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Wahlkampf in Berlin
Müller träumt von Rot-Grün

Noch vier Wochen bis zu den Wahlen zum Abgeordnetenhaus in Berlin. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) richtet Heiratsanträge an die Grünen - doch die zerfließen nicht gerade vor Liebe. Zwischen den Koalitionspartnern SPD und CDU herrscht derweil Lagerwahlkampf.

Von Claudia van Laak |
    Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD).
    MM - so wird Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) von seinen Mitarbeitern genannt. (picture alliance / dpa/ Kay Nietfeld)
    Wären da nicht das Polizeiauto und die uniformierten Beamten, niemand würde sich umdrehen nach diesem schmalen Mann mit der unauffälligen Brille, der gerade am Wittenbergplatz schräg gegenüber vom KaDeWe in eine Currywurst beißt. Dass Berlins Regierende Bürgermeister Michael Müller gleich eine Wahlkampfrede halten wird, auch das bewegt nur wenige dazu, ihre Einkaufstüten abzustellen und anzuhalten.
    "Ich bitte Sie, mit einem herzlichen Applaus zu begrüßen den Regierenden Bürgermeister und Spitzenkandidaten der SPD Michael Müller!"
    Der Applaus ist dünn, MM – so wird er intern von seinen Genossen und Mitarbeitern genannt – kein begnadeter Redner. Viel erreicht, aber noch viel mehr vor, so lässt sich sein kurzer Vortrag zusammenfassen. Und doch ist etwas neu an diesem Wahlkampfauftritt:
    "Wir stehen als Regierung und als Berlinerinnen und Berliner für die Vielfalt, für die Offenheit, für die Freiheit. Alles das ist bei dem jetzigen Koalitionspartner keine Selbstverständlichkeit. Deswegen sage ich, dass ich glaube, dass wir mit einem anderen, mit einem grünen Koalitionspartner noch mehr erreichen können."
    "Vor jeder Wahl entdeckt die SPD ihre Liebe zu Rot-Grün"
    Der Nachfolger von Klaus Wowereit will Rot-Schwarz beenden und nach dem 18.September am liebsten eine Koalition mit den Grünen eingehen. Ein klarer Heiratsantrag ist das, der den möglichen Ehepartner allerdings nicht vor Liebe zerfließen lässt. Ganz im Gegenteil:
    "Vor jeder Wahl entdeckt die SPD in Berlin ihre Liebe zu Rot-Grün. Und nach jeder Wahl hat sie sich andere Koalitionspartner ausgesucht. Insofern frage ich auch Michael Müller gerne zurück, wie ernst meint er das denn? Und vor allem: Ist er bereit auszuschließen, weitere fünf Jahre der Stadt eine große Chaos-Koalition zuzumuten."
    Eher verschnupft klingt diejenige, die von Michael Müller gerade einen Hochzeitsantrag bekommen hat: Ramona Pop, Spitzenkandidatin der Grünen, hat ein gutes Gedächtnis. Vor fünf Jahren führte sie Koalitionsverhandlungen mit der SPD; Klaus Wowereit ließ diese im letzten Moment platzen und wandte sich den Christdemokraten zu.
    "Wenn man sich das genau anschaut, macht er zwar schon ein Angebot, aber auf der anderen Seite hält er sich auch alle Hintertüren offen, wie man die SPD eben so kennt. Mit Henkel will er nicht noch einmal koalieren, aber das mit der CDU könnte er sich vielleicht doch noch einmal vorstellen."
    Die CDU hat mehrere Probleme
    Frank Henkel, Spitzenkandidat der CDU und Noch-Innensenator der rot-schwarzen Koalition. Die Christdemokraten haben mehrere Probleme: Die AfD drängelt von rechts und jetzt kommt ihnen auch noch der sozialdemokratische Koalitionspartner abhanden. Von den Grünen haben sie ebenfalls einen Korb bekommen. Die CDU – in den Umfragen derzeit mal auf Platz 2, mal auf Platz 3 – spitzt ihren Wahlkampf deshalb auf ein Thema zu, und das lautet: Innere Sicherheit.
    "Und deshalb war es wichtig, dass wir 1000 Stellen mehr für die Polizei geschaffen haben, dass wir fast 200 Stellen neu geschaffen haben für den Bereich der Feuerwehr, dass wir den Verfassungsschutz auch vor dem Hintergrund der Bedrohung durch den internationalen und islamistischen Terrorismus aufgestockt haben um 25 Prozent mehr Personal. Meine Damen und Herren, das sind Maßnahmen, die dienen der Sicherheit der Menschen in unserer Stadt. Und wenn ich von Trendumkehr spreche, dann bedeutet das, dass ich auch nach dem 18.9. dafür sorgen will, dass wir diesen Weg weitergehen können."
