Martin Zagatta: Mit der Nominierung von Martin Schulz ist die SPD in Umfragen deutlich gestiegen. Doch die Wahl im Saarland war dann auch ein deutlicher Dämpfer. Die Erkenntnis, dass die Aussicht auf ein rot-rotes Bündnis doch Wähler offenbar abschreckt. Das ist nun spürbar im Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen und ganz generell schon mit Blick auf die Bundestagswahl. Vor allem die SPD ist in Erklärungsnot.
Mitgehört hat Manfred Güllner, Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa. Guten Tag, Herr Güllner.
Manfred Güllner: Schönen guten Tag.
Bedürfnis nach Sicherheit überwiegt
Zagatta: Herr Güllner, ist die SPD da in einer Wahlkampffalle?
Güllner: Ich würde das noch nicht so hart formulieren, weil in einem Punkt hat – ich glaube, Herr Bartsch hat das angedeutet – er Recht, wenn er meint, dass die Wähler ja überwiegend nicht in Koalitionsarithmetiken denken und keine Koalition wählen, sondern der Partei die Stimme geben, von der sie glauben, dass sie ihre Interessen am besten vertritt, oder auch die höchste politische Kompetenz hat. Insofern kommt es für die SPD darauf an, den Menschen klarzumachen, dass sie tatsächlich die Probleme im Lande vielleicht besser lösen kann als die anderen und auch einen Kandidaten hat, der vertrauens- und glaubwürdig ist und auch eine politische Kompetenz besitzt. Das ist, glaube ich, wichtiger, dieses Urteil über das programmatische und vor allen Dingen auch personelle Angebot.
Zagatta: Aber ist es nicht so, dass die Aussicht auf ein rot-rotes Bündnis Wähler abzuschrecken scheint? Das zumindest war ja die Erkenntnis von vielen aus der Saarland-Wahl, dass unter Umständen die SPD auch nicht gewählt wird, weil man dann Angst hat oder einige Wähler oder viele Wähler Angst haben, es könnte dann zu einem solchen Bündnis mit der Linken kommen.
Güllner: Vor allen Dingen ist es im Saarland ja eine gewisse Unsicherheit gewesen, was passiert, wenn Frau Rehlinger, die ja durchaus akzeptiert war, mit Herrn Lafontaine, der im Saarland ja auch relativ beliebt ist – das ist er nicht im Rest der Republik, aber im Saarland war er immer angesehen und ist auch jetzt kein Schreckgespenst. Aber wenn die beiden zusammengehen, dann verliert man auch ein bisschen Stabilität, ein bisschen Sicherheit, die Frau Kramp-Karrenbauer geboten hat. Das hat auch gerade viele potenzielle CDU-Wähler, die normalerweise bei Landtagswahlen und auch bei den Landtagswahlen vor dem Saarland (zehn hatten wir ja seit 2013) eher zuhause geblieben sind, dazu bewogen, doch den Gang zur Wahlurne zu gehen und das Kreuzchen bei der CDU zu machen.
Zagatta: Wie ist es auf Bundesebene? Wie schätzen Sie das ein? Schreckt da eine mögliche Regierungsbeteiligung der Linkspartei, was die SPD ja nicht ausschließt, schreckt die immer noch so ab?
Güllner: Es ist auch hier auf Bundesebene ja eigentlich die entscheidende Frage, wieviel Sicherheit und wieviel Stabilität möchte man, und das garantiert ja immer noch eher Frau Merkel mit der Union, trotz des Konfliktes mit Herrn Seehofer und der CSU, als die SPD. Und hier wirkt auch Die Linke als ein Faktor, der eher Unsicherheit bringt, genauso wie im Saarland, und das ist dann nicht mehr so ein Schreckgespenst, wie es mal vor einigen Jahren war, als die CDU hier eine Rote-Socken-Kampagne fahren konnte. Aber unterschwellig gibt es da doch gerade in den jetzigen Zeiten, die durch die Wahl von Trump unsicherer für die Menschen geworden sind, wirkt das immer noch ein bisschen nach.
"Lagerwahlkampf ist etwas, was die Menschen nicht schätzen"
Zagatta: Sie sagen, keine Rote-Socken-Kampagne vielleicht mehr in diesem Jahr. Aber wie sieht das grundsätzlich aus? Erwarten Sie da immer noch oder erwarten Sie jetzt wieder einen Lagerwahlkampf?
