Sie stellt den Ministerpräsidenten in Thüringen, ist in Berlin und Brandenburg Juniorpartner in den Landesregierungen – und auch im Bund würde die Linkspartei gerne mitregieren. Rot-Rot-Grün hätte seit der Wahl 2013 rechnerisch eine knappe Mehrheit im Bundestag. Doch die SPD hatte sich festgelegt: lieber Juniorpartner in einer Großen Koalition als Kanzlerpartei mit dieser Linken, intern zerstritten und programmatisch weit weg von den Sozialdemokraten.
2017 hat sich die Linke bemüht, möglichst seriös in diesen Wahlkampf zu gehen – davon zeugt auch das Wahlprogramm, das sie auf dem dreitägigen Bundesparteitag in Hannover beschließen möchte. Links soll es sein, aber keine einfache Angriffsfläche bieten, so will es die Parteiführung.
"Deswegen haben wir ein gut durchgerechnetes und nachvollziehbares Steuerkonzept entwickelt."
Sagt der Ko-Vorsitzende Bernd Riexinger bei der Vorstellung des Wahlprogrammentwurfs im Januar, wenige Tage bevor überraschend Martin Schulz der Spitzenkandidat der SPD werden sollte.
"Keine Partei hat so konkrete Vorschläge, die auch noch durchgerechnet sind, für die Besserstellung der Mitte."
Sagt auch die andere Parteivorsitzende Katja Kipping. Durchgerechnet – das ist das Wort, das die Linke mit ihrem sozialen Profil verbinden will. Die Besserstellung der ökonomischen Mitte der Gesellschaft und damit auch Attraktivität für neue Wählergruppen, das sei das Ziel, unterstreicht Katja Kipping:
"Ich rede ja ganz klar von Menschen, Familien, Haushalten, die mittleres im Einkommen haben. Jede Person bis zu einem Einkommen von 7100 Euro brutto im Monat wird nach unserem Steuerkonzept deutlich bessergestellt und entlastet."
2017 hat sich die Linke bemüht, möglichst seriös in diesen Wahlkampf zu gehen – davon zeugt auch das Wahlprogramm, das sie auf dem dreitägigen Bundesparteitag in Hannover beschließen möchte. Links soll es sein, aber keine einfache Angriffsfläche bieten, so will es die Parteiführung.
"Deswegen haben wir ein gut durchgerechnetes und nachvollziehbares Steuerkonzept entwickelt."
Sagt der Ko-Vorsitzende Bernd Riexinger bei der Vorstellung des Wahlprogrammentwurfs im Januar, wenige Tage bevor überraschend Martin Schulz der Spitzenkandidat der SPD werden sollte.
"Keine Partei hat so konkrete Vorschläge, die auch noch durchgerechnet sind, für die Besserstellung der Mitte."
Sagt auch die andere Parteivorsitzende Katja Kipping. Durchgerechnet – das ist das Wort, das die Linke mit ihrem sozialen Profil verbinden will. Die Besserstellung der ökonomischen Mitte der Gesellschaft und damit auch Attraktivität für neue Wählergruppen, das sei das Ziel, unterstreicht Katja Kipping:
"Ich rede ja ganz klar von Menschen, Familien, Haushalten, die mittleres im Einkommen haben. Jede Person bis zu einem Einkommen von 7100 Euro brutto im Monat wird nach unserem Steuerkonzept deutlich bessergestellt und entlastet."
Die Linke hat genau eine Koalitionsoption für den Bund
Das Konzept seriöse Linke, es zielt ab auf eine Regierungsbeteiligung. Aber nimmt es auch die Partei mit? Und: nehmen es ihr die potenziellen Koalitionspartner SPD und Bündnis 90/Die Grünen ab?
"Für die SPD ist es eigentlich besser, in der großen Koalition zu sein, insbesondere dann, wenn sie die führende Position einnehmen würde, was jetzt im Augenblick wieder etwas ferner ist. Aber das ist wesentlich bequemer, wesentlich einfacher, als ein Experiment zu wagen."
Sagt der Politikwissenschaftler Tim Spier von der Universität Siegen. Als einzige Partei hat die Linke nur eine einzige Koalitionsoption für den Bund – Rot-Rot-Grün. Die dafür notwendigen Koalitionspartner hingegen können auch mit der FDP oder der Union koalieren – und das ist einfacher für sie, glaubt Tim Spier zu wissen.
