"Möchtet ihr 'nen Luftballon? Jaa… - 'Nen roten oder 'nen grünen? Ah, ich geb dir zwei, komm."
Ein Wahlkampfstand der SPD in der Mainzer Einkaufszone. Ein nasskalt, windiger Samstag im Februar. Fröstelnd und mit hochgezogenen Schultern verteilt eine Handvoll Genossinnen und Genossen Kulis und Luftballons. Die Umfragewerte der SPD in Rheinland-Pfalz sind so schlecht nicht. Aber die Zahlen sehen auch nicht danach aus, als könnte die rot-grüne Landesregierung nach den Landtagswahlen am 13. März weitermachen. Wahlkämpfer haben die entsprechenden Werte immer im Blick, sagt Christian Lips, Geschäftsführer der SPD Mainz.
"Natürlich ist es für alle Beteiligten einfacher, wenn die Umfragen besser sind, weil dann natürlich die Motivation höher ist, weil dann mehr Leute kommen und weil die Stimmung am Stand einfach besser ist. Aber auch wenn die Umfragen mal nicht so gut sind, dann motiviert das doch einige, dann extra noch mal sich zu engagieren und dann zu versuchen, die Stimmung wieder zu drehen und die restlichen Prozente zu holen."
Lips hat den Eindruck, dass die politische Diskussion immer stärker von den Umfragewerten bestimmt wird. Doris Ahnen ist Finanzministerin von Rheinland-Pfalz und schaut an diesem Samstag am Wahlkampfstand vorbei, Mainz ist ihr Wahlkreis. Sie bestätigt:
"Also, erst einmal kann man ganz nüchtern feststellen: Es gibt mehr Umfragen, das hängt natürlich auch damit zusammen, dass die Medienlandschaft sehr viel differenzierter ist, und die allermeisten eben auch Umfragen veranstalten, das andere ist natürlich, wenn man schöne Ergebnisse hat, fühlt man sich noch mal bestärkt und befeuert, und wenn sie nicht so schön sind, versucht man sich damit auseinanderzusetzen, woran es liegen könnte. Ich glaube, man darf sich nicht abhängig machen von Umfragen, weil dafür ändern sich die Dinge oft auch zu schnell. Aber natürlich kriegt man Hinweise.
Auch die junge SPD-Wahlkämpferin Ayse At lässt sich die Zahlen stetig auf Rechner und Smartphone liefern:
"Klassisch halt - soziale Netzwerke, Facebook -, hat man die bestimmten Sachen abonniert, wo das steht, und dann schaut man sich die auch immer an, um zu gucken, wie die Prognosen so sind." Wahlkämpfer brauchen Zahlen. Politiker brauchen Hinweise, was ihre Wähler wollen könnten. Gerade im Wahlkampf werden zwar unzählige Schultern geklopft und Grillwürstchen gewendet. Doch Politikerinnen und Politiker verlieren dabei dennoch oft das Gefühl dafür, was außerhalb ihrer Wahlkampfbusse passiert. Rainer Brüderle kennt das. Er war Fraktionschef der FDP im Bundestag, bis die FDP bei der Wahl 2013 nicht mehr über die Fünfprozenthürde kam.
"Naja, man sucht ja immer irgendwie einen Halt, um zu überprüfen, ob seine eigene Einschätzung richtig ist. Das ist ja sehr subjektiv, was man für Eindrücke hat im Wahlkampf. Menschen neigen ja dazu, zu einem freundlich zu sein, im Regelfall jedenfalls, und dann meint man, dass das die Stimmung auch im Lande wäre."
Kleine Industrie liefert die Umfragen
Die Medien wiederum gehen davon aus, dass auch die Wähler sich für ihre eigenen Ansichten interessieren. Eine kleine Industrie liefert die Umfragen inzwischen beinahe täglich. Die Forschungsgruppe Wahlen versorgt das ZDF, infratest dimap die ARD und den Deutschlandfunk, Allensbach die "FAZ". Emnid beliefert ProSieben/Sat1, Forsa RTL und den Stern. Zu diesen fünf prominentesten Instituten kommen wenige weitere, die teilweise ebenfalls von politischer Relevanz sind: etwa das GMS-Institut in Hamburg und, relativ neu am Markt, das Erfurter Institut INSA, dessen Zahlen regelmäßig in der "BILD-Zeitung" abgedruckt werden.
"Deshalb sucht man schon nach Informationen durch Umfragen, die einem Hilfe geben, welche Themen wichtig sind, wie man sie ansprechen muss, und wie man dabei steht. Und da die Wahlkämpfe immer hektischer werden, immer kurzfristiger entschieden werden - dann sucht man schon danach, weil in diesem Bereich man relativ stark doch im Nebel stochert."
