Archiv

Wahlprogramm der Union
"Eher Reparaturarbeiten am Wohlfahrtsstaat"

CDU und CSU haben ein Wahlprogramm vorgestellt, in dem die großen Visionen fehlen, sagte Parteienforscher Karl-Rudolf Korte im Dlf. Die seien aber auch nicht nötig, weil es nach zwölf Jahren Wohlfahrtsstaat in Deutschland reichen würde, auf Bekanntes und Bewährtes zu setzen.

Karl-Rudolf Korte im Gespräch mit Oliver Ramme |
    Merkel und Seehofer mit Parteigrogramm vor Kameras
    "Das Gestaltungsziel fehlt" - Angela Merkel und Horst Seehofer mit dem Parteiprogramm (imago / Thiel)
    Oliver Ramme: Die Union legt als letzte im Bundestag vertretene Fraktion ihr Wahlprogramm vor: Keine Härten, sondern eher Geschenke. Wie ist das Programm zu bewerten? Darüber spreche ich nun mit dem Parteienforscher Professor Karl-Rudolf Korte von der Uni Duisburg-Essen. Guten Abend, Herr Korte.
    Karl-Rudolf Korte: Guten Abend!
    Ramme: Die Union liegt in Umfragen meilenweit vor der Konkurrenz. Neue Flüchtlinge kommen auch nicht, der Wirtschaft geht es gut. Die Union muss da ja nicht provozieren mit ihrem Programm, oder?
    Korte: Ja, das stimmt. Sie muss auf das Bekannte setzen, denn die Mehrzahl wählt das Bekannte, nicht das Unbekannte, sie wählt Stabilität, Sicherheit, und das bei erkennbarem Wohlstand.
    Schlafwagen kann auch hinderlich sein
    Ramme: Dann kann man sagen, sie haben alles richtig gemacht.
    Korte: Nein, das kann man nicht sagen, denn wir haben ja im Sommer 15 erlebt, auch in den Folgejahren, wie schnell sich das ändern kann. Man hat noch in Erinnerung im Frühjahr der besondere Martin Schulz Hype, der ja auch nicht erfunden war. Wählerische Wähler sind zu beeindrucken bis 48 Stunden vor dem Wahltag, und da kann manchmal so ein Schlafwagen dann auch hinderlich sein.
    Ramme: Ich möchte gleich noch näher mit Ihnen über das Programm sprechen, vielleicht eher noch mal auf die beiden Protagonisten gehen, auf Seehofer und auf Merkel. Seehofer hat ja bei der Pressekonferenz den Korpsgeist beschworen, der ja da nun zu herrschen scheint zwischen den beiden Parteien. Und wir erinnern uns ja noch – Sie hatten das ja auch angedeutet – an die letzten ein, zwei Jahre, wo es ja bleischwer zwischen den beiden gewesen ist. Wie wahrhaft ist dieser Friede nun tatsächlich zwischen Merkel und Seehofer?
    Korte: Das sind zwei Staatsparteien, die sehr pragmatisch miteinander umgehen. Die Union als Doppelpartei leidet viel leiser als die anderen und insofern ist das ein Ausdruck von hoher Professionalität. Denn faktisch gibt es nicht nur ein wirklich persönliches Zerwürfnis zwischen den beiden, sondern auch sehr viel Kritik zwischen CSU-Abgeordneten und CDU-Abgeordneten, die sich in einer Phase über Monate doch sehr viel zugemutet haben und viele auch unfair viel zugemutet haben.
    Unions-Parteien halten machttaktisch zusammen
    Ramme: Aber die Parteien können das jetzt wunderbar kaschieren?
    Korte: Ja, weil sie einfach machttaktisch zusammenhalten. Sie wissen, dass Uneinigkeit vom Wähler bestraft wird. Ein Diskussionsprozess ist willkommen, Flügel sind willkommen unter schwierigen Positionen. Aber wenn man mal einig ist, zu einem Beschluss eine Entscheidung gefällt hat, dann sollte man das auch unterstützen. Und hier ist ja klar: Die Einigkeit für den Wahltag muss hergestellt werden, und das wird dann auch honoriert.
    Ramme: Herr Korte, schauen wir noch mal genauer auf das Programm. Merkel sprach ja von finanziellen Freiräumen und die wolle man weitergeben in Form von Steuerentlastungen, Kindergeld soll steigen, es sollen mehr Polizisten eingestellt werden, und sogar von Vollbeschäftigung ist die Rede, allerdings erst in 2025. Hat das Ihrer Ansicht nach Hand und Fuß, oder ist das Träumerei?
    Korte: Das hat durchaus Hand und Fuß, weil ja zwölf Jahre Wachstum, Wohlstand, Wohlfahrt da hinterlegt sind mit unterschiedlichen Koalitionspartnern. Das ist jetzt nicht einfach erfunden. Man kauft sich mit einer Stimme für die Union nicht die Ungewissheit ein, dass es irgendwie ökonomisch schwierig wird, sondern man setzt auf die Fortsetzung.
    Insofern sind es eher Reparaturarbeiten am Wohlfahrtsstaat und am Wohlstand-Standort Bundesrepublik Deutschland, weil man kann ja nur Unerledigtes erst mal vorschlagen. Die Hauptkritik zielt darin, dass eigentlich kein Gestaltungsziel großartig da hinterlegt ist, aber das müsste eigentlich Aufgabe auch der Opposition sein, die in Form von Martin Schulz ja für die SPD antritt.
    "Ich sehe kein Gestaltungsziel"