"Die Frage eines Experiments aus SPD-Sicht stellt sich erst dann, wenn man tatsächlich eine Mehrheit Rot-Rot-Grün aufstellen könnte und damit die einzige Möglichkeit zur Verwirklichung hätte, einen SPD-Menschen zum Kanzler zu machen, also zum Beispiel Herrn Schulz. Und auch dann stellt sich noch die Frage, ob man diesen Versuch wagen würde."
Die Linke sei noch weit von der Regierungsfähigkeit entfernt, sagt Thomas Oppermann, der SPD-Fraktionschef im Bundestag, Ende Mai. Die SPD werde nur in eine Koalition gehen, in der sich alle klar zur EU und zur Nato bekennen und zur internationalen Verantwortung Deutschlands stehen, meinte er.
Oppermanns Äußerungen reizen die Linke, obwohl der SPD-Fraktionsvorsitzende nie im Verdacht stand, Rot-Rot-Grün zu wollen. Einige in der Linken scheinen genau darauf gewartet zu haben. Die Spitzenkandidatin und Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht lässt keine Gelegenheit aus, den Sozialdemokraten wegen ihrer Koalition mit der Union Verrat an den eigenen Zielen vorzuwerfen. Selbst die Grundgesetzänderungen zu den Bund-Länder-Finanzbeziehungen, bei denen der Linken die Formulierungen zum Ausschluss der Autobahnprivatisierungen nicht weit genug gehen, nutzt sie zur Generalabrechnung mit der SPD:
"Wenn Sie noch einmal ohne schämen das Wort Soziale Gerechtigkeit in den Mund nehmen wollen, dann verweigern Sie Ihre Stimme diesem zutiefst ungerechten Privatisierungsprojekt. Wenn Sie das heute durchwinken, also dann können Sie ihren Gerechtigkeitswahlkampf wirklich in die Tonne treten. Hören Sie auf, die Leute zu belügen."
Nun empören sich Sozialdemokraten bei der Debatte im Bundestag über diesen Vorwurf – und Wagenknecht nimmt das als Steilvorlage: "Jaja, Sie sind von der SPD besonders angefasst, weil Sie täuschen besonders intensiv, ich versteh das alles."
"Für die SPD ist es eigentlich besser, in der großen Koalition zu sein, insbesondere dann, wenn sie die führende Position einnehmen würde, was jetzt im Augenblick wieder etwas ferner ist. Aber das ist wesentlich bequemer, wesentlich einfacher, als ein Experiment zu wagen."
Sagt der Politikwissenschaftler Tim Spier von der Universität Siegen. Als einzige Partei hat die Linke nur eine einzige Koalitionsoption für den Bund – Rot-Rot-Grün. Die dafür notwendigen Koalitionspartner hingegen können auch mit der FDP oder der Union koalieren – und das ist einfacher für sie, glaubt Tim Spier zu wissen.
"Die Frage eines Experiments aus SPD-Sicht stellt sich erst dann, wenn man tatsächlich eine Mehrheit Rot-Rot-Grün aufstellen könnte und damit die einzige Möglichkeit zur Verwirklichung hätte, einen SPD-Menschen zum Kanzler zu machen, also zum Beispiel Herrn Schulz. Und auch dann stellt sich noch die Frage, ob man diesen Versuch wagen würde."
Die Linke sei noch weit von der Regierungsfähigkeit entfernt, sagt Thomas Oppermann, der SPD-Fraktionschef im Bundestag, Ende Mai. Die SPD werde nur in eine Koalition gehen, in der sich alle klar zur EU und zur Nato bekennen und zur internationalen Verantwortung Deutschlands stehen, meinte er.
Oppermanns Äußerungen reizen die Linke, obwohl der SPD-Fraktionsvorsitzende nie im Verdacht stand, Rot-Rot-Grün zu wollen. Einige in der Linken scheinen genau darauf gewartet zu haben. Die Spitzenkandidatin und Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht lässt keine Gelegenheit aus, den Sozialdemokraten wegen ihrer Koalition mit der Union Verrat an den eigenen Zielen vorzuwerfen. Selbst die Grundgesetzänderungen zu den Bund-Länder-Finanzbeziehungen, bei denen der Linken die Formulierungen zum Ausschluss der Autobahnprivatisierungen nicht weit genug gehen, nutzt sie zur Generalabrechnung mit der SPD:
"Wenn Sie noch einmal ohne schämen das Wort Soziale Gerechtigkeit in den Mund nehmen wollen, dann verweigern Sie Ihre Stimme diesem zutiefst ungerechten Privatisierungsprojekt. Wenn Sie das heute durchwinken, also dann können Sie ihren Gerechtigkeitswahlkampf wirklich in die Tonne treten. Hören Sie auf, die Leute zu belügen."