Die Zahl der Nichtwähler steigt
Aber der Nebel löst sich so bald wohl nicht auf. Die deutschen politischen Verhältnisse sind in Unordnung geraten. Milieus und Parteibindungen sind erodiert. Die Wählerinnen und Wähler entscheiden sich immer kurzfristiger, wen sie wählen wollen. Die Zahl der Nichtwähler wächst. Die Linkspartei nimmt der SPD den Status einer Kanzlerpartei. Und jetzt ist am rechten Rand eine weitere Partei entstanden, die nach Erfolgen in Brandenburg, Sachsen, Thüringen und Hamburg am 13. März in drei weitere Landtage einziehen könnte: die AfD.
Umfragen sollen da helfen, das Feld zu sortieren: für all diejenigen, die Politik machen, verstehen und erklären sollen. Entsprechend hat die Zahl und Bedeutung von Umfragen zugenommen, sagen die Wahlforscher. Michael Kellner ist Bundesgeschäftsführer der Grünen. Von der Grünen-Parteizentrale in Berlin-Mitte aus begleitet er auch die laufenden Landtagswahlkämpfe in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt.
"Was zugenommen hat, nach meinem Eindruck, ist die Berichterstattung über Umfragen, und das dann als Metaerzählung: Wie läuft der Wahlkampf der Parteien. Dass man so ein Fieberthermometer dabei hat, und man kann dann wöchentlich sehen, wo stehen die Parteien, wie stark sind sie, und dafür haben die eine enorme Bedeutung gewonnen."
Die Frage "wer liegt vorn, wer holt auf, wer verliert" ist eine, die sich angenehm, weil sportlich erörtern lässt. Gleichzeitig hat sich der Bedarf nach statistischen Belegen und mathematischen Beweisen in vielen Bereichen erhöht. Michael Kellner:
"Ich glaube, wir haben insgesamt in den letzten 20 Jahren in vielen Bereichen so eine stärkere Frage von Messbarkeit, von neuen Steuerungsmodellen, von Zahlenindikatoren. Das haben Sie im Bildungssystem, das haben Sie in der öffentlichen Verwaltung. Das ist auch in die Politik eingedrungen. Das macht es auch einfacher, so eine Horse-Race-Berichterstattung ist tatsächlich leichter auch erklärbar und leichter an Zahlen festzumachen."
Horse Race, also Pferderennen, ist der Begriff für eine Art der politischen Diskussion, die sich ähnlich wie im englischsprachigen Raum stärker um den Wettkampf dreht als um Inhalte.
Einer, der Jahrzehnte lang tief im Umfragen-Geschäft steckte, ist Wolfgang Gibowski. Er hat 1974 die Forschungsgruppe Wahlen e. V. in Mannheim mit aufgebaut, eine Wahlforschungseinrichtung, die exklusiv das ZDF mit dem sogenannten "Politbarometer" versorgt. Gibowski wechselte später dann in Helmut Kohls Bundespresseamt, ist aber bis heute Mitglied des von ihm mitbegründeten Vereins.
Umfragedaten können Wahlkampf drehen
Er kann beschreiben, wie man mit Umfragedaten einen Wahlkampf drehen kann. So gelang es etwa Mitte der 90er-Jahre, trotz mieser Wirtschaftslage ein letztes Mal mit Helmut Kohl eine Wahl zu gewinnen:
"Es war damals eine Situation, in der die wirtschaftliche Lage sehr angespannt und schwach war. Es war zu Beginn des Wahlkampfes allerdings erkennbar, dass diese Wirtschaftslage im Verlauf des Wahlkampfs sich verbessern könnte. Es gab erste Anzeichen in den Umfragen, dass es hier so leichte Erholungstendenzen gab. Hier haben diejenigen, die damals den Wahlkampf organisierten – ich gehörte damals mit dazu - diese Erkenntnis aufgenommen, Helmut Kohl informiert, sodass er immer so ein bisschen früher als s dann die Umfragen das bestätigten, sagen konnte, er sehe eine Verbesserung, er sehe einen Silberstreif am Horizont. Auf diese Weise wurde Helmut Kohl zu einem – ja: fast Wirtschaftskanzler, der immer sehen konnte, es gibt eine Verbesserung.
Insofern war das keine Erfindung, kein fake, es war durchaus real. Der Vorteil war, dass wir frühzeitig erkannt hatten, dass sich hier eine Verbesserung zeigt, die man auch instrumentell einsetzen kann.
