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Waldgebiete
Schneisen schaffen Artenarmut

Ein großes internationales Forscherteam hat festgestellt, dass gerade die Zerstückelung von Wäldern, ihre Fragmentierung, einen verheerenden Einfluss auf die Artenvielfalt hat. Der Mensch treibt diesen Prozess massiv voran. Die Aussterberate liegt zurzeit 100 bis 1000 mal höher als normal.

Von Monika Seynsche |
    Regenwald auf Tasmanien
    Es gibt nur zwei große blaue Flecken in der Mitte der Karte, die noch zusammenhängende Wildnisgebiete darstellen. Das sind der Amazonasregenwald in Südamerika und das Kongobecken in Afrika. (dpa / picture alliance / Chad Ehlers)
    Es ist die Arbeit von 35 Jahren auf fünf Kontinenten in verschiedensten Waldlebensräumen, die Nick Haddad von der North Carolina State University und seine Kollegen zusammengefasst haben: Langzeitstudien zur Artenvielfalt und der Veränderung von Wäldern.
    "Wenn ich mir die Karte anschaue, die wir aus diesen Daten erstellt haben, dann sieht man, dass die Wälder der Erde in hohem Maße zerstückelt sind. Es gibt nur zwei große blaue Flecken in der Mitte der Karte, die noch zusammenhängende Wildnisgebiete darstellen. Das sind der Amazonasregenwald in Südamerika und das Kongobecken in Afrika. Andere Regionen, in denen ich unberührte Wildnis erwartet hätte, wie die Borealen Nadelwälder präsentieren sich dagegen als sehr stark von Straßen und Siedlungen zerschnittene Lebensräume, wie fast alle anderen Wälder der Erde auch."
    Veränderung von Mikroklima
    Die Forscher wollten herausfinden, welchen Einfluss die Zerstückelung von Waldgebieten auf die Vielfalt an Pflanzen und Tieren hat. Einer der Co-Autoren der Studie ist Clinton Jenkins vom Institut für Ökologische Forschung in Brasilien.
    "Wenn Sie einen großen, geschlossenen Wald haben und eine Straße mitten hindurch bauen, erzeugen sie Waldränder, an denen mehr Sonnenlicht auf den Boden trifft und an denen der Wind tiefer in den Wald eindringen kann. Dadurch verändert sich das Mikroklima dieser Waldgebiete, Sie bekommen mehr Probleme mit Windbruch und vor allem gelangen Tiere über diese Schneisen in den Wald, die eigentlich dort nicht hingehören - Arten, die ans Grasland oder sogar an den Menschen gewöhnt sind. In Südamerika zum Beispiel haben wir ein großes Problem mit verwilderten Hunden. Sie dringen in die Waldränder ein und töten die Waldbewohner. Solange der Wald geschlossen ist, geschieht das nicht, dann gelangen diese Fremdkörper nicht so tief in den Wald hinein."
    Artenvielfalt um 50 Prozent gesunken
    Anhand von Beispielen wie diesem vermuten Ökologen schon lange, dass die sogenannte Fragmentierung zum Verlust von Arten führt, aber genaue Zahlen fehlten bislang. Jetzt konnten die Forscher zeigen, dass Dreiviertel der weltweiten Waldgebiete weniger als einen Kilometer entfernt von der nächsten Straße, Siedlung oder Ackerfläche liegen. In diesen fragmentierten Lebensräumen sank die Artenvielfalt innerhalb von 20 Jahren um durchschnittlich 50 Prozent. Und damit nicht genug, sagt Nick Haddad.
    "Bislang gingen viele Leute davon aus, dass dieser Artenverlust irgendwann stoppt, man also ein Waldgebiet zerschneidet, dann erst mal einige Jahre lang Tiere verloren gehen, bis sich ein neues Gleichgewicht eingestellt hat. Aber unsere Zahlen zeigen, dass das nicht der Fall ist. Wir haben diese Regionen 20, zum Teil 30 Jahre lang untersucht und wir sehen, dass der Artenverlust immer weitergeht, selbst nach so langer Zeit."
    Nick Haddads Ansicht zufolge sind drei Maßnahmen notwendig, um das zunehmende Artensterben durch die Zerstückelung der Wälder in den Griff zu bekommen. Zum einen müssten die verbliebenen großen zusammenhängenden Waldgebiete unbedingt geschützt werden. Zum zweiten fordert er eine bessere Vernetzung der übrigen Wälder. Wildniskorridore zwischen einzelnen Waldinseln könnten vielen Arten das Überleben erleichtern.
    "Der dritte Ansatz geht weit über unsere Studie hinaus. Wir müssen als Gesellschaft Wege finden, den Druck auf die natürlichen Ökosysteme zu verringern, indem wir zum Beispiel Städte energie- und ressourceneffizienter und unsere landwirtschaftlichen Flächen produktiver gestalten, damit wir auch in Zukunft genug Platz, Rohstoffe und Nahrung für die Menschen auf der Erde bereitstellen können."