Nun empören sich Sozialdemokraten bei der Debatte im Bundestag über diesen Vorwurf – und Wagenknecht nimmt das als Steilvorlage: "Jaja, Sie sind von der SPD besonders angefasst, weil Sie täuschen besonders intensiv, ich versteh das alles."
Die Linke und Realpolitik
Einen Tag später im Bundesrat stimmt Thüringen den Bund-Länder-Finanzierungs-Grundgesetzänderungen zu – wie alle Bundesländer mit Regierungsbeteiligung der Linken. Zähneknirschend, betont der linke Ministerpräsident Bodo Ramelow, aber die Alternative sei noch schlechter gewesen: die Neuregelung der Bund-Länder-Finanzen platzen zu lassen. In einer langen, öffentlichen Rechtfertigung schreibt Ramelow auf seiner Website wörtlich, das "all das nicht dazu taugt, den Sozialismus auszurufen" aber es seien "konkrete Schritte, die Lebensverhältnisse von Menschen zu verbessern und darum," – fragt Ramelow seine Kritiker – "so dachte ich jedenfalls bisher, ging es uns als Linke"?
"Ich sehe eine Partei, die sich das erste Mal in ihrer Geschichte tatsächlich ernsthaft mit der Frage auseinandergesetzt hat, ob sie im Bund mitregieren würde und auch könnte, wenn es dazu käme", sagt Benjamin Hoff. Er regiert, zieht als Chef der Staatskanzlei von Ministerpräsident Bodo Ramelow in Erfurt die rot-rot-grünen Fäden – mit der Linken als stärkster Kraft.
"Ich sehe eine Partei, die sich das erste Mal in ihrer Geschichte tatsächlich ernsthaft mit der Frage auseinandergesetzt hat, ob sie im Bund mitregieren würde und auch könnte, wenn es dazu käme", sagt Benjamin Hoff. Er regiert, zieht als Chef der Staatskanzlei von Ministerpräsident Bodo Ramelow in Erfurt die rot-rot-grünen Fäden – mit der Linken als stärkster Kraft.
Hoff ist erst 41 Jahre alt, doch seit 22 Jahren in der Politik zuhause. Ein Abgeordnetenhausmandat in Berlin mit 19, dann Staatssekretär in Berlin mit 30, nun für Kultur-, Bundes- und Europapolitik in Thüringen zuständig. Hoff kämpft für die Regierungsfähigkeit seiner Partei und gegen den Platz auf der Oppositionsbank, von der die Linke im Freistaat nur eine einzige Stimme Mehrheit trennt. Dafür wird er von einigen in seiner Partei kritisch beobachtet, denn die Linke ist eine Partei vieler Strömungen. Hoff versucht, diese so zu beschreiben:
"Man muss sich zwei Achsen vorstellen. Eine horizontale und eine vertikale Achse. Und es gibt eben eine Kontroverse innerhalb der Partei, da geht es so im Kern darum: vertritt man so das klassische postmaterialistische Milieu, wo das Akademikerproletariat, die Gentrifizierungstheoretiker mit verbunden sind, wo es um das bedingungslose Grundeinkommen usw. geht – und die eher materialistische Ebene, die klassischen Fragen von Arbeiterbewegung und Arbeiterpolitik."
"Man muss sich zwei Achsen vorstellen. Eine horizontale und eine vertikale Achse. Und es gibt eben eine Kontroverse innerhalb der Partei, da geht es so im Kern darum: vertritt man so das klassische postmaterialistische Milieu, wo das Akademikerproletariat, die Gentrifizierungstheoretiker mit verbunden sind, wo es um das bedingungslose Grundeinkommen usw. geht – und die eher materialistische Ebene, die klassischen Fragen von Arbeiterbewegung und Arbeiterpolitik."
Junge, intellektuelle Stadtlinke auf der einen, organisierte Arbeiter und Arbeitslose auf der anderen Seite. Und das vor dem anderen Grundkonflikt der Linken: derjenigen, die Veränderungen durch Reformen erreichen wollen und jene, so Hoff: "Die der Auffassung sind, dass dieser Kapitalismus nicht reformierbar ist und dass das Maximum, was man tun kann ist, im Widerstand geringere Verschlechterungen abzutrotzen."
Unterschiedliche Positionen innerhalb der Partei
Das Ende des Kapitalismus ist auch fast 30 Jahre nach Ende des real existierenden Sozialismus der DDR mit all seinen Schwächen noch immer eine Erwartung in Teilen der Linken, für manche auch Verheißung.
