Dirk-Oliver Heckmann: Der Präsidentschaftswahlkampf in Frankreich, er entwickelt sich zu einem regelrechten Krimi. Marine Le Pen vom rechtsradikalen Front National droht, als Siegerin aus der ersten Runde hervorzugehen, und das hat einen Grund: Dem konservativen Kandidaten Francois Fillon nämlich hängt der Vorwurf, seine Frau jahrelang zum Schein angestellt und mit Steuermitteln bezahlt zu haben, wie ein Mühlstein um den Hals. Gestern sagte er einen Pflichttermin kurzfristig ab und kündigte für mittags eine Erklärung an. Alle dachten dann, jetzt gibt er seinen Rücktritt bekannt. Doch das Gegenteil war der Fall. Fillon gab bekannt, dass er für Mitte März von den zuständigen Untersuchungsrichtern vorgeladen wurde, ging aber gleich in die Offensive, sprach von einem Versuch, ihn politisch zu ermorden, und kündigte an, weiterzumachen.
Am Telefon ist jetzt Claire Demesmay, Leiterin des Programms deutsch-französische Beziehungen der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Schönen guten Morgen.
Claire Demesmay: Guten Morgen.
Heckmann: Frau Demesmay, hatten auch Sie damit gerechnet, dass Fillon das Handtuch werfen würde, und wie sehr waren Sie überrascht, dass er es nicht tat?
Demesmay: Ich war in der Tat überrascht, dass er nicht zurücktritt. Als ich gehört habe, dass Fillon seinen Besuch bei der Landwirtschaftsmesse in Paris abgesagt hatte, habe ich gedacht: Okay, jetzt ist es so weit. Man muss sehen, diese Landwirtschaftsmesse in Frankreich ist ein echtes Politikum, und wenn ein Politiker nicht hingeht, dann ist das schon ein Zeichen dafür, dass die Lage ernst ist. Die Lage ist ernst, aber Fillon macht trotzdem weiter.
"Es gibt keinen Plan B"
Heckmann: Die Konservativen gehen jetzt womöglich sehenden Auges in eine schwere Niederlage. Wie lange machen das denn seine Unterstützer mit? Es gibt ja schon erste Absetzbewegungen.
Demesmay: Ja, es gibt sie, auch Bruno Le Maire, der sein Berater bis jetzt für internationale Politik und Europafragen war, der diese Rolle nicht mehr haben will, der auch zurückgetreten ist. Und auch die Partei von Bruno Le Maire, die kleine Zentrumspartei in Frankreich. Das ist kein gutes Zeichen, keine gute Nachricht für Fillon. Die Frage, wie lange er weitermacht, ist legitim und ist auch schwer zu beantworten, weil man hätte jetzt schon mehrmals sagen können, jetzt ist der richtige Zeitpunkt gekommen. Ich glaube, diese Ungewissheit hat zwei Gründe: Der erste Grund ist, dass Fillon immer noch an einen möglichen Sieg glaubt. Man muss sehen, dass die Lage zurzeit in der französischen Politik so ist, dass derjenige, der in der Stichwahl gegen Marine Le Pen antreten wird, große Chancen hat, Präsident zu werden. Das ist quasi sicher. Und heute in den Umfragen ist der Unterschied zwischen Fillon und Macron, dem Chef von der Bewegung "En Marche", nicht so groß. Heute sind viele Wähler noch unentschieden und die Stimmung kann schnell kippen, und das ist die Wette von Fillon.
Der zweite Grund für diese zögerliche Haltung ist, dass es keinen Plan B gibt. Die Partei ist tief gespalten in mindestens drei Lager, die Fillon, Sarkozy und Alain Juppé verkörpern. Und Alain Juppé, den Sie erwähnt haben, Alain Juppé, der bei der Vorwahl der Konservativen den Platz zwei erreicht hatte, ist im rechten Lager wirklich umstritten und insbesondere Sarkozys Anhänger wollen ihn nicht. Das heißt, es gibt keinen Konsens heute über einen alternativen Kandidaten.
