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Wahlen zur französischen Nationalversammlung

Durak: Herr Grosser, was ist denn für Sie das wichtigste Ergebnis dieser ersten Runde?

    Grosser: Dass die Extremen wegfallen. Die extreme Linke, links von der KP, hat 2,4 Prozent zusammen, das ist viel weniger als vorausgesagt. Die KP ist wahrscheinlich endgültig zusammengebrochen; sie erreicht keine 5 Prozent. Zum Vergleich: Sie hatte einmal beinahe 30 Prozent nach dem Krieg. Und die Sozialisten bleiben, wie sie waren. Sie haben nicht verloren. Allerdings gibt es nun eine sehr mächtige Rechte. Die Extremrechte ist auch teilweise zusammengebrochen. Ich finde, das ist eine Normalisierung der Verhältnisse, mit zwei großen Parteien, wo die eine viel größere Parlamentserfolge hat als die andere, und das kann das nächste Mal anders werden.

    Durak: Geht die Meinungsvielfalt verloren?

    Grosser: Wieso denn? In Großbritannien, in Amerika, in Deutschland, obwohl in Deutschland das Verhältniswahlrecht gilt, gibt es zwei große Parteien, und die Schwierigkeit für die anderen ist, sich zu behaupten. Unsere Grünen beispielsweise sind total zusammengebrochen.

    Durak: Hat es Sie eigentlich überrascht, dass die Rechten von Le Pen so schwach abgeschnitten haben?

    Grosser: Ja, es hat mich überrascht. Wer sagt, es habe ihn nicht überrascht, sagt nicht die Wahrheit. Ich glaubte nicht, dass er so schnell sinken würde, und das heißt, dass ein guter Teil seiner Wählerschaft sich entweder der Stimme enthalten haben oder, was wahrscheinlicher ist, die konservative Rechte gewählt haben, und da spielt nun die Chirac-Partei ungefähr die Rolle, die zum Beispiel die CDU in Bayern spielt. Es gibt wenig auf der Rechten. Man demokratisiert die ultrakonservativen Wähler, sogar die reaktionären Wähler dadurch, dass sie in eine demokratische Partei einverleibt werden.

    Durak: Das heißt, man wählt in diesem Fall nicht unbedingt das Original, sondern die Partei, die doch wenigstens halbwegs die Interessen mitvertritt?

    Grosser: Die vor allen Dingen auf demokratische Art sich mit einer Parlamentsmehrheit durchsetzen wird. Was die Regierung tun wird, ist nicht klar. Klar ist aber, dass Jean-Pierre Raffarin ein Mann ist, der nicht der Elite angehört, und das hat wahrscheinlich sehr gefallen.

    Durak: Wird es mit einer neuen Regierung, also ohne Kohabitation, eine neue, andere Europapolitik Frankreichs geben?

    Grosser: Das kann man doppelt deuten. Man kann entweder sagen - das ist das Negative -: In diesem Wahlkampf war wieder mal überhaupt nicht von Europa die Rede, oder man kann sagen, all das Antieuropäische - Le Pen, die extreme Linke - ist zusammengebrochen. Die Europafeinde sind nicht mehr vorhanden, also könnte man eine neue Europapolitik machen. Was von beiden die Möglichkeit sein wird, weiß ich nicht.

    Durak: Halten Sie die neue Konstellation auch für eine solche, wie sie beschrieben wurde, ein schwacher Präsident, ein starkes Parlament?

    Grosser: Nein. Ein starker Präsident, und das Parlament wird tun, was der Präsident sagt.

    Durak: Die Wahlbeteiligung lag bei knapp 65 Prozent. Angesichts der zahlreichen Wahlen, die Sie und Ihre Landsleute sozusagen über sich ergehen lassen müssen oder wollen, spielt die Wahlbeteiligung sicherlich eine Rolle. Aber interessant ist auch, dass offensichtlich sehr viele jüngere Wähler kein Interesse gezeigt haben. Muss uns das besorgt machen?