"Wer dieser Auffassung ist, der vertritt eben auch die Position, dass die EU ein ausschließlich neoliberales Projekt ist, das nicht veränderbar ist, weshalb man sich auf dieses neoliberale Projekt nicht positiv beziehen kann. Der vertritt auch die Auffassung, dass man auf keinen Fall regieren dürfe, weil man sich da nur die Hände schmutzig macht in einem Kapitalismus, der nicht reformierbar ist."
Benjamin Hoff ist Letzteres als Staatskanzleichef denkbar fremd. Er ist vehementer Vertreter pragmatischer, aber linker Politik. Doch zählen diejenigen, die den Kapitalismus für unreformierbar halten, nicht inzwischen eher zur Partei-Folklore?
"Naja… Das ist ja genau die Frage, die wir uns mit Blick auf Sahra Wagenknecht stellen. Also, repräsentiert sich diese Auffassung nicht doch auch in denjenigen, die quasi die Hausmacht von Sahra Wagenknecht auch darstellen. Und die nicht zuletzt auch in bestimmten westlichen Landesverbänden sagen: nur Widerstand ist das politische Konzept. Und insofern würde ich das nicht ganz so traditionalistisch sehen, weil sich dahinter tatsächlich ein bewegungslinkes, politisches Konzept abbildet."
Es sehe so aus, als sei Rot-Rot-Grün tot, diktiert Sahra Wagenknecht dem Tagesspiegel am vergangenen Wochenende in den Block. Und gibt die Schuld dafür Grünen und SPD – die beiden würden jeden Tag signalisieren, dass sie nichts Wesentliches ändern wollten. Die Grünen-Spitzenkandidaten sympathisierten mit Schwarz-Grün und Martin Schulz rede zwar gern von sozialer Gerechtigkeit, aber die SPD habe ein mutloses Wahlprogramm vorgelegt – meint Wagenknecht.
"Wer dieser Auffassung ist, der vertritt eben auch die Position, dass die EU ein ausschließlich neoliberales Projekt ist, das nicht veränderbar ist, weshalb man sich auf dieses neoliberale Projekt nicht positiv beziehen kann. Der vertritt auch die Auffassung, dass man auf keinen Fall regieren dürfe, weil man sich da nur die Hände schmutzig macht in einem Kapitalismus, der nicht reformierbar ist."
Benjamin Hoff ist Letzteres als Staatskanzleichef denkbar fremd. Er ist vehementer Vertreter pragmatischer, aber linker Politik. Doch zählen diejenigen, die den Kapitalismus für unreformierbar halten, nicht inzwischen eher zur Partei-Folklore?
"Naja… Das ist ja genau die Frage, die wir uns mit Blick auf Sahra Wagenknecht stellen. Also, repräsentiert sich diese Auffassung nicht doch auch in denjenigen, die quasi die Hausmacht von Sahra Wagenknecht auch darstellen. Und die nicht zuletzt auch in bestimmten westlichen Landesverbänden sagen: nur Widerstand ist das politische Konzept. Und insofern würde ich das nicht ganz so traditionalistisch sehen, weil sich dahinter tatsächlich ein bewegungslinkes, politisches Konzept abbildet."
Es sehe so aus, als sei Rot-Rot-Grün tot, diktiert Sahra Wagenknecht dem Tagesspiegel am vergangenen Wochenende in den Block. Und gibt die Schuld dafür Grünen und SPD – die beiden würden jeden Tag signalisieren, dass sie nichts Wesentliches ändern wollten. Die Grünen-Spitzenkandidaten sympathisierten mit Schwarz-Grün und Martin Schulz rede zwar gern von sozialer Gerechtigkeit, aber die SPD habe ein mutloses Wahlprogramm vorgelegt – meint Wagenknecht.
Ihr Ko-Spitzenkandidat und Mit-Fraktionsvorsitzender Dietmar Bartsch dagegen will Rot-Rot-Grün noch nicht beerdigen. Ebenfalls per Zeitungsinterview lässt er wissen: die Linke wolle Regierungsverantwortung übernehmen und einen Politikwechsel einleiten. Sollte der inhaltlich möglich sein, würde man auch Martin Schulz zum Kanzler wählen – auf die Linke sei Verlass, sagt Bartsch.
Einig klingt das Spitzenkandidatenduo also nicht.
Rot-Rot-Grün zurzeit chancenlos
Auch die Umfragen sehen Rot-Rot-Grün im Bund derzeit chancenlos. Die Grünen liegen in Umfragen bei sieben bis acht Prozentpunkten, die SPD verliert den Schulz-Schwung und wird bei nur noch 23-27 Prozent gesehen. Die Linke wird zur Zeit bei sechs bis elf Prozent gesehen – und Rot-Rot-Grün insgesamt bei höchstens 42 Prozent der Wählerstimmen.
