An einem Tag im Sommer 1953 ändert sich für Henry G. Molaison alles. Der 27-jährige Epilepsie-Patient ist von einem Moment zum nächsten ein völlig anderer Mensch. Verantwortlich dafür ist eine waghalsige Operation. Der Neurochirurg William Scoville entfernt dem jungen Mann große Teile seines Gehirns.
Immer wieder größere Hirnteile entfernt
Nach der Operation leidet Molaison bis zu seinem Tod 2008 an Gedächtnisverlust. Er kann kaum neue Erinnerungen aufnehmen und wird als Patient H.M. zum begehrten Versuchskaninchen für Generationen von Neuropsychologen. Der Wissenschaftsjournalist Luke Dittrich bezeichnet ihn als das am intensivsten untersuchte Forschungsobjekt aller Zeiten. Der Buchautor ist der Enkel des damaligen Starchirurgen William Scoville. Er will wissen, was seinen Großvater antrieb, als er bei seinen Patienten immer wieder größere Teile des Gehirns entfernte.
Menschen als Versuchskaninchen
Dittrich berichtet aus dem Leben seines Großvaters als Wissenschaftler und Privatmann und gibt faszinierende Einblicke in die Geschichte der Gehirnforschung. In vielen Beispielen vom antiken Ägypten bis zu skrupellosen NS-Medizinern stellt er die Pioniere der Wissenschaft ihren Patienten gegenüber. Oft ist unklar: Handelt es sich um akzeptable Heilversuche oder werden Menschen als Versuchskaninchen missbraucht? Nicht selten werden bis heute größere Risiken in Kauf genommen, wenn es dem wissenschaftlichen Fortschritt dient.
Was manche als Mut von Pionieren bezeichnen, offenbart nicht selten einen Mangel an Verantwortung. Dabei zeigt sich immer wieder: Draufgänger haben in der Medizin nichts verloren.
Luke Dittrich: Der Patient H.M.
Eine wahre Geschichte von Erinnerung und Wahnsinn
Aus dem Amerikanischen von Pascale Mayer
Herbig-Verlag, 464 Seiten, 24,00 Euro
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