Dirk-Oliver Heckmann: Lang her die Zeit, als Sigmar Gabriel ankündigte, er werde als Kanzlerkandidat der SPD nicht zur Verfügung stehen. Mit der Nominierung von Martin Schulz versetzten sich die Sozialdemokraten ja in einen regelrechten Siegesrausch. Doch davon ist nicht viel übrig: Drei deftig verlorene Landtagswahlen seither, der Verlust der Macht an Rhein und Ruhr. Und in den Umfragen nähert man sich langsam wieder der 20-Prozent-Marke. Ein Grund: Martin Schulz hatte sich wochenlang spürbar zurückgehalten, angeblich aus Rücksicht auf die Wahlkämpferin und spätere Wahlverliererin Hannelore Kraft. Jetzt aber will er vorlegen. Gestern stellte er das Rentenpapier seiner Partei vor, gemeinsam mit Arbeits- und Sozialministerin Andrea Nahles. Darin fordert die SPD eine Untergrenze beim Rentenniveau von mindestens 48 Prozent des durchschnittlichen Einkommens. Außerdem soll es geben eine Solidarrente für Geringverdiener und eine Beibehaltung des derzeitigen Renteneintrittsalters.
- Darüber können wir jetzt sprechen mit Klaus-Peter Schöppner. Er ist Gründer des Meinungsforschungsinstituts Mentefactum. Schönen guten Morgen, Herr Schöppner.
Klaus-Peter Schöppner: Hallo! Guten Morgen! – Klingt alles gut, nicht?
Heckmann: Ja! – Martin Schulz stellt die Rente ins sozialdemokratische Schaufenster. Das ist ein Teil des Oberthemas soziale Gerechtigkeit. Ist das aus Ihrer Sicht der richtige Ansatz, um wieder aus dem Umfragekeller zu kommen?
Schöppner: Sagen wir mal so: Man hat schon den Eindruck, dass er vom Treiber, der er gerne sein will, inzwischen zum Getriebenen geworden ist. Richtig ist, dass dieses Thema natürlich die Bürger bewegt, dass das Thema soziale Gerechtigkeit einerseits und dass das Thema Sicherheit in seiner weitesten Definition natürlich Themen sind, die die Deutschen beschäftigt, und natürlich sozialdemokratische Themen. Von daher hat er schon ein richtiges Thema gewählt, wenn es nicht so viele Wenns in dieser ganzen Geschichte geben würde.
Heckmann: Was sind diese Wenns?
Schöppner: Die Wenns sind einmal der Finanzierungsvorbehalt oder das Aufschieben der Finanzierung auf, wie er es ja nennt, die Zeit, wenn er schon zwölf Jahre Kanzler ist, jetzt Wohltaten zu versprechen, Sicherheit zu versprechen und in zwölf Jahren wird dann Kasse gemacht. Das ist für die Bürger nicht ganz so seriös. Zweitens hat man nicht so ganz gute Erfahrungen gemacht mit der Rentenpolitik der Sozialdemokraten. Nehmen Sie das Beispiel Rente mit 63, wo jetzt viele Facharbeiter fehlen. Dann gibt es schon ein Problem damit, dass man den Eindruck hat, das ist nicht wirklich ein Gesamtkonzept. Da werden jetzt bestimmte Themen herausgeholt. Wo soziale Gerechtigkeit als Thema nicht so stark greift, muss jetzt ein anderes Thema her. Und das Wichtigste ist eigentlich, dass die SPD vergisst, dass sie ja nicht wirklich eine Machtoption zumindest nach den derzeitigen Daten hat. Das alles durchzuführen, wenn sie sozusagen allein an der Regierung wäre, wäre ja alles schön und gut, aber was kann passieren. Wenn sie denn überhaupt in die Regierung kommt, wird sie kleinerer Koalitionspartner. Also eine Partei, die nicht wirklich eine Machtoption hat, die das nicht wirklich durchsetzen kann. Da klingt das so ein bisschen mehr nach jetzt muss ich ein Thema mal herausholen und mal gucken, was wird.
Heckmann: Zu den Machtoptionen kommen wir später noch mal zurück. Aber bleiben wir mal bei der Rente. Die SPD fordert jetzt eine Untergrenze von 48 Prozent. Das ist den einen zu viel, den anderen zu wenig. Aber noch mal konkret darauf angesprochen: Ist dieses ein Angebot an die von Schulz so oft zitierten hart arbeitenden Menschen? Kann das funktionieren, weil die Leute sich vielleicht denken, na ja, gut, die Finanzierung ist die eine Sache, aber erst mal nehme ich die garantierte Untergrenze?
