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Wahlkampf im Netz
"Die Vielfalt in den Griff zu kriegen, ist die größte Herausforderung"

Junge Wähler seien ein Problem für die etablierte Politik, weil sie sich in ganz anderen medialen Kontexten aufhielten als Ältere, sagte der Medienwissenschaftler Martin Emmer im Dlf. Politiker müssten auch auf hybriden Medienformen wie YouTube erscheinen, um junge Zielgruppen zu erreichen.

Martin Emmer im Gespräch mit Stefan Heinlein |
    Bundeskanzlerin Angela Merkel im Interview mit Florian Mundt alias LeFloid am Freitag, 10.07.2015, im Bundeskanzleramt.
    LeFloid interviewt Bundeskanzlerin Angela Merkel. (dpa / Bundeskanzleramt / Steffen Kugler)
    Stefan Heinlein: Das große TV-Duell Anfang September zwischen Angela Merkel und ihrem Herausforderer Martin Schulz ist für nicht wenige Beobachter die wichtigste Runde im Kampf um das Kanzleramt. Tatsächlich jedoch dürfte zumindest vielen Jungwählern der ritualisierte Schlagabtausch auf dem Bildschirm reichlich egal sein. Längst saugt die junge Generation ihre Information fast ausschließlich aus dem Netz. Ein Grund, weshalb Angela Merkel sich heute von vier jungen YouTubern befragen lässt. Dazu der Kommunikationswissenschaftler Martin Emmer von der FU Berlin. Guten Tag, Herr Professor!
    Martin Emmer: Guten Tag!
    Heinlein: In gut einer Stunde also – wir haben es gerade gehört – der Startschuss für den Merkel-Live-Stream im Netz. Wie hoch ist das Risiko, dass die Kanzlerin hier auf die Nase fällt und sich blamiert?
    Emmer: Ich glaube, das Risiko ist nicht so groß. Sie hat da schon mal Erfahrungen gesammelt, und sie hat es eigentlich drauf, immer sehr authentisch aufzutreten. Sie versucht jetzt nicht, sich anzubiedern, und ich würde mal erwarten, dass sie das diesmal auch nicht macht. Sie tritt auf, wie sie ist. Sie hatte ja auch nie Probleme damit, ihre Distanz zur digitalen Welt auch offen zu thematisieren, und ich glaube eher, dass für sie mehr Chancen drin stecken als Risiken.
    "Sie kann ja schon auch so eine Offenheit demonstrieren"
    Heinlein: Wie muss den Angela Merkel formulieren, damit es ankommt in der Netzgemeinde? Möglichst flockig leicht oder möglichst so wie eine Kanzlerin halt redet?
    Emmer: Ich glaube, dass die Strategie, die sie bisher gefahren hat, auch in diesem Kontext wirklich erfolgsversprechend sein dürfte, dass sie also eher so authentisch wie möglich auftritt. Sie kann ja schon auch so eine Offenheit demonstrieren immer im Gespräch, und ich glaube, dass, wie gesagt, sie da jetzt, wenn sie gerade eben nicht versucht, sich besonders jung und flockig zu geben, eigentlich am meisten Punkte machen kann.
    Jungwähler "Problemgruppe" für etablierte Politik
    Heinlein: Merken junge Menschen recht schnell, gerade diese netzaffine Gemeinde, dass jemand versucht, sich da anzubiedern?
    Emmer: Ja, ich glaube, das merken Wähler grundsätzlich. Es gibt ja eine ganze Reihe von eher peinlichen Versuchen, sich anzubiedern, auch aus vergangenen Wahlkämpfen in verschiedenen Kontexten, und ich glaube, das funktioniert in der Regel nicht. Diese jungen Wähler sind natürlich schon eine Problemgruppe, das muss man sagen, für die etablierte Politik generell, nicht nur für die Kanzlerin, weil diese jungen Menschen sich eben in ganz anderen medialen Kontexten aufhalten und bewegen als das die älteren Wähler tun, und sich darauf einzustellen, das ist wirklich eine große Herausforderung. Was wir da beobachten ist eben jetzt gerade so eine Bewegung von Politikern, da einen Zugriff zu diesen neuen, zukünftig ja immer wichtiger werdenden Wählergruppen zu kriegen.
    "Kaum mehr Gemeinsamkeiten zwischen Älteren und Jüngeren"
    Heinlein: Wie hat sich denn das Medienverhalten der jungen Generation verändert? Können Sie das noch ein wenig ausführen?
