Archiv

Wahlfälschungen in Belarus
Aufklärung vom Internationalen Roten Kreuz gefordert

Das Regime in Belarus schmückt sich gern mit der Zusammenarbeit mit dem Internationalen Roten Kreuz. Dessen belarussische Sektion soll aber an Wahlfälschungen bei der Präsidentschaftswahl beteiligt gewesen sein. Oppositionspolitiker forderten die Dachorganisation nun auf, die Vorwürfe zu prüfen.

Von Florian Kellermann |
Protestierende am 12. September in der belarussischen Hauptstadt Minsk
Die Opposition kreidet dem Roten Kreuz in Belarus auch an, Demonstrantinnen und Demonstranten nicht nach ihrer Festnahme in Polizeigefängnissen besucht zu haben (imago / TASS / Natalia Fedosenko)
Die staatlichen belarussischen Medien berichten gerne über die Arbeit des Roten Kreuzes. Wie es dabei hilft, Lebensmittel an Bedürftige zu verteilen, wie es Erste-Hilfe-Kurse veranstaltet oder in Frostnächten Obdachlose versorgt.
Auch Ministerien erwähnen gerne die Zusammenarbeit mit dem Roten Kreuz, das international hohes Ansehen genießt. Der belarussischen Sektion gehören nach ihren Angaben über eine Million Menschen an, rund 17.000 nehmen regelmäßig an Hilfsaktionen teil.

Regime profitiert vom Ansehen des Roten Kreuz

Das Regime des Machthabers Alexander Lukaschenko profitiere aber nicht nur symbolisch und organisatorisch von der Zusammenarbeit, sagen Kritiker. Einer von ihnen ist der Journalist und Buchautor Sascha Filipenko. Dem Fernsehsender "Belsat" sagte er:
"Das Rote Kreuz in Belarus ist an der Fälschung von Wahlen beteiligt. Das haben wir recherchiert. Bei der Präsidentschaftswahl im vergangenen Jahr hat es 2.298 Mitglieder in die Wahlkommissionen entsandt. Sie haben die Stimmen genauso ausgezählt, wie das Regime es wollte. Die haben die Wahl mit gefälscht."

Forderungen um Aufklärung

Diesen Vorwurf erheben auch führende Oppositionspolitiker wie Pawel Latuschko, der ehemalige Kulturminister des Landes. Das "Nationale Anti-Krisen-Management", eine Art Schattenregierung der Opposition, stellt deshalb drei Forderungen an das Internationale Rote Kreuz – die Dachorganisation. Es solle prüfen, ob die belarussische Sektion das Prinzip der politischen Neutralität wahrt. Es solle das Rote Kreuz in Belarus vorerst nicht mehr finanziell unterstützen. Und es solle dessen Mitgliedschaft im internationalen Verbund vorerst ruhen lassen.
Eine verletzte Demonstrantin in Minsk, Belarus am 23.09.2020
Belarus – Ärzte als Zeugen von Polizeigewalt
Mediziner geraten in Belarus zunehmend unter Druck: Eine Ärztin hat die Folgen von Polizeigewalt dokumentiert und auf Twitter veröffentlicht. Aus Angst vor dem Regime ist sie mittlerweile geflohen. Andere werden gefeuert, obwohl Belarus in der Corona-Pandemie seine Ärzte dringend bräuchte.
Nicht nur im Hinblick auf die Wahlfälschung muss sich das Rote Kreuz in Belarus Vorwürfe gefallen lassen. Die Opposition kreidet ihm auch an, dass es nicht versucht habe, Zugang zu Polizeigefängnissen zu bekommen, als dort Demonstrantinnen und Demonstranten gefoltert wurden. Der Journalist Sascha Filipenko traf sich deshalb in Genf mit Vertretern des Internationalen Roten Kreuzes:
"Wir bekommen die Antwort, das Internationale Rote Kreuz sei nicht verantwortlich für das Belarussische Rote Kreuz. Aber das belarussische verwendet doch die internationalen Symbole, neben dem roten Kreuz auch den roten Halbmond. Wir wollen doch nur, dass diese Organisation Menschen hilft, dass sie also das tut, wofür sie weltweit steht."

Belarussische Sektion wohl unter staatlicher Kontrolle

Die belarussische Sektion geht auf die Vorwürfe nicht ein. In einer Stellungnahme heißt es lediglich, natürlich sei man politisch neutral und vom Staat unabhängig. Eine Lüge, meint der Minsker Politologe Walerij Karbalewitsch:
"Die belarussische Organisation des Roten Kreuzes wird komplett von der Staatsmacht kontrolliert, vom Gesundheitsministerium. Deshalb tut sie auch genau das, was das Regime von ihr erwartet." Für heute ruft die Opposition zur nächsten Großdemonstration in Minsk auf, zum ersten Mal in diesem Jahr. Die Staatsmacht werde wieder alles tun, um zu verhindern, dass die Protestierenden ins Zentrum der belarussischen Hauptstadt gelangen, meint Walerij Karbalewitsch.
Ob ihr das gelingt, wird auch von der Zahl der Teilnehmer abhängen. Niemand könne vorhersagen, wie viele dem Aufruf der Opposition folgen werden, sagt Karbalewitsch. Er jedoch rechne nicht damit, dass die Proteste wieder so groß werden wie im vergangenen Spätsommer und Herbst.
Drei Performancekünstlerinnen posieren mit einer protestierenden Bürgerin in Minsk. Sie demonstrieren friedlich gegen den belarusischen Präsidenten Lukaschenko. Valery Sharifulin/TASS PUBLICATIONxINxGERxAUTxONLY TS0E3700
Übersetzerin: "Alles, was abweicht, muss weg"
Der belarussische Protest hat eine Farbe und ein Geschlecht. Er ist rot-weiß und weiblich. Auch die Übersetzerin Iryna Herasimovich ist mitten im Geschehen. Sie habe natürlich schon an Ausreise gedacht, sagte sie im Dlf.

Belarussische Opposition ist stark geschwächt

"Die Leute glauben nicht mehr an einen schnellen Erfolg des Protests. Unmittelbar nach der Wahl hatten sie gehofft, dass Lukaschenko abtritt, das ist nicht passiert. Außerdem hat die Staatsmacht den Druck nach und nach erhöht. Wer nun zweimal an einer nicht sanktionierten Kundgebung teilnimmt, muss schon mit einer strafrechtlichen Verurteilung rechnen."
Für Staatsbedienstete bedeutet das oft die Entlassung, ohne Chance auf eine andere Stelle. Ein weiterer Grund, warum die Opposition im Land geschwächt ist: Viele von denen, die am aktivsten gegen Lukaschenko demonstrierten, sind inzwischen ins Ausland geflohen. Der Staatsapparat hat sie über Monate mit Überwachung, Hausdurchsuchungen und Gerichtsverfahren mürbe gemacht.