Nur wenige Tage vor dem Bundesparteitag in Hannover erscheint in der "Jungen Welt" deshalb ein Aufruf, der die Partei zum Oppositionswahlkampf auffordert. Darin heißt es, es müsse "Schluss sein mit völlig illusorischen Träumereien von einer rot-rot-grünen Koalition im Bund. Dazu reiche es inhaltlich ebenso wenig wie zahlenmäßig".
Unterzeichnet ist der Appell von nur drei der 64 Linken-Bundestagsabgeordneten: Wolfgang Gehrcke, Andrej Hunko und Diether Dehm. Abgeordnete, die dem geschätzt 20-köpfigen Lager Sahra Wagenknechts zugerechnet werden. Doch Wagenknecht selbst hat nicht unterschrieben – und viele ihrer Gefolgsleute in der Bundestagsfraktion sind offenbar ebenfalls nicht gewillt, sich jetzt schon auf vier weitere Jahre Opposition einzustellen. Auch weil derzeit kaum abzusehen ist, wie das bei der Parteibasis ankommen würde. 58.910 Mitglieder zählte die Partei Ende 2016. Nur noch 34.000 davon leben in den ostdeutschen Bundesländern inklusive Berlin, Tendenz fallend. Ein Zeichen des Veränderungsprozesses, der auch viele Funktionäre der Linken vor neue Herausforderungen stellt; vielleicht die dritte große Veränderung in der Parteigeschichte seit 1990.
"Es ist sozusagen die Partei der ehemaligen DDR-Dienstklasse, die in der Bundesrepublik irgendwie integriert werden musste, und deswegen auch diesen Ost-West-Konflikt sehr stark politisiert hat." Sagt der Politikwissenschaftler Tim Spier von der Universität Siegen über die Linke.
"Sie hat sich dann nach und nach ausgedehnt auf andere Gruppen in Ostdeutschland, die spezifische Ungerechtigkeitserfahrungen gemacht haben, jenseits der Frage, ob man irgendetwas mit der ehemaligen DDR zu tun hatte. Dadurch ist es ihr gelungen, zur Volkspartei in Ostdeutschland zu werden. Und Volkspartei meine ich nicht nur, dass sie 25-30 Prozent der Stimmen dort bekommen kann, sondern dass sie über alle Bevölkerungsgruppen relativ gleichmäßig dort unterstützt wurde."
Nur wenige Tage vor dem Bundesparteitag in Hannover erscheint in der "Jungen Welt" deshalb ein Aufruf, der die Partei zum Oppositionswahlkampf auffordert. Darin heißt es, es müsse "Schluss sein mit völlig illusorischen Träumereien von einer rot-rot-grünen Koalition im Bund. Dazu reiche es inhaltlich ebenso wenig wie zahlenmäßig".
Unterzeichnet ist der Appell von nur drei der 64 Linken-Bundestagsabgeordneten: Wolfgang Gehrcke, Andrej Hunko und Diether Dehm. Abgeordnete, die dem geschätzt 20-köpfigen Lager Sahra Wagenknechts zugerechnet werden. Doch Wagenknecht selbst hat nicht unterschrieben – und viele ihrer Gefolgsleute in der Bundestagsfraktion sind offenbar ebenfalls nicht gewillt, sich jetzt schon auf vier weitere Jahre Opposition einzustellen. Auch weil derzeit kaum abzusehen ist, wie das bei der Parteibasis ankommen würde. 58.910 Mitglieder zählte die Partei Ende 2016. Nur noch 34.000 davon leben in den ostdeutschen Bundesländern inklusive Berlin, Tendenz fallend. Ein Zeichen des Veränderungsprozesses, der auch viele Funktionäre der Linken vor neue Herausforderungen stellt; vielleicht die dritte große Veränderung in der Parteigeschichte seit 1990.
"Es ist sozusagen die Partei der ehemaligen DDR-Dienstklasse, die in der Bundesrepublik irgendwie integriert werden musste, und deswegen auch diesen Ost-West-Konflikt sehr stark politisiert hat." Sagt der Politikwissenschaftler Tim Spier von der Universität Siegen über die Linke.
