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Wahlkampf in Frankreich
Warum Emmanuel Macron so erfolgreich ist

Er wirbt für weitreichende Reformen, soziale Sicherheit und eine Erneuerung der französischen Politik: der ehemalige Banker Emmanuel Macron. Bereits 200.000 Menschen haben sich seiner sozialliberalen Bewegung "En Marche!" angeschlossen. Ein paar kritische Stimmen gibt es aber dennoch.

Von Anne Raith |
    Profilfoto des französischen Präsidentschaftskandidaten Emmanuel Macron.
    Der unabhängige französische Präsidentschaftskandidat Emmanuel Macron überzeugt seine Anhänger durch neue Ideen und Glaubwürdigkeit. (afp / Alain Jocard)
    Man merkt ihm an, dass er das noch nicht oft gemacht hat. Schüchtern steht Joël an einer Ecke des Boulevard Ney, während die Marktbesucher mit Rollwägelchen oder großen Gemüsetüten an ihm vorbeihasten.
    Der 60-Jährige ist er seit drei Monaten bei "En Marche!". Und wie so viele, die sich für die Bewegung von Emmanuel Macron engagieren, ist es sein parteipolitischer Erstkontakt. Wobei:
    "Das ist genau das, was mich an Macron interessiert: Dass er keiner Partei angehört, sondern etwas Neues schaffen möchte. Er spricht ja auch nicht von einem Programm, sondern von einer Transformation. Er schlägt universellere Ansätze vor, bei der Arbeitslosen- oder der Krankenversicherung, damit alle gleichermaßen davon profitieren."
    Deswegen steht der 60-jährige Gesundheitsberater an diesem Samstagvormittag also auf dem Markt im 18. Arrondissement und versucht, mit Passanten ins Gespräch zu kommen. Was gar nicht so leicht ist.
    "Wir sind hier in einem sehr einfachen Viertel, in dem viele Migranten wohnen, die keinen französischen Pass und damit kein Wahlrecht haben. Für uns ist es trotzdem wichtig, hier zu sein, um zu zeigen, dass sich Emmanuel Macron für alle interessiert."
    Eine Passantin bleibt stehen und will wissen, für wen da schon wieder Flugblätter verteilt werden. Der Markt ist auch bei den Wahlkämpfern der Sozialisten und der Kommunisten beliebt. Bei der älteren Dame können sie allerdings alle nicht landen:
    Ich bin seit 50 Jahren in Frankreich, erzählt die gebürtige Marokkanerin, aber ich vertraue niemandem. Auch Joëls Mitstreiter Said und Pierre haben mit Misstrauen zu kämpfen.
    "Ich habe Angst, dass Europa verschwindet"
    Das ist doch ein Kandidat der Banken, empört sich ein Passant über den ehemaligen Banker Macron und lehnt das angebotene Flugblatt ab. "Ich wähle eh Front National" murmelt er noch und geht weiter. Es ist auch diese Haltung, die den 30jährigen Pierre vor mittlerweile einem Jahr zu "En Marche!" gebracht hat.
    "Macrons Ideen haben mich überzeugt, also hab ich mir gesagt: 2017 muss ich selbst aktiv werden. Ich habe Angst, dass Europa verschwindet. Weil der Front National so gegen die EU ist, sprechen auch die anderen Parteien kaum darüber. Macron aber ist ein überzeugter Europäer, genau wie ich."
    Auch Pierre hat sich vorher noch nie in seinem Leben politisch engagiert. Wie so viele der mittlerweile über 200.000 Anhänger. Woher kommen die alle?
    "Macron wollte es anders machen"
    Eine Antwort darauf ist in einem hippen Hinterhof-Büro im elften Arrondissement zu finden, wo sich Guillaume Liegey gerade einen frischen Tee aufgießt. Kurz bevor Emmanuel Macron im vergangenen Frühjahr seine Bewegung gegründet hat, hatte sich der Politiker mit dem Jungunternehmer in Kontakt gesetzt, um mit ihm über eine Idee zu sprechen, erzählt Liegey:
    "Er wollte es anders machen. Er wollte, dass sein Team von Tür zu Tür geht, aber nicht, um für ihn zu werben – da war er ja noch nicht mal Kandidat -, sondern, um den Leuten zuzuhören und daraus eine Art Diagnose über Frankreich abzuleiten."
    Und Guillaume Liegey weiß, an welchen Türen man klopfen muss. Er ist Mitbegründer eines Startups, das – inspiriert von der Kampagne des späteren US-Präsidenten Barack Obama – dabei ist, den französischen Wahlkampf umzukrempeln. Auf Grundlage von Daten. "Wenn Sie mir sagen, wo Sie wohnen, kann ich Ihnen sagen, wen Sie wählen werden", sagt der Jungunternehmer selbstbewusst.
    Doch darum geht es Macron erst einmal nicht. Ihm geht es zunächst darum zu wissen, was die Franzosen umtreibt. Also schicken Liegey und seine Partner 6.000 Freiwillige los, die sie sich auf der "En Marche!"-Webseite registriert hatten:
    "Sie sollten den Menschen acht offene Fragen stellen. Zum Beispiel: Was läuft gut in Frankreich? Was nicht? Was ist Ihre schönste Erinnerung im vergangenen Jahr? Und Ihre schrecklichste? Die Antworten konnten vor Ort in eine von uns entwickelte App eingegeben werden und wurden später von einem weiteren Startup ausgewertet."
    Hoffnungen und Erwartungen
    Binnen drei Monaten klopfen die Freiwilligen an 300.000 Türen und sprechen mit 100.000 Menschen. Die Bewegung wächst. Vernetzt sich. Eine Art "En Marche!"-Gefühl entsteht.
    Und Emmanuel Macron hat seine Diagnose. Er weiß, was in Frankreich in den Augen der Menschen nicht gut läuft – mit Blick auf die Schulen und die Gesundheitsversorgung etwa. Er weiß, worauf sie Wert legen – auf Familie und soziale Sicherheit – und was sie sich wünschen. Dazu zählt auch: eine Erneuerung der französischen Politik. Mitte November erklärt Emmanuel Macron dann, dass er bei der Präsidentenwahl kandidieren wird und beginnt, aus der Diagnose sein Programm zu entwickeln. Gemeinsam mit den "En-Marche!"-Komitees im ganzen Land und mit Experten. Es ist ein sozialliberaler Kurs, der versucht, weitreichende Reformen und das Bedürfnis nach sozialer Sicherheit zu verbinden.
    Für diesen Kurs werben nun auch Pierre, Said und Joël, die an diesem Samstag in grauen Kapuzenpullovern mit dem Schriftzug "En Marche!" auf der Brust für Emmanuel Macron Wahlkampf machen. Pierre, mit 30 der Jüngste unter ihnen, ist voller Zuversicht:
    "Ich wollte mich nie einer Partei anschießen, es gab immer etwas, was mich gestört hat. Jetzt aber überzeugt mich alles, was er sagt. Ich vertraue der Bewegung, allen, die hier mitmachen. Die Zukunft ist nicht so schwarz!"
    Das will Joël auch glauben und ist doch vorsichtiger:
    "Ich glaube, dass er gewinnen kann, das glaube ich wirklich. Ich vertraue ihm. Aber ich habe auch Angst, dass man ihm etwas nachweist wie Fillon, etwas, von dem wir noch nichts wissen. Das wäre schade."