    Ramme: Über Martin Schulz und die SPD wollen wir gleich noch reden. Vielleicht noch die Frage: Vermissen Sie eine Vision bei diesem Wahlprogramm, oder braucht man das gar nicht, weil es einem so gut geht?
    Korte: Ja, ein Gestaltungsziel ist nicht unwichtig.
    Ramme: Und sehen Sie das?
    Korte: Nein, ich sehe es nicht. Ich sehe kein Gestaltungsziel. Aber es passt auch nicht zu Merkel. Auf Sicht fahren, pragmatisch, damit hat sie zwölf Jahre aus ihrer Sicht gut regiert und auch die Wählerinnen und Wähler haben sie immer wieder darin bestärkt. Aber es gibt ja einen Merkel-Malus von den Wählern, die ihr diese Grenzöffnung nach wie vor kritisch persönlich ankreiden.
    Es gibt nach wie vor ein großes Problem, einen Koalitionspartner zu finden, der vor der Wahl rechnerisch in der Demoskopie zu einer Mehrheit führt. Auch das ist diesmal eine schwierige Situation. Und es gibt durchaus Ermüdungs-, Erschöpfungsszenarien, die auch nach zwölf Jahren erkennbar sind mit Frau Merkel. Insofern: Ein Spaziergang wie bei den letzten Wahlen, das wird es nicht.
    SPD-Programm ist dichter und programmatischer
    Ramme: Sehen Sie denn substanzielle Unterschiede gerade zur SPD, wenn wir das Wahlprogramm anschauen, Unterschiede, die die SPD derart sichtbar machen, dass sie als echte Alternative dastehen und so wahrgenommen werden, oder ist das doch sehr ähnlich?
    Korte: Wenn man textexegetisch wie bei Bibeltexten herangeht, findet man natürlich Unterschiede. Durchaus dichter, programmatischer ist das SPD-Programm. Im Vergleich zum letzten vor vier Jahren hat die CDU viel mehr Einzeldetails drin. Sie hat durchaus inhaltlich etwas mehr geboten. Aber es sind Nuancen beispielsweise in der Steuerpolitik. Der eine will die Reicheren etwas stärker belasten, der andere entlastet den Mittelstand stärker, Solidaritätsbeiträge werden in unterschiedlichem Maße abgebaut. Es gibt im Detail Unterschiede, aber das verschwimmt vor dem Wähler. Selbst wenn er sich rational kundig macht, muss man sehr präzise vergleichen.
    Ramme: SPD-Spitzenkandidat Schulz spricht ja nun auch von einem unseriösen und gar ungerechten Programm. Aber was soll er denn sonst tun? Was könnte er sonst an Kritik äußern?
    Korte: Gar nicht die Kritik. Er muss was Positives anbieten. Welche zwei oder drei Gestaltungsziele, über die wir beide jetzt auch diskutieren würden, weil wir die so interessant finden, kann er noch im September formulieren, von dem man dann ausgeht, dass dadurch, wenn ich dann die SPD wähle, mein Leben besser wird.
    Mobilität spielt eine große Rolle
    Ramme: Machen Sie mal Vorschläge, was müsste er da genau diskutieren?
    Korte: Ich finde sehr stark die Fragen nach Mobilität. Das spielt eine große Rolle in allen Familien, inwieweit kann man hier Angebote machen, Mobilität so zu organisieren, dass es nicht nur sicher ist, sondern auch verlässlich. Weil es kostet unheimlich viel Kraft täglich, nicht nur Geld, auch Kraft und Nerven, von A nach B zu kommen, wenn man nicht in ganz kleinen provinziellen Ortschaften lebt. Und da ist es auch wieder ein Problem, wenn der öffentliche Nahverkehr nicht organisiert ist.
    Ich würde solche Angebote übersetzen in eine konkrete Gestaltungsabsicht, die mit der SPD erreichbar ist und über die man dann ausschließlich diskutiert. Auch sein Europakonzept könnte sehr konkret sein, weil das Europa, was wir kennen und was jetzt am Wochenende ja auch noch mal beschworen worden ist, ist sicherlich eines, was eine große Perspektive haben kann im Sinne der Selbstbehauptung Europas, aber man darf nicht verkennen, dass Herr Schäuble und Frau Merkel im Süden Europas schwierige Verhandlungskonstellationen vorfinden und Schulz hat die nicht. Er würde als neuer Player auch ein anderes europäisches Umfeld gestalten können.
    Ramme: Aber so eine richtige Wendestimmung spüren Sie nicht innerhalb Deutschlands?
    Korte: Wechselstimmung wird die SPD nicht erzeugen können. Aber eine Wahl zu haben, das würde ich nicht ausschließen und Wählerinnen und Wähler überlegen sich das. Das ist nicht das gleiche. Eine Wahl hat man durch die beiden Spitzenakteure. Unterschiedlicher können sie gar nicht sein. Das ist großartig für den Wähler, dass er diese Unterschiedlichkeit erkennen kann, und da kann man durchaus dran ansetzen, der eine auch leidenschaftlich, der andere eher nüchterner. Das ist nicht uninteressant.
    Ramme: Die Union stellt ihr Wahlprogramm vor – der Parteienforscher Karl-Rudolf Korte war das. Das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.