    Burkaverbot und Ende der doppelten Staatsbürgerschaft – mit diesen Forderungen will die bislang als liberal geltenden Hauptstadt-CDU verhindern, dass zu viele Wählerinnen und Wähler ihr Kreuz bei der AfD machen. Deren Spitzenkandidat ist der frühere Bundeswehroffizier Georg Pazderski:
    "Wir haben einen CDU-Innensenator, und die CDU heftet sich immer auf die Fahnen, besonders für die Innere Sicherheit zu sorgen. Also wenn 72 Prozent der Berliner sagen, sie fühlen sich unsicherer als vor fünf Jahren, dann sehen sie, dass das Thema Innere Sicherheit eine große Rolle hier in Berlin spielt und wir auch dieses Thema sehr bewusst aufgenommen haben, weil wir glauben, den Bürgern müssen wir einfach die Innere Sicherheit geben, damit sie sich wieder wohl und sicher in dieser Stadt fühlen."
    SPD, CDU, Grüne und Linke dicht beieinander
    Die Umfragen genau einen Monat vor der Wahl spiegeln einen bundesweiten Trend: die beiden großen Volksparteien verlieren an Zustimmung, SPD, CDU, Grüne und Linke liegen ganz dicht beieinander, alle vier um die 20 Prozent. Die Rechtspopulisten von der AfD könnten ein knapp zweistelliges Ergebnis einfahren und somit nach der Wahl ein Dreierbündnis erzwingen. Das von Michael Müller erträumte rot-grüne Bündnis: derzeit eher unwahrscheinlich.
    "Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, jetzt gehe ich noch ein bisschen rum."
    Zurück an den Wittenbergplatz. Berlins Regierender Bürgermeister und SPD-Landeschef verlässt die kleine Bühne, geht ins direkte Gespräch mit den Wählerinnen und Wählern. Immer dann kann er punkten. Michael Müller hört hin, zeigt Sachkenntnis, lässt sich aber auch nicht die Butter vom Brot nehmen. Die Berliner kommen mit ihren persönlichen Sorgen. Künftige Koalitionen: eher unwichtig. Ein Dialog mit Müller:
    "Wir haben noch einen alten Mietvertrag, mein Vater und ich. Sehr gut. Nur deshalb können wir auch noch in Berlin-Kreuzberg bleiben. Dennoch habe ich immer die Befürchtung, dass ich, sobald ich meine Ausbildung beendet habe und ich von Zuhause ausziehe, dass ich dann meinen Bezirk verlassen muss."
    "Nein, immer, bevor Sie rausgehen aus der Wohnung, bevor Sie einen alten Mietvertrag kündigen - Sie kriegen nie wieder so einen guten Mietvertrag wie diesen alten, jeder neue ist teurer - bevor Sie das machen, nehmen Sie Beratungsangebote in Anspruch, vom Bezirksamt oder vom Mieterverein, und wenn's gar nicht anders geht, bevor Sie rausgehen, suchen Sie den Kontakt mit einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft."
    Wohnen ist ein wichtiges Thema im Wahlkampf
    Verdrängung aus dem angestammten Kiez, Mieterhöhung, Wohnungsnot – ein wichtiges Thema im Wahlkampf. Berlin wächst jährlich um eine Kleinstadt – 40.000 Menschen. Die Infrastruktur hält nicht mit.
    "Was haben Sie in den letzten Jahren als Bürgermeister gemacht, dass ich Sie wählen sollte?"
    "Das Umsteuern zum Beispiel in der Wohnungspolitik, dass überhaupt wieder gebaut wird durch städtische Gesellschaften."
    "Das war vorher nicht so?
    "Nein, das habe ich angefangen als Senator, und dann die Programme noch verstärkt , als ich dann Regierender Bürgermeister wurde."
    "Also das finde ich auf jeden Fall einen guten Punkt und ich wusste es auch noch nicht."
    Ab heute hängen die neuen Großflächenplakate der CDU: "Sicher wohnen, sicher feiern, sicher lernen, sicher unterwegs". Die Motive der SPD: eine Drag-Queen mit dem Slogan "Berlin bleibt frei". Und eine Muslima mit Kopftuch, im Hintergrund ein verschwommener Michael Müller. Das nennt man wohl Lagerwahlkampf.