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Wahlkampf ohne Risiko

Am Wochenende wurde in Spanien der Wahlkampf eröffnet. Die spanische Presse ist jedoch davon ausgesperrt: Journalisten dürfen nicht in die Veranstaltungssäle - Pressematerial liefern die Parteien den Medien lieber selber. Kritiker dieser Praxis sehen Spaniens Demokratie in Gefahr.

Von Hans-Günter Kellner |
    Wahlkampfauftakt der Sozialisten in Sevilla im Süden Spaniens. Tausende schwenken Fahnen mit dem Parteiemblem, feiern ihren Spitzenkandidaten Alfredo Pérez Rubalcaba – der sich rotz der schlechten Umfragewerte nicht geschlagen gibt:

    "Nichts verunsichert mehr, als nicht zu wissen, was aus einem wird, wenn man mal krank wird. Oder, wo die Kinder zur Schule gehen sollen. Die Spanier wissen: Mit uns haben sie Krankenhäuser, Schulen, und wenn sie arbeitslos werden bekommen sie eine Unterstützung. Im Alter eine gute staatliche Rente haben. Mit uns ja! Mit Rajoy nicht. Nicht wegen der Dinge, die er sagt, sondern wegen der Dinge, die er verschweigt."

    Das konservative Wahlprogramm stellt zwar Steuererleichterungen oder eine Rückkehr zur Förderung des Wohnungsbaus in Aussicht, aber alles unter dem Vorbehalt der Finanzierbarkeit. Immerhin hat Spanien jetzt schon Probleme, sein Defizitziel für dieses Jahr von sechs Prozent zu erfüllen. Rajoy hält sich entsprechend zurück:
    "Wir werden den Spaniern erklären, was wir alle zusammen machen wollen. Und wir werden von den anderen Erklärungen verlangen, warum sie uns diese Schande beschert haben, in der sich Spanien jetzt befindet. Wir bitten um eine starke Regierung. Ich verspreche dafür Dialog, auf alle zu zählen und ausgeglichen und moderat zu handeln."

    Und wieder jubeln die Anhänger. Der Wahlkampf der beiden Kandidaten läuft nach Drehbuch ab: Bilder und Töne liefern die Parteien den Medien direkt per Satellit oder via Internet. Journalisten dürfen nicht in die Säle und werden in die Presseräume verwiesen, wo sie auf Bildschirmen die Veranstaltung verfolgen dürfen. So stehen die Kandidaten immer im richtigen Licht. Halbleere Säle oder gar Störer, die früher auch mal Protestplakate in die Höhe hielten, fallen nicht mehr auf. Manu Mediavilla von der spanischen Journalistengewerkschaft SIP beobachtet die Entwicklung mit Sorge:

    "Das geht schon seit Jahren so. Die Parteien versuchen immer mehr, die unabhängige Berichterstattung zu verhindern. Am Anfang mussten die Journalisten in die Presseräume. Inzwischen werden den Redaktionen die besten Ausschnitte direkt in die Redaktionen geschickt. Das ist ein Betrug an der freien Meinungsäußerung, es beschneidet das von der Verfassung garantierte Recht der Bevölkerung auf plurale Information."

    Zumal die Fernsehanstalten diese Inszenierungen auch noch senden müssen. Denn ein vom Parlament Anfang des Jahres verabschiedetes Wahlgesetz bestimmt: In den Fernsehnachrichten muss der Anteil der Zeit, die jeder Partei gewidmet wird, exakt ihrem letzten Wahlergebnis entsprechen. Den Fragen unabhängiger Journalisten stellen sich die beiden Kandidaten schon lange nicht mehr. Mariano Rajoy, den Umfragen zufolge Spaniens nächster Ministerpräsident, will im Wahlkampf keine einzige Pressekonferenz abhalten. Journalist Mediavilla dazu:

    "Es ist natürlich gerechtfertigt, dass ein Kandidat seinen Wahlkampf macht. Aber es muss doch auch die Möglichkeit geben, dass Journalisten nachfragen, um Erklärungen bitten. Die Bürger haben doch ein Recht darauf. Die Redakteure müssen die Wahlwerbung doch noch auswerten können, damit die Leute plurale und wahrhaftige Informationen bekommen."

    Auch für die Fernsehdebatte heute Abend wollen die Spitzenkandidaten Rubalcaba und Rajoy das Risiko niedrig halten. Die Parteien haben sich auf die abgegrenzten Themenblöcke Wirtschaft, Sozialpolitik und Demokratie sowie Außenpolitik geeinigt, auch den Moderator haben sie unter sich ausgemacht. Wer das erste Wort bekommt, entschied eine Münze. Unangenehme Nachfragen sind nicht vorgesehen.

    "Das ist keine Diskussion, sondern eine Abfolge mehrerer Monologe. Der Moderator kann kaum eingreifen. Er bewegt sich in einem von den Parteien vorgegebenen Rahmen. Nur mit großem Geschick kann er versuchen, etwas zu steuern. Er muss aufpassen, die Politiker nicht zu verärgern. Sein Spielraum ist minimal."

    Statt die Politiker zu kontrollieren, stünden Spaniens Journalisten folglich zunehmend selbst unter Kontrolle. Die Berufsverbände wehren sich zwar, doch den Medienkonzernen wirft der Gewerkschaftssprecher vor, das Spiel der Parteien mitzuspielen. Zu sehr seien ihre Interessen von der Politik abhängig. Stück für Stück verliere Spaniens Demokratie damit an Qualität.