Heckmann: Deswegen fällt ein möglicher Aufstand gegen Fillon auch aus, weil es keinen alternativen Kandidaten gibt.
Demesmay: Ja, genau. Es gibt keinen alternativen Kandidaten. Und wenn die Partei eine neue Diskussion über eine Führungsrolle, über einen neuen Chef eröffnen würde, dann würde das heißen, dass die alten Gräben sehr schnell wieder da sein werden, weil diese Spaltungen in der Partei da sind, und das ist die Chance für Fillon.
"Fillon versucht, den Rechtsstaat zu diskreditieren"
Heckmann: Aber er hat ja auch angekündigt, sich zurückzuziehen für den Fall, dass offizielle Untersuchungen gegen ihn eingeleitet werden. Bricht er damit nicht sein Wort?
Demesmay: Ja, das stimmt. Das hatte er gemacht. Das hatte er angekündigt und er hat das Versprechen nicht eingehalten. Das ist ein Problem. Das Problem ist umso größer, als er sich immer im Wahlkampf als Monsieur Saubermann präsentiert hat. Er hat im Wahlkampf auch bei der Vorwahl der Konservativen auf seine moralische Integrität gesetzt. Er hat das immer wieder betont, auch um sich von Sarkozy zu unterscheiden. Wenn er das jetzt nicht macht, dann verliert er ganz viel an Glaubwürdigkeit. Und das ist umso problematischer und das ist noch ein Schritt weiter, dass er versucht, die Justiz und sogar den Rechtsstaat in Frankreich zu diskreditieren, und damit hat er einen vergleichbaren Diskurs wie Marine Le Pen im Front National.
Heckmann: Oder wie Donald Trump in den USA.
Demesmay: Ja, ja, auf jeden Fall. Und mit diesen Attacken auf die Justiz geht er sehr weit und das kann auch sehr schnell dann gegen ihn wirken.
"Das Gesicht des Systems ist Fillon"
Heckmann: Dass Francois Fillon jetzt nicht ausgestiegen ist, Frau Demesmay, wem nutzt das besonders? Nutzt das Emmanuel Macron, dem unabhängigen Kandidaten, oder am Ende Marine Le Pen?
Demesmay: Es nutzt den beiden, die Sie erwähnt haben. Es nutzt auf jeden Fall Marine Le Pen, die jetzt ganz vorne in den Umfragen liegt, die – das erwarten alle – am ersten Platz bei dem ersten Wahlgang ankommen wird. Und das nutzt auch natürlich Emmanuel Macron, der übrigens heute sein Programm vorstellen wird und der sich als unabhängig präsentiert, als Kandidat gegen das System. Die beiden, Le Pen und Macron wollen, einen Anti-System-Diskurs verkörpern, und das Gesicht ist zurzeit Fillon. Das ist jetzt ganz spannend und wie es sich entwickeln wird, ist noch schwer zu sagen, weil jeden Tag kommt eine neue Überraschung.
Heckmann: Abschließend gefragt: Sie gehen aber nicht davon aus, dass Marine Le Pen am Ende nach dem zweiten Wahlgang die Nase vorn hat und in den Elisée einziehen kann? Wir können uns beruhigt geben?
Demesmay: Das Wahlsystem in Frankreich ist ja so, dass in der Regel in der Stichwahl die rechtsextreme Partei doch verliert, weil ein großer Teil der Wählerinnen und Wähler sich dann hinter dem anderen Kandidaten versammeln. Das ist jetzt meine Erwartung. Natürlich kann man das in der aktuellen Lage auch nicht mehr ausschließen. Aber die Chance oder die Wahrscheinlichkeit, dass Marine Le Pen Präsidentin wird, ist trotzdem nach wie vor gering.
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