Welchen Eindruck hat das TV-Duell zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihrem Herausforderer Martin Schulz (SPD) bei den Bürgern hinterlassen? Was hat ihnen gefallen und was nicht? Das wollten Politik- und Kommunikationswissenschaftler der Universität Landau in einer gemeinsamen Studie mit der Universität Mainz untersuchen. 200 Wahlberechtigte aus Landau und der Region waren deshalb eingeladen, das Rededuell am 3. September in den Räumen der Uni zu verfolgen.
Herausfinden, was die Menschen bewegt
Das TV-Duell sei ein Wahlkampfereignis, das man besonders gut "isolieren" könne, sagte der Politikwissenschaftler und Wahlforscher Thorsten Faas von der Universität Mainz: Man könne relativ detalliert erforschen, wie Wahlkampf wirke. Um Veränderungen beispielsweise bei der Wahrnehmung der Positionen oder im emotionalen Empfinden heraus zu finden, werde den Probanden vor und nach dem Duell ein Fragebogen gegeben.
"Wir wollen wirklich Prozesse verstehen, wie Menschen eben ein solches Ereignes wahrnehmen, worauf sie reagieren, was sie bewegt und beeidruckt, was sie auch vielleicht abstoßend finden."
Zwar werde das Format von medialer und politischer Seite als veraltet und einseitig kritisiert, allerdings könnten ihm Menschen sehr gut folgen und für sich zu bestimmten Entscheidungen verdichten, sagte Faas: "Kanzlerpräferenzen verschieben sich, die Zahl der Unentschlossenen lässt ein bisschen nach".
Viele Aussagen und Momente hätten die Menschen bewegt: Als Martin Schulz beispielsweise sagte, er sei für die Beendung der EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei. Angela Merkel habe hingegen vor allem beim Thema Fluchtursachen gepunktet. Für den Herausforderer sei es allerdings generell etwas einfacher, Vorteile aus dem Duell zu ziehen.
Stefan Koldehoff: 520 Kilometer südöstlich von Hamburg, an den Unis Mainz und Landau, hat man unmittelbar nach der Sendung herauszufinden versucht, was denn ein solches Programm tatsächlich für den Zuschauer bringt. 200 Wahlberechtigte wurden dafür vor und nach der Sendung befragt, um – und die Frage ging vorhin an den Politikwissenschaftler und Wahlforscher Professor Thorsten Faas – um was genau herauszufinden?
Thorsten Faas: Für uns ist dieses Fernsehduell eigentlich so ein Wahlkampfereignis, das wir im Vergleich zu vielem anderen, was im Wahlkampf passiert, ziemlich gut isolieren können, wo wir also wirklich mal relativ detailliert erforschen können, wie wirkt eigentlich Wahlkampf, wie wirkt so ein Miniaturwahlkampf wie das TV-Duell. Und dafür laden wir eben, Sie haben es gesagt, Leute an die Universität ein. Wir geben ihnen einen Fragebogen unmittelbar vor dem Duell, unmittelbar nach dem Duell, und wenn wir dann Veränderungen sehen - sei es in den Wahrnehmungen der Positionen, sei es auch vielleicht im emotionalen Empfinden, wie wird Deutschland eigentlich bewertet hinsichtlich wirtschaftlicher Lage, Gerechtigkeit, wie sieht das Wahlverhalten aus -, dann können diese Unterschiede ja eigentlich nur durch das TV-Duell ausgelöst worden sein.
Und dann haben wir eigentlich klare Nachweise von Wahlkampfeffekten oder auch denn nicht, wenn sie ausbleiben, und das ist unglaublich schwierig im sonstigen Wahlkampfgeschehen, wo alles Mögliche gleichzeitig passiert, in dieser Art und Weise zu isolieren. Deswegen schätzen wir, ähnlich wie es die Politiker tun, wie es Medien tun, wie es auch die vielen, vielen Millionen Zuschauer tun, aber auch wir als Forscher schätzen dieses Ereignis sehr, weil uns das tatsächlich einen sehr besonderen Zugriff auf den Wahlkampf eröffnet.
"Momente, die die Menschen bewegt haben"
Koldehoff: So, und dann müssen Sie uns jetzt natürlich verraten, was ist rausgekommen.
