher schon ein radikales Programm. Ich würde gerne noch mal kurz auf die …
Dorfmann: Selbstverständlich. Auch der Vorsitzende der Lega hat selbstverständlich auch ein Wording, das uns ja auch in Brüssel absolut nicht gefällt.
Rohde: Wenn Ihnen das überhaupt nicht gefällt, wie erklären Sie Ihren Wählern dann, dass Sie auf Abstand zu Rom gehen wollen, auch wegen dieser Politik und dann gleichzeitig koalieren wollen zu Hause mit denen?
Dorfmann: Schauen Sie, jetzt haben wir morgen Wahlen, und dann werden wir am Montag schauen, was sind die Wahlergebnisse, und es ist wie bei jeder Koalition. Man muss schauen, wo ist eine Mehrheit, was geht sich überhaupt aus.
Ich hoffe, dass die Südtiroler Volkspartei, meine Partei, ein gutes Ergebnis macht. Sie wird aber jedenfalls zwei bis drei Menschen oder Mitglieder des Landtages aus dem italienischsprachigen Lager brauchen, um überhaupt eine Regierung bilden zu können. Es braucht ja entsprechend auch Landesräte, also Minister. Wir werden schauen müssen, wo sind die überhaupt, gibt es überhaupt eine andere italienische Partei, die mehr als ein Mandat macht. Das zeichnet sich so ab, dass das unter Umständen nicht so sein könnte.
Doppelpass könnte zu Konfrontation mit Italien führen
Rohde: Österreich hat Ihnen jetzt vorgeschlagen, dass Sie auch den Pass annehmen. Wie geht das denn, also mit den nationalistischen Italienern möglicherweise regieren und gleichzeitig mit Österreich flirten?
Dorfmann: Also dazu, diese Idee des Doppelpasses oder eines österreichischen Passes für die deutsch-ladinischsprachige Bevölkerung in Südtirol ist ja keine ganz neue. Die geistert in Südtirol seit längerer Zeit herum.
Rohde: Was auch eine Idee der SVP war, die ist dafür.
Dorfmann: Die ist da sehr aktuell geworden, die plötzlich in den Koalitionsverhandlungen in Wien für diese Regierung diese Idee aufgetaucht ist und man innerhalb, also im Rahmen der Koalitionsverhandlungen diese Idee des Doppelpasses aufgegriffen hat.
Wir von der Südtiroler Volkspartei haben immer gesagt, dass unsere Position ist, einen solchen österreichischen Pass sicher nicht möchten, weil das zu einer Konfrontation mit Italien führt und dass das in einem nichteuropäischen Geist passiert. Wir haben immer gesagt, grundsätzlich sind wir selbstverständlich alte Österreicher, wir waren über Jahrhunderte Österreicher, wir sind eine deutschsprachige und österreichstämmige Bevölkerung in Südtirol. Wenn man sich auch anschaut, wie Italien Pässe in der ganzen Welt verteilt hat, das heißt, gerade Italien ist ja ein Land, das den ganzen Auslandsitalienern, und zwar jene, die über Jahrzehnte zurück Vorfahren haben, Pässe gegeben hat. Wenn Österreich also gleich verfahren wäre wie Italien, hätten wir Südtiroler ja schon lange österreichische Pässe. Aber wir haben auch immer unterstrichen und übrigens auch Bundeskanzler Kurz, dass ein solches Vorgehen, wenn, mit der italienischen Regierung abgeklärt werden muss und das sicher nicht im Widerstand zur italienischen Regierung passiert.
Rohde: Ich würde gerne ganz kurz noch, mit Blick auf die Uhr, auf die EU-Kommission schauen und auf den italienischen Haushalt. Um den wird ja gerade gerungen. Einige Punkte, kann man sagen, wirken überzeugend, also Frühverrentung zum Beispiel, damit junge Leute endlich Jobs bekommen, ein Grundeinkommen in einem Land, das kein Hartz-IV-System kennt. Würden Sie nicht sagen, dieser Haushalt ist aus südtiroler Perspektive auch gut, damit Italien auf die Beine kommt?
Dorfmann: Nein, das glaube ich nicht. Das ist nämlich der übliche Assistenzialismus. Man muss ja wissen, was in Italien passiert ist. In Italien hat Süditalien mit großer Mehrheit die MoVimento fünf Stelle gewählt, das ist die Partei von Beppe Grillo. Norditalien hat mit großer Mehrheit Lega Nord gewählt, und das ist sozusagen jetzt ein Zusammenschluss einer Partei, die in Süditalien mitgetragen wird und ein Zusammenschluss, der mit einer Partei in Norditalien mitgetragen wird.
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