Nach Bundestagswahl
Neues Wahlrecht zieht Folgen und politische Diskussionen nach sich

Bei der Bundestagswahl am 23. Februar galt erstmals das reformierte Wahlrecht. Die Zahl der Abgeordneten ist gesunken und manche Gewinner von Direktwahlkreisen sitzen nicht im Bundestag. Die Union will das Wahlrecht erneut ändern.

    Symbolbild. Plenarsaal bei einer Sitzung des Deutschen Bundestags in Berlin am 11.09.2024.
    Das neue Wahlrecht macht die Zweitstimme noch entscheidender. (picture alliance / Flashpic / Jens Krick)
    Rund 82,5 Prozent der knapp 60 Millionen Wahlberechtigten in Deutschland haben bei der vorgezogenen Neuwahl ihre Stimme abgegeben – und ihr Kreuz bei Erst- und Zweitstimme gemacht. Die Erststimme geht an einen der Direktkandidaten im Wahlkreis, die Zweitstimme an eine Partei.
    2023 setzte die Ampelregierung eine Wahlrechtsreform gegen den Willen der Union durch. Seitdem gilt: Um ein errungenes Direktmandat sicher zu erhalten, muss dieses durch das Zweitstimmenergebnis der Partei gedeckt sein. Die Zweitstimme ist durch die Neuregelung wichtiger geworden. Nach der Bundestagswahl fordert die Union erneut, die Wahlrechtsreform der Ampel zu korrigieren.

    Inhalt

    Was sind die wichtigsten Punkte der Wahlrechtsreform von 2023?

    Ein Ziel der von der mittlerweile zerbrochenen Ampel-Koalition beschlossenen Reform vom 17. März 2023 war die Verkleinerung des Bundestags. 630 Abgeordnete – keiner mehr und keine weniger sollen es künftig sein. Der kleinere Bundestag soll so effizienter arbeiten. Zuletzt war die Zahl der Abgeordneten immer mehr gestiegen - nach der Bundestagswahl 2021 auf 735. Mit der Neuregelung sind Überhang- und Ausgleichsmandate weggefallen.
     
    Grafik zum Wahlrecht bei der Bundestagswahl.
    Auf einen Blick: So funktioniert das Wahlrecht bei der Bundestagswahl 2025. (dpa-infografik GmbH / dpa-infografik GmbH)
    Die Aufteilung des Bundesgebietes in 299 Wahlkreise ist unverändert geblieben. Ebenso gibt es weiterhin die Fünf-Prozent-Sperrklausel: Für den Einzug in den Bundestag muss eine Partei mindestens fünf Prozent der Zweitstimmen erringen - oder mindestens drei Direktmandate holen.

    Was bedeutet der Wegfall der Überhangmandate?

    XXL-Größe erreichte der Bundestag bislang durch sogenannte Überhang- und Ausgleichsmandate. Überhangmandate entstanden, wenn eine Partei über die Erststimmen mehr Direktmandate holte als ihr nach ihrem Zweitstimmenergebnis zustanden. Diese Sitze durfte sie behalten. Die anderen Parteien erhielten dafür aber seit der Wahl 2013 weitgehend Ausgleichsmandate. Bei der Bundestagswahl 2021 fielen 34 Überhang- und 104 Ausgleichsmandate an.
    Überhangmandate waren in der Vergangenheit teils politisch höchst brisant, da sie das Wahlergebnis bis 2013 verzerren konnten. Zwei Beispiele: Bei der Bundestagswahl 1994 erzielte die damalige schwarz-gelbe Koalition mit Kanzler Helmut Kohl (CDU) an der Spitze nur eine knappe Mehrheit. Dank Überhangmandaten für die Union fiel die Mehrheit komfortabler aus. Ähnlich war es bei der Bundestagswahl 2002. Damals profitierte die rot-grüne Koalition unter Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) von Überhangmandaten für die Sozialdemokraten.

    Welche Bedeutung hat die Erststimme, welche die Zweitstimme?