Michael Kellner von den Grünen kann ein aktuelles Beispiel geben, wie Umfragen im Wahlkampf eingesetzt werden:
"Es hilft ein Stück zu entscheiden, wie laut drehe ich Themen. Wir spielen ja alle Themen aber den Lautstärkeregler für bestimmte Themen, drehe ich den hoch oder runter. Bei der Europawahl hatten mir sehr früh unsere Kandidaten signalisiert, dass das Thema TTIP eine extreme Rolle spielt. Und das haben wir tatsächlich mal getestet: Wird das überhaupt verstanden? Da habe ich tatsächlich mal geschaut, wie das ist, und es war damals schon erkennbar, dass es für einen relevanten Teil von jungen Wählerinnen und Wählern ein Thema ist, das sie umtreibt und das auch verstanden wird."
"Wir sind ein Meinungsforschungsinstitut und führen zurzeit eine Befragung zu einigen aktuellen Themen der Bundesrepublik durch. Dazu würde ich gerne mit demjenigen in Ihrem Haushalt sprechen …"
Bundestagswahl 2005 - ein Debakel für die Wahlforschung
Besuch bei Forsa. In einem der schick sanierten Backstein-Industrieblocks im Berliner Osten an der Grenze zwischen Friedrichshain und Lichtenberg sitzt dieses unabhängige Wahlforschungsinstitut.
Es klingt zunächst paradox: Die Bedeutung der Umfragen in der Politik nimmt zwar zu. Gleichzeitig ist aber das Umfragewesen in den vergangenen Jahren als unzuverlässig in die Kritik geraten. Als "Debakel der deutschen Wahlforschung" ging die Bundestagswahl 2005 in die Annalen ein: Damals sahen die Umfragen die CDU/CSU bei über 40 Prozent, tatsächlich wurden es dann aber bloß 35,2 Prozent. Forsa lag damals besonders weit daneben. Der Chef des Instituts Manfred Güllner kann den Fehler im Unterschied zu manch anderen Kollegen aber zugeben:
"Das war bei uns so was wie menschliches Versagen."
Seine SPD-Werte hätten gestimmt, aber:
"Dann habe ich aufgrund der Erfahrung mit den vorhergehenden Landtagswahlen 2005 im Februar in Schleswig-Holstein und im Mai in Nordrhein-Westfalen, wo man Rot-Grün quasi abgewählt hatte, die rot-grünen Koalitionen -, gedacht - aufgrund der schlechten Urteile über die rot-grüne Bundesregierung -, auch bei der Bundestagswahl würde die CDU gewählt - trotz der vielen Vorbehalte, die gegen die Kandidatin Merkel da waren."
Man habe also unterschätzt, dass die Wähler damals Angela Merkel weit weniger mochten als die CDU. Solche Faktoren fließen normalerweise in die Gewichtung der Umfragedaten ein. Das heißt, dass die telefonisch erfragten Angaben statistisch-wissenschaftlich nachbearbeitet werden, damit die Angaben der jeweils mindestens 1.000 befragten Bürgerinnen und Bürger auch tatsächlich repräsentativ sind. Die Gewichtung wiederum hängt auch von politischen Einschätzungen ab, soll heißen: manchmal auch vom Bauchgefühl eines Instituts-Chefs. Güllner sagt:
"Man kann keine Umfrage durchführen ohne ein Minimum an Theorie. Das heißt auch, dass man entsprechende Erfahrungen und bestimmte Annahmen hat. Wenn ich von Verhaltensabsichten auf ein vermutliches Verhalten schließen will, muss ich jede Zahl bearbeiten. Wenn ich zum Beispiel frage, ob man sich ein Auto kaufen will, und mir sagen 34 Prozent 'ja', kann ich nicht zur Autoindustrie gehen und sagen, das ist euer Potenzial. Ich muss dann gucken, wie viel ältere Frauen über 75, die keinen Führerschein haben, wie viel Ärmere, die kein Geld haben, sagen mir, sie würden sich ein Auto kaufen. Also muss ich diese Zahl entsprechend um diese Unschärfen bereinigen, und das ist genau das, was wir auch bei den Wahlzahlen machen müssen."
"Wir führen zurzeit eine Umfrage zu einigen aktuellen Themen in der Bundesrepublik durch …"
Auch im Ausland wurden zuletzt Umfrage-Katastrophen gemeldet.