"Politik des Wünschenswerten"
Schöppner: Ja, vom Prinzip her ist es richtig. Das was der SPD nur vorgeworfen wird ist, dass sie eigentlich eine Politik des Wünschenswerten macht und dass die CDU eher damit punktet, dass sie eine Politik des Machbaren macht. Eine Politik des Wünschenswerten aus der Oppositionsrolle mit relativ geringer Realisierungswahrscheinlichkeit gelingt dann nicht so unbedingt, sondern das wird dann als nächstes Thema genommen, was jetzt mal versucht wird, damit Punkte zu machen. Ich habe es gerade schon gesagt: Die SPD ist derzeit getrieben. Die SPD ist derzeit in einem großen Ernüchterungsprozess. Sie lag vor Kurzem ja unter Gabriel noch zwölf Prozentpunkte hinter der Union, dann hat sie ausgeglichen, jetzt liegt sie wieder fast zwölf Punkte hinten. Das klingt so nach letzte Chance und das ist das, was das Ganze etwas diskreditiert derzeit.
Heckmann: Da müssen wir mal die nächsten Wochen, denke ich, abwarten, was da noch so kommt. - Das Rentenkonzept, das hängt ja dann auch mit dem Steuerkonzept zusammen, das dann auch noch präsentiert werden wird. Auch hier steht die SPD ja vor einem Dilemma, eher einen linken Kurs zu fahren oder auf die Mitte abzuzielen. Wie kann die SPD das Dilemma lösen?
Schöppner: Die SPD muss ehrlich sein. Die SPD kann im Prinzip dieses, auch das Rentenkonzept als Konsequenz ihrer guten Politik früherer Jahre verkaufen, wenn sie es noch will. Sie haben gerade schon angesprochen, dass das im linken Flügel nicht gut ankommt. Zu sagen, wir stehen wirtschaftlich ausgesprochen gut da. Und wenn wir mal etwas zurückdenken, ist das unsere Politik, ist das die schrödersche Agendapolitik, die uns jetzt in eine komfortable Situation bringt, wo wir möglicherweise dieses als Zielvorgabe mal definieren und versuchen, das durchzusetzen. Das wäre schon viel besser. Aber im Prinzip gelingt diese Volte nach dem Motto, wir haben uns das erarbeitet und wir haben da auch drunter gelitten und jetzt ist das sozusagen der Ertrag, das kommt in dieser ganzen Diskussion nicht wirklich zum Vorschein.
Heckmann: Wenn ich da einmal einhake. Sie würden der SPD tatsächlich empfehlen, sich positiv zu stellen zur Agenda 2010, die ja so ein schlechtes Image in Deutschland hat?
Schöppner: Na ja. Die ganzen Schandtaten sind ja sozusagen abgefrühstückt. Wir leben ja jetzt von dem Erfolg dieser Agenda 2010 und was früher war, da müssen wir ja nicht mehr so hingucken, sondern wir gucken lieber nach vorne. Von daher würde ich natürlich der SPD empfehlen, wir machen eine Politik oder wir haben eine Politik gemacht, die jetzt dazu führt, dass wir möglicherweise diese Punkte, die alle in der Öffentlichkeit sicherlich mit Wohlwollen betrachtet werden, in Angriff nehmen können.
Heckmann: Zu den Machtoptionen zählt auch eine mögliche rot-rot-grüne Koalition. Bei der Landtagswahl im Saarland war das allerdings ein Grund für viele Wähler, bei der SPD nicht das Kreuz zu machen, weil viele Rot-Rot-Grün nicht wollen. Und Hannelore Kraft in Nordrhein-Westfalen, die hat ja Rot-Rot-Grün in letzter Sekunde noch ausgeschlossen aus Furcht vor einem ähnlichen Effekt in Nordrhein-Westfalen. Seither heißt es in der SPD, wir spekulieren nicht über Koalitionen. Ist das eigentlich aus Ihrer Sicht eine Erfolg versprechende Strategie, zu sagen, wir kämpfen für eine starke SPD und die Koalitionsüberlegungen, die kommen nach dem Wahltag?
"Rot-Rot-Grün deutlich ausschließen"
Schöppner: Jein, denn die SPD ist die Partei, bei der die Wähler am wenigsten wissen, was hinterher passiert. Die Koalitionsoptionen – Sie haben es eben schon angesprochen – bei der SPD sind im Prinzip im Gegensatz zu anderen Parteien maximal. Wer SPD wählt, kann sich theoretisch in einer linken Koalition mit den Grünen, mit den Linken wiederfinden, kann aber auch Juniorpartner der CDU sein. Er kann rechte Politik und er kann ziemlich extreme linke Politik wählen. Und das ist das Problem, was die SPD auch vor Wahlen hat, nichts Genaues weiß man nicht. Und von daher ist es natürlich zu empfehlen, dass die SPD bestimmte Dinge ausschließt. Sie haben es gerade gesagt, dass Rot-Rot-Grün nicht wirklich gut ankommt bei der Wählerschaft. Und von daher ist das zu empfehlen, dass sie dieses auf alle Fälle vor der Wahl deutlich ausschließt.
Heckmann: Wir werden sehen, wie sich die SPD positioniert. Einstweilen war das die Einschätzung von Klaus-Peter Schöppner vom Meinungsforschungsinstitut Mentefactum. Herr Schöppner, schönen Dank für Ihre Zeit heute Früh.
Schöppner: Schöne Zeit Ihnen. Auf Wiedersehen!
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