    Emmer: Der Begriff verändert ist da ein bisschen problematisch, weil ganz generell Menschen ihr Verhalten nicht so einfach ändern. Das Problem ist ja eher, dass wir gerade in unserer Mediennutzung und im Informationsverhalten eher stabil bleiben. Ältere Leute nutzen immer noch stark Zeitungen, Fernsehnachrichten. Jüngere Leute fangen mit so etwas gar nicht mehr an, sondern die beginnen, wenn sie sich für die Welt interessieren, eben mit den Medien, mit denen sie zuerst in Kontakt kommen. Das ist dann eben gerade bei ganz jungen Zielgruppen vor allem YouTube, und wenn man mal diese Gruppen vergleicht, die Wählergruppen, dann muss man heute sagen, dass es da kaum mehr Gemeinsamkeiten gibt zwischen Älteren und Jüngeren, was Mediennutzung angeht, und das ist wirklich eine ganz erhebliche Herausforderung für die Politik, alle irgendwie zu erreichen.
    Hybride Medienformen: "Da muss man irgendwie reinkommen"
    Heinlein: Also Bild und Glotze wie seinerzeit für Gerhard Schröder ist nicht mehr interessant für die junge Generation, sondern YouTube und Facebook und andere soziale Netzwerke. Sie sagen, es ist ein Problem für die Parteien, wie können die Parteien denn darauf reagieren, damit sie diese jungen Wähler noch erreichen?
    Emmer: In erster Linie müssen sie natürlich dahingehen, wo diese jungen Wähler sind, und da sind solche Strategien, auch stärker auf YouTube unterwegs zu sein, sich stärker auch mit diesen neuen Formen von Journalismus auseinanderzusetzen. Das sind ja ganz komische hybride Formen von Berichterstattung, was diese YouTuber betreiben. Die haben ihre Themen, die machen aber auch mal ein bisschen Politik. Das ist ganz schwer, für uns auch zu beschreiben, und da muss man irgendwie reinkommen. Das ist also schon eine wichtige Strategie. Im Wahlkampf selbst, muss man aber natürlich sagen, spielen natürlich auch ältere Wähler immer noch eine wichtige Rolle, insofern kann man auch nicht einfach Bildband und Glotze, wie Schröder das damals nannte, jetzt einfach außen vor lassen, sondern man muss das alles natürlich parallel bespielen.
    "Natürlich ist Politik auch immer Show"
    Heinlein: Vor zwei Jahren gab es ja das Interview von Angela Merkel mit dem YouTuber LeFloid – wir haben es gehört im Vorbericht –, da waren es vor allem freundliche, unverbindliche Fragen. Ist das noch Politik oder ist das schon Showbusiness, was Angela Merkel da betreibt?
    Emmer: Also diese Kritik bringt man Angela Merkel ja häufiger entgegen, dass sie eher versucht, etwas zu depolitisieren. Natürlich ist Politik auch immer Show, und natürlich geht es sehr stark im Wahlkampf auch ja darum, Leute zu gewinnen, die nicht das ganze Jahr über Politik so massiv verfolgen, sondern die eben eher da ein distanziertes Verhältnis haben. Deswegen ist Wahlkampf natürlich auch immer die Zeit, in der man gerade in solchen Sphären stärker unterwegs sein müsste. Deswegen stellt man sich auch in die Fußgängerzone zum Beispiel, und deswegen geht man auch in solche Bereiche, um eben nicht nur harte politische Themen zu diskutieren, sondern eben auch so ein bisschen allgemeine Sympathiewerbung zu machen, um eben auch die Gelegenheit, Nichtwähler vielleicht dann doch dazu zu kriegen, aus anderen als aus harten politischen Gründen doch mal eine Stimme für Kandidaten abzugeben.
    "Eben nicht nach Schema F immer die gleichen Phrasen loswerden"
    Heinlein: Herr Emmer, bei YouTube werden in der Regel ja keine langen Videos gepostet und konsumiert, sondern das sind eher ganz kurze Schnipsel, 30, 40, 50 Sekunden. Ist das eine zusätzliche Herausforderung heute für Angela Merkel? Muss sie anders, prägnanter formulieren?
    Emmer: Also ich glaube, darauf sind Politiker grundsätzlich ja schon gepolt. In Fernsehinterviews ist das in der Regel ja das Gleiche. Man weiß, dass man kurze Statements bringen muss, wenn man in die Nachrichten kommen will. Das haben die schon drauf. Die größere Herausforderung ist, glaube ich, wirklich eher diese Vielfalt. Es gibt ja auf YouTube schon auch längere Stücke. Es gibt ganz unterschiedliche Formate, und diese Vielfalt in den Griff zu kriegen und eben nicht nach Schema F immer die gleichen Phrasen loszuwerden, das ist, glaube ich, die größte Herausforderung für Politiker aller Couleur.
    Heinlein: Im Deutschlandfunk der Medienwissenschaftler Martin Emmer von der FU Berlin. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!
    Emmer: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.