"Here it is, 10 o'clock. And we say: The Conservatives are the largest party. Quite remarkeable this exit poll …"
Im Vereinten Königreich lagen die Umfragen im vergangenen Mai weit daneben: Statt eines Kopf-an-Kopf-Rennens von Tories und Labour gab es einen glasklaren Sieg der konservativen Tories. Die Umfragebranche sah sich so blamiert, dass sie eine unabhängige Untersuchung in Auftrag gab. Das Ergebnis vor wenigen Wochen: Die Umfragen hatten ein Gewichtungsproblem. Es waren bestimmte Bevölkerungs-Gruppen nicht ausreichend erfasst worden, die eher konservativ wählen: Bei Online-Befragungen etwa kommen die über 70-Jährigen kaum vor. Stattdessen werden dort viele junge Leute befragt - die dann am Wahltag aber mitunter lieber zu Hause bleiben. Im März sollen Konsequenzen aus der britischen Untersuchung veröffentlicht werden.
Als sich das Umfragewesen in Deutschland nach dem Krieg etablierte, wanderten die Befrager noch von Tür zu Tür. Mittlerweile ist die seit Jahrzehnten gepflegte Methode die Telefonbefragung. Erste Institute rufen inzwischen auch Handynummern an, weil immer mehr Menschen kein Festnetz mehr haben - und übrigens auch immer weniger Leute bei solchen Umfragen mitmachen wollen. Alle Kanäle müssen also genutzt werden. Die internetgestützten Befragungen allerdings sind noch sehr neu. Das kleine INSA-Institut in Erfurt etwa arbeitet vorwiegend mit den Daten von "yougov", einem britischen Markt-und Meinungsforschungs-Institut, das Umfrage-Daten hauptsächlich online erhebt.
INSA soll AfD "hochgejazzt" haben
Dass INSA regelmäßig beste Werte für die AfD verkündet und INSA-Chef Hermann Binkert auch eine Nähe zur AfD nachzuweisen ist, hat allerdings für Kritik gesorgt. Es heißt, das Institut habe die AfD "hochgejazzt". Die jüngsten Befragungen vor den anstehenden Landtagswahlen hat INSA nun nicht online, sondern laut eigener Auskunft von "Kooperationspartnern" telefonisch durchführen lassen. Auf tiefer gehende Nachfragen reagiert das Institut allerdings nicht. Forsa-Chef Güllner ist bezüglich der INSA-Arbeitsmethoden misstrauisch, trotzdem sagt er:
"Die Umfragewerte an sich pushen die AfD nicht hoch, nur die Diskussion darüber, dass man dauernd darüber spricht, die AfD würde einen Zulauf haben, und einen stetigen Zulauf - was ja auch nicht stimmt. Nur wenn man sie salonfähig redet, wenn man sagt, das ist eine normale Partei, wenn man nicht sieht, dass das eine Ansammlung von Rechtsradikalen ist - und das zeigen alle unsere Daten -, dann wertet man sie auf, und dann fühlen sich die Ränder in anderen Parteien angezogen und ermuntert, sich zur AfD hin zu bewegen oder sich zu ihr zu bekennen."
Die Diskussion ist nun wiederum vorwiegend Sache der Medien. Diese könnten, so der Vorwurf der Wahlforscher, immer schlechter mit Zahlen umgehen: So würden etwa Schwankungsbreiten, also Unschärfen, zugunsten von Schlagzeilen ignoriert. Aber:
"Es ist richtig, dass eigentlich auch unsere Zunft solche Daten richtig interpretieren muss."
So habe die AfD etwa bei der Europawahl 2014 genauso viele Stimmen bekommen wie bei der Bundestagswahl 2013 – zwei Millionen. Nur wegen der geringeren Wahlbeteiligung habe es höhere Prozentzahlen gegeben.
"Das gehört zur Redlichkeit unserer Zunft, dass man darauf hinweist und nicht sagt, 'die AfD hat Riesen-Zulauf gehabt.'"
Grundsätzlich streitet Güllner - wie die meisten seiner Kollegen - es ab, dass Umfragen die Wähler beeinflussen können. Die Wahlforscher sagen: Die Effekte, die Umfragewerte auf das Wahlverhalten haben, neutralisieren sich. Einige Bürger sind gern auf der Siegerseite und stimmen vielleicht eher für die Partei, die sowieso gut da steht. Andere werden auch von Mitleid gesteuert und denken: Oh, diese Partei braucht dieses Mal meine Stimme. Bandwagon- und Underdog-Effekt nennen das die Experten.
Dagegen steht aber das Beispiel der FDP bei der Bundestagswahl 2013. Die Liberalen scheiterten erstmals an der Fünf-Prozent-Hürde. Rainer Brüderle war damals Spitzenkandidat. Er vermeidet klare Schuldzuweisungen, erklärt aber, Partei und Wähler seien in falscher Sicherheit gewogen worden.
