Das Schiff, mit dem es raus aufs Meer geht, ist ein Zweimaster - aber es läuft der Motor. Damit kommt man leichter zu den Walen. 30, 40 Meilen vor der Küste. Sie leben in einem riesigen Meeresschutzgebiet, das von den Inseln der Toskana bis zur französischen Hafenstadt Toulon reicht und im Süden bis nach Sardinien. Acht Wal- und Delphinarten gibt es hier. Die Meeresbiologin Sabina Airoldi beobachtet, zählt, erforscht sie schon über 30 Jahren, noch immer klettert sie hoch auf den Mast, damit sie eine bessere Aussicht hat, und noch immer ist die energische Frau begeistert wie am ersten Tag.
"Wir wissen, dass das ein wichtiges Gebiet ist, in dem sie sich ernähren, vor allem im Sommer, aber wo sie sich auch fortpflanzen, wo die Kälber zur Welt kommen. Denn wir haben Mütter mit ihren Kleinen gesehen."
Zahllose Delphine und andere Tauchkünstler
Vor allem der westliche Teil des großen Schutzgebietes ist attraktiv für die großen Tiere. Im Sommer blühen hier kleinste Algen, die haufenweise Zooplankton anziehen. Davon ernähren sich einige Wale und viele Fische wie auf einer großen saftigen Wiese. Zahllose Delphine gibt es. Allein 38.000 Streifendelphine schätzen die Forscher. Immer wieder schießen einige neugierig um unser Boot. Die seltenen Cuvier-Schnabelwale bekommen wir nicht zu sehen, vielleicht auch, weil sie mehr als zwei Stunden unter Wasser bleiben können, bevor sie wieder atmen müssen. Auch die Pottwale zeigen sich nicht, ebenfalls Tauchkünstler, die hier auf der Suche nach Riesenkalmaren auf bis zu 2.000 Meter abtauchen – schon nahe der Küste geht es hier steil nach unten.
"Wir arbeiten mit sehr vielen Universitäten zusammen, denn wir sind seit über 30 Jahren jedes Jahr vier Monate auf dem Meer. Und so konnten wir viele Daten sammeln, und auch Proben, zum Beispiel von der Haut oder der Fettschicht - das hat uns erlaubt, zahlreiche genetische und toxikologische Analysen anzustellen. So haben wir wichtige wissenschaftliche Erkenntnisse gewonnen, um diese Arten zu erhalten."
Forschungsinstitut finanziert sich aus Spenden
Wir, das ist "Tethys", ein privates Forschungsinstitut, auf Spenden angewiesen. An Bord des Schiffes sind immer auch ein paar zahlenden Gäste, Citizen Science, die ein paar Tage bleiben, helfen, die Wale zu identifizieren und zu erforschen.
Lorenzo Bordigiani versucht, den Überblick zu behalten. Er ist noch keine 30. Wenn er nicht auf dem Meer ist, forscht er in Schottland, an der Universität Saint Andrews.
"Hier an Bord stehen wir sehr früh auf. Wir überprüfen die wissenschaftlichen Geräte, dass die Fotoapparate leere Speicherkarten haben, dass der Computer und die Batterien des Hydrophons funktionieren, dass die Software läuft. Und dann bereiten wir das Auslaufen vor. Wir bringen auch verschiedene Formulare in Ordnung, wo wir die Daten eintragen. Hier dreht sich alles um die wissenschaftliche Walforschung."
Lorenzo ist Spezialist für die Klänge der Wale. Dafür lässt er ein so genanntes Hydrophon ins Wasser - ein Mikrofon für Unterwasser an einer 200 Meter langen Leine.
Damit hört man dann zum Beispiel das Klicken der Pottwale, mit dem sie sich wie Fledermäuse per Echolot in den völlig dunklen Tiefen des Meeres orientieren und mit denen sie auch kommunizieren.
"Es ist faszinierend ihren Klängen zuzuhören, denn es ist wissenschaftlich zwar sehr interessant, sie an der Oberfläche zu beobachten, aber so verstehen wir ihre Sprache nicht. Mit der bioakustischen Technologie sind wir in der Lage zu hören, was sie sich sagen."
Plastik im Meer bedroht Wale und Delfine
Der großgewachsene Mann schwärmt schon für Wale, seit er ein Kind ist. Und obwohl es im Mittelmeer zirka 150 Pottwale und bis zu 900 Finnwale gibt - auch hier macht die Umweltverschmutzung den Tieren das Leben schwer.
"Wir haben große Plastikteile, die für viele Walarten eine Bedrohung sind. Wenn sie stranden, finden wir bei der Obduktion oft den Magen und Darm voll davon. Das andere Problem sind Kleinstteile aus Plastik, die seit vielen Jahrzehnten im Meer sind. Die kommen vom Kleinen Krill über kleinere und mittlere Fische in die Nahrungskette - und landen am Ende auch bei den Walen."
Lorenzo Bordigiani analysiert die Klänge, die Wale produzieren, er schießt Fotos, mit denen einzelne Tiere identifiziert werden können, und er misst ihre Atemzyklen. Und dann sehen wir sie: eine Gruppe von Finnwalen. Direkt neben dem Schiff tauchen sie auf, einige sind über 20 Meter lang, ihr Atem klingt gewaltig. Nach dem Blauwal ist das das größte Säugetier der Welt, auch Sabina Airoldi ist jetzt voll in ihrem Element:
"Es gibt noch sehr viel zu entdecken. Es wäre gut, wenn wir noch mehr ozeanographische Daten hätten, um unsere Annahmen zu bestätigen. Wir untersuchen Walarten, aber bei vielen Arten wissen wir fast nichts über ihre Beute. Die Wale sind die Spitze des Eisbergs. Wir müssen nicht nur sie schützen und erhalten, sondern auch die Umwelt, in der sie leben."
Mit der Walforschung ist sie noch lange nicht fertig. Vielleicht sind es aber auch die gigantischen, sanften Tiere, die uns alle faszinieren - und die die Forscher von Tethys immer wieder herauslocken aufs Mittelmeer.