Güllner: Ich glaube, ein Lagerwahlkampf ist auch immer etwas, was eher die Menschen nicht verstehen. Sie sind ja eher konsensorientiert. Und wir sehen es ja auch an der Präferenz für die Große Koalition. Die ist ja nach wie vor ausgeprägt. Es ist ja nicht so, dass die Große Koalition als Koalitionsform unbeliebt wäre. Das ist immer eine Kritik von intellektuellen Kulturkritikern, die das für schrecklich halten. Ich habe gerade interessanterweise Zahlen von 1969 gesehen. Nach der ersten Großen Koalition, die wir in der Bundesrepublik hatten, zwischen _66 und _69, haben mehr damals gesagt, wir möchten eigentlich, dass diese Koalition fortgesetzt wird und gar nicht mal die Koalition kommen sollte, die Willy Brandt dann quasi im Putsch mit Walter Scheel in der Wahlnacht noch durchgesetzt hat, nämlich die SPD-FDP-Koalition. Lagerwahlkampf ist etwas, was, glaube ich, die Menschen so auch nicht unbedingt schätzen.
Zagatta: Die SPD hat ja jetzt die Konsequenz gezogen, zumindest wirkt das so, und die FDP da als möglichen Partner ins Gespräch gebracht. Was bedeutet das denn jetzt aus Sicht der FDP? Ist das nicht auch höchst gefährlich? Die will ja auch keine klare Aussage treffen im Wahlkampf und hat damit auch schon einmal Schiffbruch erlitten. Wird da so eine Partei wie die FDP nicht auch in eine ganz schwierige Lage gebracht?
Güllner: Wenn man das mal in der Wahlgeschichte der Bundesrepublik sich anguckt, war die FDP immer dann erfolgreich, wenn sie klarmachen konnte, eine der beiden großen Parteien, entweder die Union oder die SPD, braucht ein Korrektiv, braucht einen Aufpasser. Das war immer ihre Aufgabe, diese Korrektivfunktion. Sie hat in der sozialliberalen Koalition vor allen Dingen in der ersten Phase mit Willy Brandt darauf aufpassen müssen, dass die SPD nicht überbordende Reformen macht. Die hat ja damals drei Reformen am Tag auf den Weg gebracht und da musste die FDP als Bremse wirken. Nur das setzt voraus, dass auch die möglichen Partner, entweder Union oder SPD, irgendetwas haben, wo man auf sie aufpassen muss, und das ist die Frage, ob im Augenblick Union oder SPD etwas anbieten können, wo die FDP diese, ihr angestammte Korrektivfunktion wieder ausüben könnte.
FDP braucht keine Koalitionsaussage
Zagatta: Sie würden der FDP, habe ich Sie recht verstanden, zu einer Koalitionsaussage raten?
Güllner: Nein. Ich glaube, dass die FDP durchaus sagen kann, dass sie für ihre Klientel, nämlich den klassischen Mittelstand in Deutschland, die Handwerker, die kleinen Unternehmer, die freien Berufe, die Leitenden Angestellten, dass sie für ihre Klientel in einer möglichen Regierung (mit wem auch immer) möglichst viel von deren Interessen einbringen will. Dann braucht sie auch nicht unbedingt eine Koalitionsaussage, wir machen mit der Partei von den beiden größeren eine Koalition, wo wir am meisten von unseren Vorstellungen durchsetzen können.
Zagatta: Sehen Sie die FDP überhaupt sicher im Bundestag aus heutiger Sicht? Es sieht ja so aus, als sei diese Auseinandersetzung, die da jetzt spannend geworden ist zwischen der Union und der wiedererstarkten SPD, als gehe das zu Lasten anderer Parteien wie der Grünen, wie der AfD und womöglich sogar dann auch auf Kosten der FDP.
Güllner: Die FDP liegt ja in Umfragen immer an oder sogar über der Fünf-Prozent-Marke und das ist zu einem Zeitpunkt, lange vor der Bundestagswahl, immer oder meist eine Garantie gewesen dafür, dass sie auch in den Bundestag kommt. Einzige Ausnahme war die 2013er-Wahl, wo es dann nicht ausgereicht hat, aber sonst waren immer noch aus dem liberalen Potenzial viele, die sich kurz vor der Wahl dann doch entschieden haben, der FDP die Stimme zu geben. Und wenn Sie auch noch an Nordrhein-Westfalen denken, wo Herr Lindner ja bewusst wie schon 2012 bei der Landtagswahl auf bürgerliche Wähler setzt, die die CDU wegen eines schwachen Kandidaten (damals Herrn Röttgen im Mai 2012, jetzt Herrn Laschet) nicht wählen können und deshalb zur FDP ausweichen, und das würde der FDP ja, wenn sie wiederum gut abschneidet wie bei der letzten Landtagswahl, auch für die Bundestagswahl wieder einen Schub geben.
Zagatta: Heute Mittag im Deutschlandfunk Manfred Güllner, der Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa. Herr Güllner, ich bedanke mich für das Gespräch.
Güllner: Ja, bitte schön.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.