"Da waren alle Umfragen, die ich kannte, FDP über fünf Prozent. Ich habe auch mit einzelnen Institutsleitungen gesprochen, die sagten, also reinkommen tut ihr, ob ihr in die Regierung kommt, wissen wir noch nicht."
Auch die Wähler hätten ja überall gelesen, "drin sind sie eh".
"Ich kann das nicht quantifizieren; ich kann nicht sagen, wir haben die Bundestagswahl damals so schlecht abgeschnitten wegen der Institute. Aber dass sie Wirkung hatten, davon bin ich überzeugt."
Der Mitbegründer der "Forschungsgruppe Wahlen" Wolfgang Gibowski will solcher Kritik vorbeugen. Er fordert, dass die Institute ihre Rohdaten offenlegen. So könnten Fachleute erkennen, auf welche Weise Daten ausgewertet werden und wie groß der Unterschied zwischen Rohdaten und Interpretation ist.
"Ich bin der Meinung, dass die Umfragen so veröffentlicht werden sollten, wie sie erhoben werden. Und dann können ja diejenigen, die die Umfragen erheben, gerne ihre Interpretation dazu geben.
Ich halte es für ehrlicher und angemessener zu zeigen, was man erhoben hat. Gerade bei der Fünf-Prozent-Hürde ist es entscheidend, ist meine Stimme verloren oder nicht verloren.
Das ist schon wichtig, ob ich eine Partei dann durch meine Interpretation über die Fünf-Prozent-Hürde hebe oder nicht."
Thorsten Faas ist Wahlforscher an der Uni Mainz. Natürlich seien Umfragen gerade im Fünf-Prozent-Bereich heikel und fehleranfällig, aber eben dann auch besonders spannend und womöglich relevant, sagt er. Die Bundestagswahl von 2013 sei ein Beispiel dafür, dass …
"… demoskopische Institute nicht nur der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten, sondern dass die Gesellschaft eben auf dieses Spiegelbild auch noch einmal reagieren kann. Und ich glaube tatsächlich, und wir haben dazu auch ein wenig Forschung betrieben, dass die Tatsache, dass die FDP noch am Wahltag selber morgens über der Fünf-Prozent-Hürde gesehen wurde, am Ende dazu geführt hat, dass viele Menschen der FPD keine Stimme geliehen haben. Das heißt also ja, die Demoskopen haben dazu beigetragen, dass es weniger Leihstimmen für die FDP gegeben hat, und damit einen Beitrag dazu geleistet, dass die FDP am Ende nicht im Deutschen Bundestag vertreten war."
Umfragen sind keine Wahrsagerei
Faas hält die unabhängige Aufarbeitung von Umfragen, wie etwa in Großbritannien, für sinnvoll und vorbildlich. Allerdings begünstigt die zum Teil seit Jahrzehnten gepflegte Konkurrenz in der deutschen Meinungsforschungs-Branche solche Transparenz nicht unbedingt. Es gelte zu zeigen, so Faas, dass Umfragen keine Wahrsagerei sind, dass sie begrenzt belastbar sind, dass es kurzfristige Schwankungen geben kann.
"Man kann durchaus vermuten, dass die Fehler zunehmen werden, weil wir zwei Veränderungsprozesse sehen. Einerseits die methodischen Herausforderungen: Wie kann ich überhaupt noch Menschen dafür gewinnen, an solchen Umfragen teilzunehmen. Und auf der politischen Seite sehen wir auch dort mehr Dynamik, mehr Volatilität. Und in der Summe macht es das Umfeld für die Demoskopen schwieriger, und insofern kann man auch erwarten, dass Fehler, ja, durchaus wahrscheinlicher werden. "
Forsa-Chef Manfred Güllner sagt, natürlich müsse man aus Fehlern lernen, aber:
"Es gibt eigentlich kaum eine Wahl, die einer anderen gleicht."
Am Wahlkampfstand in der Mainzer Fußgängerzone steht die junge SPD-Genossin Ayse At. Ihrer Meinung nach können die Zahlen das Verhalten der Menschen sowieso nicht vorhersagen:
"Es gibt halt noch viele Bürger, die nicht wissen, was sie wählen, das sieht man auch bei den Hausbesuchen, die wir auch zurzeit machen, dass halt auch viele noch unsicher sind, und die sind ja noch nicht beachtet da drin. Und deshalb denk ich auch, dass diese Prognosen – also, ob die so sicher sind, kann ich mir nicht sicher sein, weil halt noch viele sich noch sehr unsicher sind."