Die Lautsprecherwagen der Ja- und der Nein-Kampagne stehen im Istanbuler Stadtteil Besiktas nur wenige Meter auseinander. Werber für und gegen die Verfassungsänderung versuchen sich gegenseitig zu übertönen und schreien dazu auch noch gegen Maronenverkäufer, Möwen und den Verkehrslärm an. Mittendrin steht Simitverkäuder Cengiz, der Sesamkringel und andere Snacks zum Verkauf anbietet: "Nein, der Lärm beeinflusst mich gar nicht. Das prallt an mir ab, ich bin ohnehin schon halbtaub. So ist das "
Rund eine Million Menschen passieren den Platz zwischen Schiffsanleger, Bus- und Taxiständen täglich. Aus dem Lausprecherwagen der Ja-Kampagne dringt ohrenbetäubender Lärm. Ein Interview will man uns hier nicht geben. Stattdessen werde ich gefragt "Wo sind die Hunde? Haben Sie keine Hunde dabei?" Ein älterer Mann, der vor dem Stand der Ja-Kampagne steht, gibt uns dann doch Auskunft:
"Ich werde Ja sagen. Und ich sage Dir auch, warum ich Ja sagen werde. Warum also Ja... das sag' ich Dir... Alles ist perfekt, alles ist gut in diesem Land, Gott sei Dank dafür. Ich gehe ins Krankenhaus und muss in keiner Schlange stehen..."
Dann verstummen die Lausprecher der Ja-Kampagne und die Nein-Kampagne ist am Zug:
"Wir sagen Nein zu einem Ein-Mann-Regime. Wir sagen Nein zu einem Partei-Staat. Wir sagen Nein zur Auflösung des Parlaments. Wir sagen Nein zu einer verantwortungslosen Führung. Wir sagen Nein zur Wirtschaftskrise, zu einer voreingenommenen Justiz, zum Terror und zur Zerstörung gemeinsamer Werte."
"Die Türkei wird Ja sagen, Europa wird zittern"
Trotz politischer Konkurrenz funktioniert die Absprache, sich mit dem Lautsprecherlärm abzuwechseln. Auch sonst klappt es mit den Nachbarn, sagte eine Aktivistin vom Nein-Stand:
"Sehen Sie doch mal, die Stände hier, die sich gegenüber stehen! Ich wünschte, das ganze Land wäre so tolerant. Sehen Sie doch nur, wie demokratisch es ist. Wir gehen manchmal zu denen rüber und lassen uns Tee geben."
Ich schlendere über den Platz und nehme die Atmospäre auf. Eine schlanke Frau mit Kopftuch steht schon fast auf der Straßenkrezung und wirbt lautstark für das Präsidialsystem:
"Die Türkei wird Ja sagen - Europa wird zittern!"
Als sie mich bemerkt, eskaliert die Lage: "Hey, warum zeichen Sie mich auf? Warum? Haben Sie mich eigentlich gefragt?"
Dann ruft sie nach der Polizei. Ich frage, was das Problem sei, es sei ein öffentlicher Platz und ihr Werben gelte doch der Öffentlichkeit.
Die Atmosphäre ist nervös
"Sie schränken hier meine Freiheit ein. Sie müssen mich vorher fragen. Das ist hier mein Land. Sie können nicht aus dem Ausland daherkommen und meine Freiheit einschränken. Machen Sie das Ding aus. Stoppen Sie die Aufnahme!”
Ein jüngerer Mann vom Ja-Stand kommt und beruhigt die Lage. Ja, es seien alle gerade sehr nervös, sagt er. Simit-Verkäufer Cengiz steht hinter seinem Wägelchen und beoachtet die Situation. Ja, es gehe hier manchmal hoch her. Ihn störe das aber nicht:
"Ich weiß auch schon, wie ich wähle. Das Geschäft hat sich wegen der Stände hier weder verbessert noch verschlechtert. Aber die Stimmung hier ist manchmal schon belustigend.”