    Bisher war es so, dass Kandidierende, die über die Erststimme ein Direktmandat gewonnen hatten, ihren Sitz im Bundestag absolut sicher hatten. Dies ist jetzt nicht mehr so. Der Wegfall der Überhangmandate führt also dazu, dass künftig nicht mehr alle Siegerinnen und Sieger der 299 Direktwahlkreise automatisch in das Parlament einziehen.
    Die Sitzverteilung richtet sich fast ausschließlich nach den Zweitstimmen. Direktmandate zählen also nur, wenn sie durch die Zweitstimmen gedeckt sind. Eine Ausnahme hiervon gilt allerdings für parteiunabhängige Wahlkreisbewerber: Diese erringen einen Sitz unmittelbar aufgrund einer relativen Mehrheit der Erststimmen im Wahlkreis. Das ist bei der Bundestagswahl 2025 allerdings keinem parteiunabhängigen Bewerber gelungen.
    Gewinnt eine Partei in einem Bundesland also mehr Direktmandate über die Erststimme in den Wahlkreisen als ihr Sitze nach den Zweitstimmen zustehen, dann ziehen einfach nicht mehr alle erfolgreichen Direktkandidaten in den Bundestag ein. Das sind die Kandidatinnen und Kandidaten „mit den geringsten Stimmenanteilen landesweit“, wie der Politologe und Wahlrechtsexperte Frank Decker von der Universität Bonn erklärt. Er räumt ein, dass es eigentlich der Intuition widerspreche, dass ein Wahlkreissieger nicht mehr garantiert in den Bundestag kommt. Aber es sei auch eine Frage der Gewöhnung – und es werde selten vorkommen.
    Eine einfache Rechnung: Holt eine Partei in einem Bundesland 50 Direktmandate, nach dem Zweitstimmenergebnis stehen ihr aber nur 48 Mandate zu, dann gehen seit der Bundestagswahl 2025 die beiden Direktkandidaten mit den schlechtesten Erststimmergebnissen leer aus.
    Es bleibe dabei, dass "Zweitstimme die entscheidende Stimme ist", betont der Wahlforscher Thorsten Faas von der Freien Universität Berlin. "Das Verhältnis der Zweitstimmen entscheidet letztlich auch darüber, wie stark die Parteien am Ende im Deutschen Bundestag sind." Durch die Reform komme "aber manche Erststimme vielleicht nicht ganz so zum Zuge" wie es in der Vergangenheit der Fall gewesen sei, sagt Faas.

    Auswirkungen der Neuregelung und politische Debatte 2025

    Die Neuregelung des Wahlrechts beschränkt den Bundestag auf 630 Abgeordnete und bewirkt, was im Vorfeld befürchtet wurde: In 23 der 299 Wahlkreisen haben Kandidatinnen und Kandidaten die meisten Erststimmen gewonnen, ziehen aber nicht in den Bundestag ein. Denn die jeweiligen Parteien der Kandidierenden haben mehr Wahlkreise gewonnen, als durch den Zweitstimmenanteil gedeckt sind. Das betrifft 15 Kandidierende der CDU, vier der AfD, drei der CSU und eine Kandidatin der SPD.
    Die Union versteht das neue Wahlrecht aufgrund des Wegfalls der Überhangmandate als einseitig gegen die Union gerichtet. Allen voran CDU-Chef Friedrich Merz fordert erneut eine Korrektur. Ein Vorschlag aus den Reihen der Union: weniger und größere Wahlkreise. Diesen Ansatz hatte die Union allerdings vor Jahren vehement abgelehnt.  
    Seit Jahren ist das Wahlrecht nicht nur politisch, sondern auch juristisch umstritten. Die Reform der Ampelregierung wurde allerdings vom Bundesverfassungsgericht in großen Teilen als verfassungsrechtlich für einwandfrei erklärt. Das höchste Gericht monierte allerdings die Abschaffung der Grundmandatsklausel, die bei der kommenden Bundestagswahl nicht mehr gelten wird. Politisch wird die Debatte um das Wahlrecht angesichts der Koalitionsverhandlungen von Union und SPD vermutlich weiter gehen. Infolgedessen könnte es sein, dass bei der nächsten Bundestagswahl wieder andere Regeln gelten.

    tei, cp