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Wahrheitskommission in Südafrika

Die Wahrheits- und Versöhnungskommission gilt weltweit als Erfolgsmodell, um die Bevölkerung nach Bürgerkriegen wieder zu vereinen. Auch in der Elfenbeinküste soll ein solches Gremium eingesetzt werden. In Südafrika hat dieser Versöhnungsprozess gewirkt.

Von Leonie March |
    Vergeltung statt Versöhnung - das forderten viele ANC-Freiheitskämpfer nach dem Ende der Apartheid, ihnen schwebten Gerichtsverfahren nach dem Vorbild der Nürnberger Prozesse vor. Auf der anderen Seite: Die ehemaligen Machthaber des rassistischen Regimes, die sich eine Generalamnestie wünschten. Ein Kompromiss musste gefunden werden, um den friedlichen Übergang zur Demokratie nicht zu gefährden. Nach langen Verhandlungen einigten sich die ehemaligen politischen Gegner auf die Wahrheits- und Versöhnungskommission, die heute als wichtiger Baustein im Fundament des neuen Südafrika gilt. 22.000 Opfer politischer Gewalt reichten ihre Zeugenaussagen bei der Kommission ein, rund zehn Prozent dieser Fälle wurde öffentlich verhandelt. Fernsehen und Hörfunk berichteten live, ein wichtiges Signal nach Jahrzehnten der Zensur. Die Anhörungen fanden in Gemeindehallen und Kirchen im ganzen Land statt, selbst in entlegenen Dörfern.

    Die Bevölkerung wurde mit der geballten Wahrheit über Folter, Verschleppung und Mord während der Apartheid konfrontiert. Ziel war es, die schmerzhafte Vergangenheit aufzuarbeiten statt die Täter nur wegzusperren, erklärt die Psychologin Pumla Gobodo-Madikizela, ehemaliges Mitglied der Kommission.

    "Wenn wir die Möglichkeit der Vergebung erst einmal in Betracht ziehen, dann wird uns klar, dass es nicht darum geht die Täter ungeschoren davon kommen zu lassen. Im Gegenteil: Die Opfer werden gestärkt und gewinnen ihre Würde wieder. Vergebung ist also eine gesunde Alternative zur Verurteilung. Denn durch Bestrafung und Gewalt setzt sich der Teufelskreis von Hass und Wut unvermindert fort."

    Die Opfer kamen aus allen Bevölkerungsschichten: Es waren überwiegend schwarze Südafrikaner, die unter der Staatsgewalt gelitten hatten, aber auch Weiße, deren Angehörige bei Anschlägen der Freiheitskämpfer ums Leben gekommen waren. Auch die Täter, die vor der Wahrheits- und Versöhnungskommission gehört wurden, kamen von beiden Seiten. (Alle sollten fair und gleich behandelt werden. Auf eine Amnestie konnten nur diejenigen hoffen, die drei Bedingungen erfüllten. Sie mussten zur schonungslosen Aufklärung beitragen und ein politisches Motiv nachweisen. Außerdem musste ihrer Tat verhältnismäßig sein. Ein umstrittener Begriff, der schwierige Fragen aufwarf, für die Kommission eine Gratwanderung. Doch die Vorteile des Amnestieprozesses überwogen, betonte der damalige Vorsitzende, der anglikanische Erzbischof Desmond Tutu in einem Fernsehinterview.

    "Durch den Amnestieprozess konnten wir die Wahrheit über das Schicksal jener Menschen herausfinden, die spurlos verschwunden waren. Verschleppt, umgebracht und irgendwo verscharrt. Das wäre sonst sehr viel schwieriger gewesen. Nur dadurch konnten wir die sterblichen Überreste vieler Opfer finden, sie exhumieren und würdevoll begraben. Das gab den Angehörigen die Möglichkeit endlich mit der Vergangenheit abzuschließen."

    Trauer und Versöhnung seien Prozesse, schreibt Desmond Tutu später in einem seiner Bücher. Die Wahrheits- und Versöhnungskommission könne nur als Beginn dieses Prozesses gewertet werden. Denn die Wunden der Vergangenheit heilen nur langsam. Auch 17 Jahre nach den ersten demokratischen Wahlen am Kap brechen sie immer wieder auf. Viele Südafrikaner kritisieren noch heute, dass den eigentlichen Drahtziehern des rassistischen Regimes nie der Prozess gemacht wurde. Nur diejenigen, die Befehle ausführten sagten vor der Kommission aus, hochrangige Politiker, die Spitzen von Militär und Polizei schwiegen. Von einer umfassenden Aufarbeitung der Vergangenheit könne auch keine Rede sein, weil die Wahrheits- und Versöhnungskommission nur für rund zwei Jahre eingesetzt worden war, kritisiert Musa Ndlovu von der Opferorganisation Khulumani Support Group:

    "Die Anhörungen vor der Kommission sind nicht richtig abgeschlossen worden. Nur 22.000 Opfer wurden angehört und zum Teil finanziell entschädigt, dabei war das nur ein Bruchteil der Betroffenen. Wenn man den Prozess heute noch einmal aufnehmen würde, würden sich wesentlich mehr Menschen melden. Damals hatten viele von ihnen noch Angst, heute jedoch fühlen sie sich sicher, und im Gegenteil zu damals kennen sie ihre Rechte.".

    Auch wenn die Wahrheits- und Versöhnungskommission die vollständige Aufarbeitung der Apartheid nicht leisten konnte, ihre Verdienste schmälert das jedoch nicht: Sie hat die Weichen zu einer neuen Menschenrechtskultur in Südafrika gestellt und einen Anstoß zur gesellschaftlichen Versöhnung gegeben. Eine Alternative zur Vergeltung.