"Sie hat sich dann nach und nach ausgedehnt auf andere Gruppen in Ostdeutschland, die spezifische Ungerechtigkeitserfahrungen gemacht haben, jenseits der Frage, ob man irgendetwas mit der ehemaligen DDR zu tun hatte. Dadurch ist es ihr gelungen, zur Volkspartei in Ostdeutschland zu werden. Und Volkspartei meine ich nicht nur, dass sie 25-30 Prozent der Stimmen dort bekommen kann, sondern dass sie über alle Bevölkerungsgruppen relativ gleichmäßig dort unterstützt wurde."
Stimmenzuwachs in den alten Ländern
Bodo Ramelows rechte Hand, Benjamin Hoff, aber warnt die Linke davor, sich auf diesem Volkspartei-Status im Osten auszuruhen, denn es sei so ... "... dass in ihren Hochburgen, nämlich in Ostdeutschland, die Stimmergebnisse über die Jahre hinweg runtergehen, und wir eher damit konfrontiert sind, dass wir im Osten – von Ausnahmen abgesehen – mit Ergebnissen um die 15-20 Prozent rechnen müssen und nicht mehr stabil über 20 Prozent liegen."
Bundespolitisch werden diese Verluste im Osten derzeit im Westen ausgeglichen. Dort finden die großen Veränderungen der Partei statt, sie gewinnt nicht nur neue Mitglieder, sondern auch zunehmend Wähler – auch wenn die jüngsten Wahlergebnisse auf den ersten Blick nicht alle dafür sprechen.
Bei der Landtagswahl im Saarland reichte es mit Oskar Lafontaine nicht zur Regierungsbeteiligung, mit 12,9 Prozent der Stimmen blieb sie jedoch auf hohem Niveau. In Schleswig-Holstein legte sie dann Anfang Mai deutlich zu, verdoppelte ihr Ergebnis fast auf 3,8 Prozent, der Sprung in den Landtag blieb ihr aber verwehrt.
Und dann: Der Wahlkrimi in Nordrhein-Westfalen. Als der Balken für die Linke sichtbar wurde, brandete im Karl-Liebknecht-Haus am Rosa-Luxemburg-Platz Jubel auf.
Verfrüht, wie sich im Laufe des Abends herausstellte. Am Ende fehlten 8.561 Stimmen zum Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde. Doch Grund, um Trübsal zu blasen, seien die Ergebnisse im Westen wirklich nicht, sagt Benjamin Hoff:
"Wenn wir schauen, in welchen Vierteln die Linke überproportional stark gewonnen hat, welche Zielgruppen sie angesprochen hat... Über Jahre hinweg hat die Linke bei den Jung- und Erstwählern mit am Schlechtesten abgeschnitten – dort holt sie zur Zeit, bei den letzten Landtagswahlen, überdurchschnittliche Ergebnisse, dann werden wir auf geringerem Niveau andere Zielgruppen erreichen, als wir in Ostdeutschland früher auf sehr hohem Niveau quasi die Generation Ostdeutschland erreicht haben."
Bundespolitisch werden diese Verluste im Osten derzeit im Westen ausgeglichen. Dort finden die großen Veränderungen der Partei statt, sie gewinnt nicht nur neue Mitglieder, sondern auch zunehmend Wähler – auch wenn die jüngsten Wahlergebnisse auf den ersten Blick nicht alle dafür sprechen.
Bei der Landtagswahl im Saarland reichte es mit Oskar Lafontaine nicht zur Regierungsbeteiligung, mit 12,9 Prozent der Stimmen blieb sie jedoch auf hohem Niveau. In Schleswig-Holstein legte sie dann Anfang Mai deutlich zu, verdoppelte ihr Ergebnis fast auf 3,8 Prozent, der Sprung in den Landtag blieb ihr aber verwehrt.
Und dann: Der Wahlkrimi in Nordrhein-Westfalen. Als der Balken für die Linke sichtbar wurde, brandete im Karl-Liebknecht-Haus am Rosa-Luxemburg-Platz Jubel auf.
Verfrüht, wie sich im Laufe des Abends herausstellte. Am Ende fehlten 8.561 Stimmen zum Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde. Doch Grund, um Trübsal zu blasen, seien die Ergebnisse im Westen wirklich nicht, sagt Benjamin Hoff:
"Wenn wir schauen, in welchen Vierteln die Linke überproportional stark gewonnen hat, welche Zielgruppen sie angesprochen hat... Über Jahre hinweg hat die Linke bei den Jung- und Erstwählern mit am Schlechtesten abgeschnitten – dort holt sie zur Zeit, bei den letzten Landtagswahlen, überdurchschnittliche Ergebnisse, dann werden wir auf geringerem Niveau andere Zielgruppen erreichen, als wir in Ostdeutschland früher auf sehr hohem Niveau quasi die Generation Ostdeutschland erreicht haben."