Faas: Es ist wieder mal viel rausgekommen tatsächlich. Man sieht einfach, dass dieses Duell die Menschen erreicht, also wenn wir uns die Fragebögen angucken, aber haben die Menschen sogar auch noch in die Lage versetzt, während des Duells in Echtzeit das zu bewerten, was sie sozusagen während des Duells sehen. Dann sieht man einfach, dass viele Aussagen, die da gestern getätigt wurden … Wir reden ja heute so ein bisschen drüber, dass das alles so langweilig war und dass sich die beiden häufig sehr einig waren. Ja, das mag sein, aber trotzdem gibt es Momente, die die Menschen bewegt haben, die sie berührt haben.
Bei Martin Schulz, um mal ein konkretes Beispiel zu nennen, dieser doch überraschende Moment, als er sagte, er ist dafür, dass man die Beitrittsgespräche mit der Türkei, dass man die tatsächlich beendet. Das war einer der stärksten Sätze, wenn man jetzt unsere Echtzeitbewertungen anschaut, die Martin Schulz gestern hatte. Angela Merkel hatte relativ früh schon einen sehr guten Argumentationsfluss, als es um Fluchtursachen ging, wo sie sagte, es kann nicht jeder zu uns kommen, wir müssen eher woanders ansetzen, wir müssen bei den Fluchtursachen ansetzen. Und so gab es eine Reihe von Stellen, wo man wirklich deutliche Ausschläge gesehen hat.
Und das zeigt noch mal, ja, das Format wird von medialer Seite, auch von politischer Seite als vielleicht veraltet einseitig kritisiert, aber Menschen können dem sehr gut folgen, was da passiert, sie können das auch verarbeiten und für sich dann auch zu bestimmten Entscheidungen verdichten, und auch das sehen wir. Kanzlerpräferenzen verschieben sich, die Zahl der Unentschlossenen lässt ein wenig nach, und was die Richtung betrifft, sehen wir eigentlich wieder, dass eher der Herausforderer, also in dem Fall Martin Schulz, dessen Image auch im Vorfeld vielleicht noch nicht ganz so festgelegt ist wie das der Kanzlerin, dass es für ihn etwas leichter ist, da Vorteile aus dem Duell zu ziehen.
"Verstehen, wie Menschen ein solches Ereignis wahrnehmen"
Koldehoff: Nun gibt es ja auch sofort noch am Abend nach dem Duell immer diese Blitzumfragen, die sind durchaus umstritten - warum halten Sie Ihr Verfahren für besser?
Faas: Da würde ich jetzt gar nicht über besser oder schlechter reden. Tatsächlich kann man über diese Blitzumfragen, insbesondere dann, wenn sie so Halbzeitstände erst mal nur widerspiegeln, aber trotzdem nach dem Duell gesendet werden, für problematisch halten, weil die doch sehr schnell ein bestimmtes Bild des Duells und auch die Frage, wer hat es gewonnen oder verloren, zementieren. Erst recht kann man dann so ein bisschen die Stirn runzeln, wenn man sieht, dass verschiedene Institute doch zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Das ist einfach eine Herausforderung, so kurz nach dem Duell auf der Basis von mehreren 100 oder bis zu 1.000 - 1.800 waren es, glaube ich - Befragten so schnell repräsentative Ergebnisse zu bekommen.
Uns geht es eigentlich gar nicht so sehr darum, jetzt am Ende sagen zu können, Martin Schulz hat 2,8 Prozentpunkte zugelegt, sondern wir wollen wirklich Prozesse verstehen, wie Menschen eben ein solches Ereignis wahrnehmen, worauf sie reagieren, was sie bewegt, was sie beeindruckt, was sie auch vielleicht abstoßend finden. Und an diese Wahrnehmungsprozesse kommen wir eben bei diesem isolierten TV-Duell besser ran als bei vielem anderen. Deswegen ist es gar kein Entweder-oder, sondern ein schiedlich friedliches Sowohl-als-auch, das wir da mit anderen demoskopischen Instituten gerne pflegen.
Koldehoff: Der Politikwissenschaftler Thorsten Faas über den Effekt des gestrigen TV-Duells.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.