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Waldbücher für Kinder
Ich glaub, ich steh im Forst

Der Wald ist nicht nur Sehnsuchtsort der "deutschen Seele", sondern auch Hort unserer Kindheit, Ort für viele Geschichten und für aufgeschürfte Knie. Und Waldbücher sprießen wie Farn aus der Erde. Darunter gibt es einige Fundstücke.

Von Ines Dettmann |
Ein junges europäisches Wildkaninchen
Ein junges europäisches Wildkaninchen (picture alliance / dpa / Hinrich Bäsemann)
"Im Wald, da sind die Räuber" heißt es in einem alten Volkslied, und ob es nun die drei Räuber von Tomi Ungerer sind, die dort räuberten, bis ihnen die Räuberei zum Hals raushing, oder die småländischen Räuber um Ronja Räubertochter mit den Rumpelwichten und den Grausedruden – der Wald ist ein Sehnsuchtsort unserer Kindheit.
Der Wald ist das Ideal von Natur, jetzt im Sommer die kühle Oase, ein Ort zum Abschalten, Verschwinden und sich auf das Wesentliche konzentrieren. Zurück zur Natur zieht es uns – nicht umsonst boomen japanische Wellness-Trends wie das Waldbaden.
Gut ist es, die Natur zu kennen und einschätzen zu können, zu wissen, mit wem man es zu tun hat, sonst scheitert man am Ende wie Chris McCandless in "Into the Wild" auf der ganzen Linie. Nun muss ein Waldspaziergang ja nicht immer direkt in einem Überlebenstraining enden, aber wir wissen doch aus Per Olov Enquists "Großvater und die Wölfe", das die Natur oft unplanbar ist und wir immer gewappnet sein sollten.
Für den Rucksack und fürs Sofa
Nur wenige Kinder wachsen heute noch im direkten Einklang mit der Natur auf, haben Eltern, die alle Bäume, Insekten und Pflanzen erkennen, Singvögel bestimmen oder die Uhrzeit am Sonnenstand ablesen können. Wie macht man also den Waldspaziergang zu einem Erlebnis, ohne im Funkloch mit dauergezücktem Smartphone zu laufen?
Der Wald im Bilder-, Sach- und Kinderbuch ist ein Dauerbrenner: Wie im Wald der Farn sprießen die Waldbücher für Kinder aus dem Boden – und es sind einige wirklich tolle Titel dabei, die Kindern und Eltern Freude, Hilfe und spannende Lektüre sein können. Nicht alle davon sind für den Rucksack gemacht. Viele sollten man auf dem Sofa genießen und dann in den Wald aufbrechen. Um sie mitzunehmen, sind sie einfach zu unhandlich.
Könnte ein Klassiker werden
"Die Natur. Entdecke die Wildnis vor deiner Haustür" ist eine Übersetzung aus dem Portugiesischen von Beltz und Gelberg. Die Autoren haben ein Nachschlagewerk der Superlative entworfen, das nicht nur detailliert erklärt, sondern auch wunderschön und naturgetreu illustriert ist. Es könnte ein Klassiker werden und man merkt, wie sehr die drei Autoren von der Natur fasziniert sind und andere begeistern wollen:
"Man könnte meinen, draußen passiert nichts Spannendes, während man sich im Haus gut unterhalten kann: Dort haben wir Bücher, Fernsehen, Computer, Spielekonsolen und Filme […] Mit diesem Buch willen wir dich nach draußen locken – oder dich zur Not ein bisschen schubsen. Wir hoffen, dass du es nicht nur durchblätterst und dir die Vögel, Blumen und Wolken ansiehst. Denn es ist auch ein Naturführer mit vielen Ideen und praktischen Tipps um deine Umgebung zu erforschen. […] Also: Draußen wartet die große, weite Welt auf dich. Wir wünschen dir viele spannende Abenteuer."
Viele Informationen aus "Die Natur" sind auch schon im Stadtwald nützlich, genauso wie die Informationen, nie allein auf einen längeren Ausflug zu gehen, sich den Weg zu merken und die Natur nicht zu vermüllen.
Für die Kleinsten
"Wenn der Wald erwacht" von Kathrin Wessel und Sandra Grimm ist ein Waldbilderbuch für die Kleinsten aus dem Ravensburger Verlag. Zusammen mit der kleinen Hummel, die früh am Morgen von der Sonne geweckt wird, brummen wir durch den Wald. Auf ihrem Weg trifft die Hummel jede Menge Waldbewohner: unter Tage Kaninchen, Maulwürfe und Dachse; am Waldboden Eidechsen und Mäuse, aber auch Füchse und Kaninchen, Rehe und Wildscheine. Ein liebevoll, unaufgeregtes Pappbilderbuch für die Kleinsten, wunderschön zum Angucken, Anlutschen und Vorlesen. Mattierte Pappe macht das Buch auch haptisch zu einem Erlebnis.