In Konkurrenz mit der AfD
Doch in anderen Milieus schwächelt sie. Und das hat auch etwas mit der Konkurrenz zu tun, erklärt Politikwissenschaftler Spier:
"Die 15 Wahlkreise, die über zehn Prozent AfD haben, die liegen alle im Ruhrgebiet. Das sind nicht die schwächsten Gebiete der Linken. Aber da war die Linke bei den vorherigen Wahlen deutlich stärker. Da sieht man, dass da tatsächlich Bewegungen sind. Wir haben es mit unterschiedlichen Milieus zu tun. Das heißt, einerseits so ein linkes, universitäres Milieu, aber dann andererseits auch das soziale Souterrain, das man gewinnen könnte – das war aber bei dieser Landtagswahl definitiv nicht der Fall."
"Die 15 Wahlkreise, die über zehn Prozent AfD haben, die liegen alle im Ruhrgebiet. Das sind nicht die schwächsten Gebiete der Linken. Aber da war die Linke bei den vorherigen Wahlen deutlich stärker. Da sieht man, dass da tatsächlich Bewegungen sind. Wir haben es mit unterschiedlichen Milieus zu tun. Das heißt, einerseits so ein linkes, universitäres Milieu, aber dann andererseits auch das soziale Souterrain, das man gewinnen könnte – das war aber bei dieser Landtagswahl definitiv nicht der Fall."
Die einstige Kohle-und-Stahl-Herzkammer der Sozialdemokraten, das Ruhrgebiet, ist für die Linke derzeit kein Gewinnerland. Zwar schnitt sie auch dort noch überdurchschnittlich ab. Aber noch erfolgreicher war die Alternative für Deutschland. Für den Politikwissenschaftler Spier liegt der Grund dafür weniger im inhaltlichen Angebot der AfD als im Stil der Linkspartei:
"Das Problem ist, dass wir in dieser Bevölkerungsgruppe eher, ich sage dies vorsichtig, autoritäre Werthaltungen haben."
Autoritäre Werthaltungen, das meint die eindeutige Benennung von Schuldigen und leicht verständlicher Lösungen. Doch auch der Linken fehle die klare Sprache des "sozialen Unten", der Perspektivlosen und Benachteiligten, so sagt es Spier. Bevölkerungsgruppen, die ihre Frustration politisch artikuliert sehen wollten.
"Ich sehe im Augenblick auf Bundesebene kaum eine Figur, die diese populistische Ansprache beherrschen würde."
Und auch den ländlichen Raum spricht bei der Linken offenbar kaum jemand an. Dort wird die Partei kaum gewählt – in allen Bundesländern. Stattdessen feiert sie nun Erfolge in den Universitätsstädten.
Diese neuen, jungen Wähler des akademischen Milieus und deren Einstellungen, sie verunsichern viele in der Partei. 58 Prozent der 2968 Neumitglieder des Jahres 2017 sind unter 35 – und erstmals seit 2009 treten wieder deutlich mehr Menschen in die Linke ein, als ihre Mitgliedschaft beenden oder versterben.
Was heißt das für die Zukunft? Steht nach der Ostpartei PDS und der Protestpartei Die Linke nun eine weitere Häutung bevor? Im kommenden Jahr will die Parteiführung sich intensiver mit der Zukunft der Linken befassen.
Doch der Wahlprogrammparteitag in Hannover, er wird immer noch stark von Kompromissen entlang der alten, internen Kampflinien geprägt sein.
Keine Kriege, keine Waffenexporte, keine Interventionen
Da wäre zum Beispiel der Pazifismus, den die Linke öffentlich verteidigt, und doch argumentativ immer eine Lücke lässt: Keine Kriege, keine Waffenexporte, keine Interventionen, so das öffentliche Mantra. Doch wie sie real existierende Konflikte lösen will, lässt die Partei offen. Aber die Befreiung der vom sogenannten Islamischen Staat im Nordwestirak versklavten Jesidinnen, die bejubeln auch Spitzen-Linke wie Katja Kipping öffentlich:
"Es gab eine Kraft, die wirklich dort die Frauen befreit hat, jenseits derjenigen, die selbst fliehen konnten, das ist die YPG."
Die YPG ist eine syrisch-kurdische militärische Organisation. Politisch ist sie mit der PKK in der Türkei verwandt; wie eng, darüber wird gestritten. Waffen erhält sie aus dem Ausland – unter anderem aus den USA. Hält die Linke solche Widersprüche aus?
