Ein milder Herbsttag Ende Oktober in Fluvanna County. Sue Wolf steht auf einer kleinen Bühne inmitten eines Parks. Und ist begeistert: "Hi everybody, it’s pretty amazing. I have not seen so many progressives in one place since last year. Make some noise!"
Das Mikrophon scheppert und Wahlkämpferin Sue feuert ein paar Dutzend Zuschauer an. Sie tragen blaue T-Shirts, die Farbe der Demokraten. Fluvanna liegt im ländlichen Virginia, das in diesen Tagen besonders heiß umkämpft ist. Denn normalerweise ist diese Gegend republikanisch - also rot - gefärbt. Aber nichts ist normal in diesem Wahlkampf.
"Das ist eine Attacke auf unser System!"
Auch nicht für Leslie Cockburn, die für die Demokraten hier kandidiert: "Es ist noch nicht so lange her, dass die Demokraten sich in Fluvanna gefunden haben. Wenn die Leute sagen, uhh das ist ein roter Bezirk, dann sage ich immer, nein es ist kein roter Bezirk, es hat nur gedauert, bis die Demokraten sich zusammengerauft haben." Leslie Cockburn, Journalistin und Dokumentarfilmerin, wäre die erste Frau, die für den fünften Distrikt in Virginia in den Kongress käme. Die erste demokratische Frau sowieso:
"Der Grund, warum ich das mache, heißt: Trump! Und ich bin eine von Hunderten Frauen, die jetzt in die Politik gegangen sind, obwohl sie das niemals auch nur geträumt hätten. Ich war 35 Jahre Journalistin, nie im Leben hätte ich gedacht, dass ich Politikerin werden würde. Aber was mich wirklich an Trump aufregt, nicht nur als Frau, sondern auch als Journalistin: Er hält die Presse für einen Feind des Volkes. Das ist eine Attacke auf unser System!"
Seit zwölf Monaten tourt Leslie Cockburn durch ihren Wahlkreis, der größer ist als Hessen. Sie weiß, dass es knapp wird. Sie weiß, dass sie jeden potentiellen Wähler motivieren muss. Die lateinamerikanischen Einwanderer vor allem, die sich im Speckgürtel rings um die Hauptstadt Washington angesiedelt haben. Und: Jede Wählerin.
Noch nie so viele weibliche Kongress-Kandidaten
Die Frauen könnten den Ausschlag geben. Frauen wie Sue Wolf, die ehrenamtlich für die demokratische Kampagne arbeitet. Und die findet, dass es endlich mehr Kandidatinnen wie Leslie Cockburn geben muss: erfahren und professionell: She is an amazing super-qualified candidate, her work experience is just what we need, we need more women in congress."
Mehr Frauen im Kongress - das will auch Ruth Goldeen, Physiotherapeuthin aus Charlottesville, eine große Universitätsstadt in Virginia. Die Demokratin hat zur Wahlparty in ihrem Haus geladen, zum ersten Mal. Sie ist empört, dass der Frauenanteil im Kongress bei gerade mal 20 Prozent liegt. Das könnte sich ändern. Noch nie haben so viele Frauen - vor allem bei den Demokraten - für den Kongress kandidiert, über 250 landesweit:
"Wir müssen uns alle engagieren. Diese Haltung nach dem Motto ‚Meine Stimme zählt doch nicht‘, hat uns erst in diese Situation gebracht. Wir leben in einem Swing State, traditionell sehr republikanisch, und wir müssen die Menschen jetzt dazu bringen, wählen zu gehen."
Hoffen auf die "blaue Welle"
Seit ein paar Jahren können sich die Republikaner in Virginia nicht mehr auf ihre männliche, weiße, konservative Basis verlassen. Bei den Präsidentschaftswahlen 2016 siegte Hillary Clinton über Donald Trump, wenn auch nur knapp. Eine "blaue Welle" im roten Virginia jedoch, wie sich viele Demokraten erhoffen, ist nicht ausgemacht.
Carroll Doherty vom renommierten Meinungsforschungsinstitut Pew Research Center warnt vor zu hohen Erwartungen: "Bei den Midterm Wahlen kommt es immer darauf an, die Wähler zu mobilisieren und da sind die Demokraten enthusiastisch, wie wir sehen. Aber auch die Republikaner sind engagiert, wir sehen also Begeisterung auf beiden Seiten. Generell aber kommt eine hohe Wahlbeteiligung den Demokraten zugute."
Auf Ruth Goldeen Wahlparty jedenfalls ist viel Aufbruchstimmung zu spüren. Ältere Ehepaare sitzen neben Studenten - und sind sich einig: Es geht um viel bei dieser Wahl. "Die Seele unseres Landes ist beschädigt. Menschen hassen andere Menschen in unserem Land. Das gab es natürlich schon immer, aber jetzt ist es so offensichtlich und wird auch noch verstärkt. Das ist ein großes Problem", sagt Ruth Goldeen.
"Das ist nicht mein Amerika"
Vor allem die junge Generation, die so genannten Millenials, empfinden die Spaltung ihres Landes als schwere Bürde. "Das ist nicht mein Amerika", sagt die 16-jährige Gwendolyn wütend: "Unsere Generation ist gestraft mit diesem Präsidenten. Was können wir tun? Ich denke, das Ziel muss sein, unsere Vielfalt wieder zu feiern. Wenn wir das machen, klappt auch alles andere und wir können den Hass los werden. Okay?"
In zwei Jahren erst darf Gwendolyn wählen, - was sie nicht davon abhält, sich schon jetzt für die Demokraten in Virginia zu engagieren. Ihre Generation könnte, wenn nicht bei dieser Wahl, aber doch bei der Präsidentsschaftswahl 2020 den Ausschlag geben. Auch in Virginia, schätzt Meinungsforscher Carroll Doherty: "Die Milleniums-Generation ist ethnisch sehr verschieden. 40 Prozent sind nicht weiß und das wird sich fortsetzen. Natürlich gibt es in Bezug auf die politischen Überzeugungen Unterschiede zwischen Asiaten, Latinos und Afro-Amerikanern, aber als ganzes gesehen, sind sie eher demokratisch."
Leslie Cockburn, die demokratische Kandidatin für den Kongress in Virginia, trennt nur ein Prozent von ihrem republikanischen Herausforderer in diesen letzten Tagen vor der Wahl. Im Park von Fluvanna schnappt sie sich das scheppernden Mikrophon und schärft ihrem Publikum ein: Geht zur Wahl! "Thank you all for coming! It’s a joy to be here."