    Grosser: Ja, denn es ist möglich, dass aufgrund der kleinen Wahlbeteiligung Menschen dann auf die Straße gehen. Und es ist möglich, dass wir im Herbst schwere soziale Krisen bekommen, weil viele junge Wähler unter anderem den Eindruck haben, es nützt doch nichts, zu den Urnen zu gehen, also müssen wir Streiks machen, auf die Straße gehen usw. Das ist die andere Möglichkeit nach diesem Wahlresultat.

    Durak: Wie könnte, sollte die neue Regierung darauf reagieren?

    Grosser: Indem sie klar sagt, was sie will, und einiges nicht verwirklicht, was sie angekündigt hat, zum Beispiel dass die Einkommenssteuer um einige Prozent jetzt schon linear gesenkt wird, das heißt wenn Sie eine Million verdienen, bekommen Sie 3 Prozent von einer Million geschenkt; wenn Sie Tausend verdienen, bekommen Sie 3 Prozent von Tausend geschenkt. Das ist natürlich sozial ungerecht und kann eine scharfe Reaktion hervorrufen.

    Durak: Besonders auf dem linken Spektrum.

    Grosser: Auf dem linken und dem jungen Spektrum, weil sie sowieso sehr wenig verdienen.

    Durak: Zu den Linken: Haben die Linken bekommen, was sie verdient haben?

    Grosser: Sagen wir mal, Jospin hat sich unwahrscheinlich schlecht verkauft. Er hat eingestanden, dass das Hauptthema die Sicherheit hätte sein sollen. Und alles, was positiv von dieser Regierung geleistet wurde, ist im Wahlkampf völlig untergegangen. Es ging nur um die Sicherheit. Es ging auch teilweise um die Immigration. Ich hoffe, bei Ihnen wird es ausgeglichener werden, mit einer genaueren Prüfung von dem, was gemacht und nicht gemacht wurde.

    Durak: Die Kommunisten haben extrem verloren; für Frankreich eine interessante Entwicklung. Denken Sie, dass die Kommunisten in Frankreich jemals wieder zu alter Stärke kommen?

    Grosser: Nein, denn sie wissen überhaupt nicht, wo sie sind. Sie können auch in der zweiten Runde am Sonntag nicht überleben, wenn sie irgendetwas gegen die Sozialisten unternehmen und sagen: Wir müssen eine andere Politik von den Sozialisten erzwingen. Das können sie gar nicht mehr. Und wenn sie sozialistenfreundlich bleiben, dann verlieren sie auch die Möglichkeit, mit einem Protestvotum wieder größer zu werden. Sie wissen nicht mehr, wo sie sind, und die beinahe 5 Prozent, die sie erreicht haben, genügen gar nicht mehr, um eine Fraktion zu bekommen, und ohne Fraktion ist man nun gar nicht im Parlament.

    Durak: Selbst über mehrere Jahre hinweg, wo ja Zeit zum Regenerieren bliebe, schließen Sie eigentlich aus, dass es jemals wieder zu alter Blüte kommt?

    Grosser: Wenn sogar bei Ihnen die PDS nicht mehr wächst, obwohl sie einen Nährboden in der ehemaligen DDR hat, dann sehe ich nicht, warum im Westen eine andere Partei stark würde. Wo die ehemaligen Kommunisten stark werden, ist im Osten - Warschau, Budapest usw. -, aber weder in Madrid noch in Rom oder Paris gibt es eine Möglichkeit, die ehemalige KP wieder groß zu machen.

    Durak: Zu den Deutsch-Französischen Beziehungen: Denken Sie, dass es irgendwelche Änderungen geben wird?

    Grosser: Ich hoffe, dass nach der deutschen Parlamentswahl Schröder oder Stoiber zusammen mit dem französischen Präsidenten sagen werden: Jetzt verkünden wir, dass das eigentliche Nationalinteresse beider Länder das Werden von Europa ist, die Europäische Gemeinschaft, also machen wir auf diesem Gebiet stark weiter. In Schwerin Ende Juli werden sie sich dafür vorbereiten. Ich hoffe auf das große Gipfeltreffen, das nach den deutschen Wahlen stattfinden würde, und das wirklich nichts mehr zu befürchten hat, denn beide werden für mehrere Jahre ruhig sein - die nächsten Wahlen sind vier Jahre später -, also hat man einige Jahre, um positiv für Europa zusammenzuarbeiten.

    Durak: Vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio