Gelassen sitzt Wolfgang Schäuble vor der großen blauen Wand im Saal der Bundespressekonferenz in Berlin, neben ihm der österreichische Schriftsteller Robert Menasse. Eine Deutschlandfunk-Podiumsdiskussion Anfang November. Schäuble kommt schnell auf seine Partei, die CDU, zu sprechen, lobt die drei Kandidaten für den Parteivorsitz: Spahn, Kramp-Karrenbauer und Merz - um dann zu ergänzen:
"Es ist ein richtiger neuer Aufbruch in dieser Partei. Jetzt wünschen wir nur noch unseren Freunden von der SPD, dass die es auch noch kriegen."
Wenig später, in dieser Woche nun ein Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Schäuble spricht sich für Friedrich Merz als neuen Vorsitzenden aus. Ihm traue er eine stärkere Profilierung der CDU zu, was im Übrigen, so Schäuble weiter, auch der SPD helfen könne, ihre Schwierigkeiten in den Griff zu bekommen.
Mitgefühl auch aus Bayern
Er ist nicht der einzige Unions-Politiker, der sich in diesen Wochen überaus fürsorglich mit Blick auf die SPD äußert: Nach der Landtagswahl in Bayern und dem für die SPD enttäuschenden Ergebnis ruft etwa Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus zu einem behutsamen Umgang mit den Sozialdemokraten auf, ja, bittet sogar um Rücksichtnahme. Kein Einzelfall: Schon Ende August hatte sich Günther Beckstein, ehemaliger bayerischer Ministerpräsident, im Deutschlandfunk ähnlich besorgt über den Zustand der SPD geäußert:
"Ich bedaure das, offen gestanden. Demokratie lebt von der Auseinandersetzung, und drum wäre ich froh, wenn die SPD wieder endlich auf die Beine käme."
Fürsorge für die SPD oder Ausdruck heimlicher Genugtuung? Oder die Angst davor, sich von dem derzeitigen Niedergang als Volkspartei nicht abkoppeln zu können?
"Wir brauchen, glaube ich, kein Mitleid als Sozialdemokraten", sagt Matthias Miersch, SPD-Bundestagsabgeordneter und Sprecher der Parlamentarischen Linken, der nicht unbedingt als Anhänger des Modells GroKo gilt:
"Wenn diese beiden großen Parteien schlecht arbeiten, dann ist das für beide Parteien nicht zuträglich. Insofern müssen alle Vertreter dieser Parteien großes Interesse daran haben, dass man liefert – im Sinne der Bevölkerung und im Sinne des Koalitionsvertrags."
Gefangen in der GroKo
Die fürsorglichen Äußerungen der CDU-Politiker seien ganz klar Eigeninteresse. Das sagt auch die Politikwissenschaftlerin Christine Landfried, Senior Fellow der Hertie School of Governance in Hamburg. Erst nach der Legislaturperiode – oder auch schon zuvor bei möglichen Neuwahlen – würde das traditionelle Konkurrenzverhältnis wieder eine Rolle spielen, sagt Christine Landfried:
"Das ist ja der Nachteil einer großen Koalition, dass sich die Partner in dieser großen Koalition eben nicht so sehr voneinander unterscheiden können. Sie müssen ja gemeinsam regieren. Und insofern sind sie auch irgendwo gemeinsam gefangen."
Die großen Volksparteien würden derzeit allgemein an Bedeutung verlieren:
"Die Gesellschaft differenziert sich aus, die Wählerinnen und Wähler wählen nicht mehr die gleiche Partei ein ganzes Leben, sie wechseln sehr häufig und wir werden mehr kleinere Parteien haben. Und deshalb verlieren die Volksparteien an Bedeutung, so dass man nicht mehr sagen kann: Wenn die eine Partei verliert, verliert auch die andere. Sondern ganz grundsätzlich: Wir sehen eben hier einen Bedeutungsverlust."
"Die Gesellschaft differenziert sich aus, die Wählerinnen und Wähler wählen nicht mehr die gleiche Partei ein ganzes Leben, sie wechseln sehr häufig und wir werden mehr kleinere Parteien haben. Und deshalb verlieren die Volksparteien an Bedeutung, so dass man nicht mehr sagen kann: Wenn die eine Partei verliert, verliert auch die andere. Sondern ganz grundsätzlich: Wir sehen eben hier einen Bedeutungsverlust."
Friedrich Merz: "Sozialdemokraten natürliche Gegner"
Der Erosionsprozess der Volksparteien – in einigen europäischen Nachbarländern hat er sich bereits vollzogen. Die Konsequenz: Klare Lager mit deutlich unterschiedlichen programmatischen Angeboten – derzeit gibt es das nicht. Daran stört sich auch der ehemalige Unions-Fraktionschef Friedrich Merz, einer der Bewerber um den CDU-Parteivorsitz.
Er spricht sich dafür aus, "dass wir als unseren natürlichen Gegner in der politischen Mitte die Sozialdemokraten in Deutschland ansehen und dass wir mit denen um den richtigen Weg in Deutschland ringen und dass wir genau in dieser politischen Mitte die Auseinandersetzung auch stattfinden lassen."
Friedrich Merz sagt das während der siebten Regionalkonferenz der CDU in einem alten Hafengebäude in der Bremer Überseestadt. Neben Friedrich Merz stehen seine beiden Konkurrenten: Jens Spahn und Annegret Kramp-Karrenbauer. Etwas mehr als 2 ½ Stunden sind vergangen, da wird die Frage gestellt, wie die drei zukünftig mit der AfD umgehen wollen. Friedrich Merz:
"Das ist aus meiner Sicht kein normaler Zustand, dass wir eine solche große Koalition haben und es wäre auch für die politische Kultur in Deutschland gut, wenn wir die politischen Ränder marginalisieren, weil wir in der Lage sind, die einen von links, die anderen eher vom konservativen Spektrum zur politischen Mitte hin so zu integrieren, dass diese beiden Volksparteien Volksparteien bleiben."
Dafür müsse es eine klare Arbeitsteilung geben. Eine Volkspartei an der Regierung, die andere in der Opposition.
Rezept gegen Populisten
Friedrich Merz erntet für diese Aussage großen Zuspruch aus dem Publikum. Dort sitzt auch der Chef der CDU-Niedersachsen, Bernd Althusmann. Er kann aus erster Hand berichten, was möglich ist, wenn sich die Kandidaten der Volksparteien in einem Wahlkampf klar voneinander abgrenzen:
"Genau das ist in Niedersachsen der Fall gewesen. Eine starke Union, eine leicht stärkere SPD."
Bernd Althusmann unterlag bei der niedersächsischen Landtagswahl im Oktober des vergangenen Jahres am Ende seinem Kontrahenten von der SPD, Stephan Weil. Der Wahlkampf sei trotzdem ein positives Beispiel:
"Insofern müssen beide Parteien auch ein Interesse daran haben, dass sie natürlich ausreichend stark sind und das geht insbesondere dann, wenn man sich um seine Hausaufgaben kümmert. Dann überzeugt man auch meistens die Menschen und Populisten haben keine Chance."
Tatsächlich erreichte die AfD bei der Wahl nur 6,2 Prozent. Seitdem regiert in Niedersachsen allerdings auch: eine große Koalition.
Profilsuche
Sozialdemokrat Matthias Miersch kommt wie Bernd Althusmann aus Niedersachsen und hat den Wahlkampf ebenfalls in guter Erinnerung:
"Es zeigte sich zumindest, dass wir zwei klare Lager hatten. Wir hatten eine rot-grüne Landesregierung. Und dann waren zwei Spitzenkandidaten mit Stephan Weil und Bernd Althusmann für die Wähler und Wählerinnen die Stellvertreter für die Blöcke, die dahinter standen. Und es waren in der Tat unterschiedliche Politikansätze. Wenn es wirkliche Alternativen gibt, dann polarisiert das Ganze."
Seine Forderung: Die Volksparteien müssen auch auf Bundesebene jenseits der großen Koalition wieder ein klares Profil entwickeln. Den politischen Markenkern im 21. Jahrhundert neu zu definieren, das empfiehlt auch Politikwissenschaftlerin Christine Landfried. Die Entscheidung über den CDU-Parteivorsitz wird für sie vor dem Hintergrund dieser Diskussion wegweisend sein:
"Mit Sicherheit wird die Interpretation, was heute konservativ ist, mit einem Parteivorsitzenden Friedrich Merz anders sein als mit einer Parteivorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer. Und insofern denke ich, dass die CDU wieder überlegen muss, was heißt eigentlich ‚konservativ‘. Das ändert aber nichts daran, dass sie trotzdem eine andere Situation als Volkspartei in Zukunft vorfinden wird."