Eigentlich plätschert das Leben in Kurunegala gemächlich dahin. Die politischen Machtkämpfe in der Hauptstadt Colombo sind unter normalen Umständen knappe drei Stunden Autofahrt entfernt. Doch seit sich Sri Lankas langjähriger Machthaber Mahinda Rajapaksa entschieden hat, an die Macht zurückzukehren, ist Kurunegala ins politische Zentrum des Inselreichs gerückt.
Am 8. Januar hatten die Wähler Mahinda Rajapaksa bei der Präsidentschaftswahl aus dem Amt gejagt. Wegen Korruption, Vetternwirtschaft und Allmachtallüren. Jetzt tritt Rajapaksa in Kurunegala als Kandidat für die Parlamentswahl an. Hier siedelt vor allem die singhalesische Bevölkerungsmehrheit. Im drittgrößten Wahlbezirk des Landes will der Ex-Präsident genug Stimmen sammeln, um Premierminister zu werden. Er vertraut auf Menschen wie den 44-jährigen Roshan.
"Ich wähle Rajapaksa, weil er den Krieg beendet hat, nach fast 30 Jahren. Er hat unser Land weit nach vorne gebracht, und er hat es entwickelt. Er hat der Nation einen großartigen Dienst erwiesen."
In Kurunegala im Westen Sri Lankas sind besonders viele Soldaten-Familien zu Hause. Rajapaksa hatte die Armee als Präsident in die Vernichtungsschlacht gegen die tamilischen Befreiungstiger der LTTE geschickt, die auch mit Selbstmordattentaten für einen eigenen Tamilen-Staat im Nordosten Sri Lankas kämpften.
Ex-Präsident inszeniert sich als Kriegsheld
"Frühere Anführer haben sich internationalem Druck gebeugt und im entscheidenden Moment nachgegeben. Rajapaksa nicht. Er hat durchgehalten und er hat den Krieg gewonnen", sagt Schreinermeister Roshan stolz. Er verehrt Rajapaksa als nationalen Heilsbringer. Der Bürgerkrieg zwischen der singhalesischen Bevölkerungsmehrheit und der tamilischen Minderheit endete im Mai 2009. Allein in den letzten Kriegswochen sollen nach Schätzungen der Vereinten Nationen bis zu 40.000 Zivilisten ums Leben gekommen sein. Eine juristische Aufarbeitung mutmaßlicher Kriegsverbrechen und ein politischer Versöhnungsprozess fehlen bis heute.
Wimala erzählt unter Tränen, wie ihr Mann im Krieg gegen die tamilischen Rebellen gefallen ist. Die beiden waren gerade frisch verheiratet. Auch für Kriegswitwe Wimala ist Ex-Präsident Rajapaksa ein unverzichtbarer Kriegsheld - wie ihr Mann. Rajapaksas Triumph gibt dem Tod ihres Mannes einen Sinn. "Mahinda Rajapaksa hat uns allen den Frieden geschenkt und für Sicherheit gesorgt. Er beschützt uns, deshalb wähle ich ihn", sagt sie mit Tränen in den Augen, während sie durch ein Foto-Album blättert. Es zeigt die Beerdigung ihres gefallenen Mannes. Der Schmerz sitzt bei vielen Menschen in Sri Lanka tief.
Der Ex-Präsident, der jetzt Premierminister werden will, inszeniert sich im Wahlkampf in seiner Paraderolle als Kriegsheld. Als einziger Garant für die nationale Sicherheit. Als einzige Alternative. Er warnt vor neuem tamilischen Terror. Doch in seinem Wahlkreis Kurunegala gibt es auch viele kritische Stimmen. Attila ist Rechtsanwalt.
Kandidaten versprechen mehr Demokratie
"Wir hatten unter ihm keine Moral mehr in unserer Politik", sagt Attila. Er unterstützt den neuen Präsidenten Maitripala Sirisena und den amtierenden Premierminister Ranil Wickremesinghe. Das ungleiche politische Duo gehört unterschiedlichen Parteien an, arbeitet aber eng zusammen - gegen Rajapaksa. Sirisena gehört zur sri-lankischen Freiheitspartei - wie der Ex-Präsident. Die beiden langjährigen Weggefährten buhlen dort heute um die Herrschaft. Im Land und in der Partei.
Ranil Wickremasinghes Vereinigte Nationalpartei ist der größte Widersacher dieser zerrissenen Freiheitspartei. Doch der amtierende Premierminister macht den Wählern auch im Namen von Präsident Sirisena Versprechen: Das ungleiche Duo will Investoren ins Land holen, das Bildungssystem verbesser und für mehr Demokratie und Meinungsfreiheit sorgen. Dem jungen Rechtsanwalt Attila gefällt das.
"Wir brauchen Meinungsvielfalt und eine nationale Regierung, um uns als Nation zu entwickeln", sagt Attila. "Wie willst du dich entwickeln, wenn du Andersdenkende unterdrückst?" Doch einen Prozess wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen gegen Mahinda Rajapaksa lehnt Attila strikt ab. Das wäre für ihn wie Verrat. Auch er ist dankbar für das Ende des Krieges.
Minderheiten werden die Wahl entscheiden
"Wir müssen lernen, mit der Vergangenheit zu leben. Was geschehen ist, ist geschehen. Wir müssen jetzt nach vorne schauen, wir haben alle gelitten", sagt der Rechtsanwalt aus Kurunegala.
Doch entschieden wird die Wahl vermutlich woanders. Im Raum Batticaloa im Osten der Insel siedeln vor allem Tamilen und Sri Lankas Muslime. Die beiden größten Minderheiten des Inselstaates werden mit ihren Stimmen das Zünglein an der Waage sein.
"Wir sind alle Sri Lanker. Aber die Mächtigen behandeln uns nicht so", klagen die tamilischen Fischer in der malerischen Bucht von Pasikudha. Sie sind in den vergangenen Jahren vom Staat mehrfach vertrieben worden, weil nach dem Kriegsende in Pasikudha immer mehr 5-Sterne-Luxushotels aus dem Boden schießen. Die Strände werden für den Tourismus gebraucht, die tamilischen Fischer müssen weichen.
Die Männer machen Mahinda Rajapaksa verantwortlich: für die ungleiche wirtschaftliche Entwicklung, die sie nicht einschließt. Für Korruption. Für Unterdrückung. Sie wollen Rajapaksa vor einem internationalen Gericht sehen. "Das ist ein ganz böser Mann, der Schlimmes zu verantworten hat", sagen die Fischer.
Die Menschen im Tropenparadies Sri Lanka haben die Wahl. Zwischen der Vergangenheit und der Zukunft. Die Sieger der Parlamentswahl werden den Umgang mit der Vergangenheit und die Gestaltung der Zukunft gleichermaßen verantworten.