"Manche Vorstellung davon, wie innerhalb der Linken über das Thema diskutiert wird, von außen betrachtet, ist ein bisschen zu einfach. Und ich sag nach innen: innerhalb meiner Partei wissen wir eigentlich alle, dass mit den alten Antwortsätzen unserer Wahlprogramme von 2013, 2005 und 1998 etc. kommen wir nicht weiter."
Sagt der Linke-Machtpragmatiker Benjamin Hoff. Denn nicht nur seine Partei, auch die Realität habe sich weiterentwickelt:
"Die Zeiten, in denen man vergleichsweise einfach sagen konnte, Auslandseinsätze ja oder nein, sind ja in gewisser Hinsicht auch schon die gute alte Zeit der Außen- und Sicherheitspolitik. Heute stellen sich Fragen von hybrider Kriegsführung und damit auch völlig neuer Herausforderung. Insofern sage ich: angenommen, es würde eine rot-rot-grüne Bundesregierung verhandelt werden, dann würde sich doch die Frage der Auslandseinsätze entlang der Leitplanken einer Irak-Entscheidung von Gerhard Schröder und einer Libyen-Entscheidung von Guido Westerwelle vermutlich rot-rot-grün-konsentiert finden lassen."
"Es gab eine Kraft, die wirklich dort die Frauen befreit hat, jenseits derjenigen, die selbst fliehen konnten, das ist die YPG."
Die YPG ist eine syrisch-kurdische militärische Organisation. Politisch ist sie mit der PKK in der Türkei verwandt; wie eng, darüber wird gestritten. Waffen erhält sie aus dem Ausland – unter anderem aus den USA. Hält die Linke solche Widersprüche aus?
"Manche Vorstellung davon, wie innerhalb der Linken über das Thema diskutiert wird, von außen betrachtet, ist ein bisschen zu einfach. Und ich sag nach innen: innerhalb meiner Partei wissen wir eigentlich alle, dass mit den alten Antwortsätzen unserer Wahlprogramme von 2013, 2005 und 1998 etc. kommen wir nicht weiter."
Sagt der Linke-Machtpragmatiker Benjamin Hoff. Denn nicht nur seine Partei, auch die Realität habe sich weiterentwickelt:
"Die Zeiten, in denen man vergleichsweise einfach sagen konnte, Auslandseinsätze ja oder nein, sind ja in gewisser Hinsicht auch schon die gute alte Zeit der Außen- und Sicherheitspolitik. Heute stellen sich Fragen von hybrider Kriegsführung und damit auch völlig neuer Herausforderung. Insofern sage ich: angenommen, es würde eine rot-rot-grüne Bundesregierung verhandelt werden, dann würde sich doch die Frage der Auslandseinsätze entlang der Leitplanken einer Irak-Entscheidung von Gerhard Schröder und einer Libyen-Entscheidung von Guido Westerwelle vermutlich rot-rot-grün-konsentiert finden lassen."
Einen Wahlkampf führen, der sozial polarisiert
Friede spielt auf dem Parteitag in Hannover eine große Rolle – ob in Überschriften oder als Vorbedingung für etwaige Koalitionen. "Nicht wir werden uns sozial- und friedenspolitisch der SPD anpassen, sondern SPD und Grüne müssen unsere friedenspolitischen Grundsätze akzeptieren", heißt es etwa wörtlich in einem Antrag, unter anderem von der Kommunistischen Plattform, den die über 600 Delegierten beraten werden. Ferner werden sie sich mit der Forderung nach einem Austritt Deutschlands aus der NATO und der Ablehnung aller Auslandseinsätze der Bundeswehr befassen.
Und auch die Frage, wie weit die Linke in ihren Reformforderungen zur Europäischen Union gehen will, wird auf dem Parteitag wohl eher halb beantwortet bleiben. Der Parteivorstand hat vorab versucht, die massive EU-Kritik aus der Partei mit einer positiven linken Vision eines sozialeren Europas zu verbinden. Denn offenen Grundsatzstreit, dreieinhalb Monate vor der Bundestagswahl am 24. September, den wollen eigentlich alle vermeiden. Der Politikwissenschaftler Tim Spier jedenfalls sieht nur eine Möglichkeit, wie die Linke in diesem Wahljahr bestehen kann. Sie müsse:
"Einen Wahlkampf führen, der sozial polarisiert, der versucht, den sozioökonomischen Konflikt in der Gesellschaft tatsächlich zu aktivieren und anzusprechen."
"Einen Wahlkampf führen, der sozial polarisiert, der versucht, den sozioökonomischen Konflikt in der Gesellschaft tatsächlich zu aktivieren und anzusprechen."