Fabelhafte Kindergeschichte
Tier- und Waldgeschichten für Kinder sind Dauerbrenner. Die Hierarchien der Tiere im Wald sind klar festgelegt. Kinder können viel von ihnen lernen. In Kirsten Boies "Vom Fuchs, der ein Reh sein wollte" ist es ein kleiner Fuchs, der nach einem Waldbrand seine Familie aus den Augen verloren hat und nun ziemlich verloren und klein im Wald sitzt, während die Tiere überlegen, was nun aus ihm werden soll:
"'Aber was soll denn jetzt bloß aus ihm werden?' flüstert Mama Reh. 'Allein kann er doch ganz sicher nicht für sich sorgen, und ihr wisst alle, wie viele Gefahren im Wald und auf den Wiesen lauern! […] Oder wenn der Kleine womöglich einem Zweifüßler begegnet …', flüstert Mama Reh. 'Einem Zweifüßler, Zweifüßler!', sagt Frau Waldmaus erschrocken, und sogar die Frischlinge, die frechen Kinder von Papa Wildschwein, dem Keiler, drängen sich bei diesem Wort erschrocken näher an ihre Eltern. '… oder den Rundfüßlern!', ruft Mama Reh. 'Ihr wisst, bis sich die Blätter an den Bäumen rot färben, sind unsere Kinder ohne uns noch verloren! Wer nimmt sich seiner an? Wir können ihn doch nicht hier liegen lassen!'"
Ob Wölfe, Autos, Menschen es lauern jede Menge Gefahren. Alle Tiere haben Mitleid mit dem Fuchsbaby, aber den Fressfeind ins Nest holen, will sich dann doch keiner von ihnen. Mama Reh ist die einzige, die Mitleid mit dem einsamen Kind hat. Allen Warnungen zum Trotz:
"'Manchmal kann im Leben der Schwache auch dem Starken helfen, Vetter Waldkauz!', sagt sie bestimmt. Und dabei guckt sie das kleine graue Puschelige unter den Heckenrosen an. 'Und dann muss er das auch tun, verstehst du?' Inzwischen hat sich der kleine Fuchs erhoben und läuft auf seinen tapsigen Pfoten langsam hinter Mama Reh und ihren Kindern her. 'Mama?' Aber jetzt hat Glanzfell genug. 'Du heißt gar nicht Mama!', brüllt sie […] Merk dir das mal!'"
Krisen sind vorprogrammiert bei dieser ungleichen Familie. Aber zusammen mit den Rehkindern Glanzfell, Langbein und Vielpunkt entdeckt der kleine Fuchs den Wald ganz neu, lernt viel über Zweifüßler und die gefährliche Straße mit den Autos, , über Gut und Böse und über Freundschaft im Wald. Eine spannende Vorlesegeschichte mit bunten Bildern von Barbara Scholz, die trotz gutem Ende zu Tränen rührt, denn als der kleine Fuchs seine Familie am Schluss findet, heißt es Abschied nehmen von Mama Reh und ihren Kindern.
Ein Wald-Wimmel-Sachbuch
"Das Wunder der Bäume" von Nicolas Davies und Lorna Scobie ist groß wie ein Wimmelbuch, voller Informationen wie ein Sachbuch und mit bunten, realistischen Aquarellen illustriert wie ein Bilderbuch. Bäume gibt es auf der ganzen Welt. Aber Bäume sind nicht nur ein wichtiger Teil des Waldes. Sie sind überall: in der Stadt, im Wald, in Parks oder am Straßenrand. Trotzdem wissen wir doch sehr wenig über sie.
Das "Wunder der Bäume" liefert uns wissenschaftliche Namen, jede Menge Fachwissen und spannende Informationen. Zum Beispiel, dass Palmen keine Bäume sind, obwohl sie so aussehen. Dass Bäume über ihre Wurzeln Netzwerke bilden, in denen sie Nährstoffe teilen und vor Gefahren warnen oder dass eine der ältesten Kiefern der Welt über 5000 Jahre alt ist. Dazu gibt es ein großes Glossar für alle Botaniker und die, die es werden wollen.
Ein Wald-Comic
"Hubert Reeves erklärt uns den Wald" ist ein Comic für die größeren Kinder ab 9 Jahren. Viele Sachinformationen gibt Hubert Reeves, der große alte Gelehrte, einer Schulklasse mit auf den Weg. Warum ist der Wald so wichtig? Was verbindet uns Menschen mit ihm? Was macht sein Ökosystem so einzigartig? Hubert Reeves selbst ist eigentlich keine Comicfigur, sondern ein kanadischer Atom- und Astrophysiker.
Hier wird biologisches Fachwissen schlank und unterhaltsam als Comic verpackt: Die vier Schichten des Waldes, das Fressen-und-gefressen-Werden, die unterschiedlichen Bewaldungsformen der Welt, aber auch Mythen und Sagen. Ein Appell, den Wald besser kennen zu lernen, ihn zu schützen und zu pflegen. Die These von Schweizer Forschern zum Klimawandel lautet, dass die Erderwärmung nur mit Aufforstung gestoppt werden kann. Und mit diesem Appell endet auch der Comic: Pflanzt einen Baum!
Maria Ana Peixe Dias / Rosario, Carvalho: "Die Natur", übersetzt von Claudia Stein. Beltz & Gelberg, 368 Seiten, 22, 95 Euro
Kathrin Wessel / Sandra Grimm: "Wenn der Wald erwacht", Ravensburger, 16 Seiten, 9,99 Euro
Boie, Kirsten: "Vom Fuchs, der ein Reh sein wollte", Oetinger, 192 Seiten, 16 Euro
Nicolas Davies / Lorna Scobie: "Das Wunder der Bäume", übersetzt von Andreas Jäger, 64 Seiten, ars edition, 20 Euro
Hubert Reeves: "Hubert Reeves erklärt uns den Wald", Jacoby & Stuart, 64 Seiten, 18 Euro