Insbesondere in der Finanzbrache sei der Bereich der kriminellen Handlungen im Wandel, "in dem immer neue Sumpfblüten auftreten", sagte der SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans im Dlf. Wirecard sei eine der üblen Sumpfblüten. "Es ist nicht die Einzige und wird nicht die Letzte sein". Eine hochintelligente Finanzmafia komme mit immer neuen Ideen. "Wir müssen in die Vorderhand kommen, wir müssen Strukturen verändern, damit die nächsten Ideen schwerer oder unmöglich werden. Ich vermute, unmöglich werden sie nie."
Besser Koordination von staatlichen Institutionen
Der Ansatz von Finanzminister Olaf Scholz (SPD) sei richtig, die Entrüstung über Wirecard nun zu nutzen, um Konsequenzen zu ziehen. Das Geschäftsmodell der Wirtschaftsprüfgesellschaften müsse auf den Prüfstand. Es laufe etwas schief, wenn vier große Konzerne über die Bilanzen entschieden und dabei selbst von den Aufträgen der Großkonzerne abhingen.
Doch hier stelle sich die CDU bisher quer, weil sie Veränderungen an Berichtspflichten und Kontrollmöglichkeiten für wirtschaftsschädlich halte. "Darüber müssen wir reden und das müssen wir ändern." Auch müssten die staatlichen Institutionen sich besser koordinieren: "Wenn wir verschiedenste Institutionen haben, die ihr Wissen nicht gebündelt bekommen, dann gibt es – und das habe ich jetzt schon mehrfach gesagt – einen ganz generellen Reformbedarf."
Scholz habe bei Wirecard nicht nur zugeschaut
Beim Wirecard-Skandal verteidigte Walter-Borjans den Finanzminister und Parteikollegen. Weder Olaf Scholz, noch seine Leute im Bundesfinanzministerium hätten bei Wirecard nur zugeschaut. "Sie haben Gespräche geführt." Ein Untersuchungsausschuss zu Wirecard sei das Recht der Opposition. "Wenn sie ihn fordert, wird es einen geben." Es gebe aber auch andere Möglichkeiten, wie die Sondersitzungen des Finanzausschusses "Da ist auch schon viel aufgearbeitet worden." In einem Wahljahr habe ein Untersuchungsausschuss auch andere Ziele als Aufklärung und Konsequenzen. Das wichtigste sei der Blick nach vorne und die Umsetzung des Reformbedarfs.
Das Interview im Wortlaut:
Christine Heuer: Olaf Scholz will nach vorne schauen. Ist der Rückblick auf den Skandal und mögliche politische Versäumnisse jetzt schon beendet?
Norbert Walter-Borjans: Nein, sicher nicht. Aber wir müssen uns über eines im Klaren sein: Wir sind in diesem Bereich der kriminellen Handlungen, insbesondere in der Finanzbranche, in einem Wandel, in dem immer neue Sumpfblüten auftreten. Wirecard ist sicher eine der ganz üblen Sumpfblüten. Es ist nicht die einzige und es wird nicht die letzte sein. Deswegen geht es jetzt darum, aus dem, was man erkennt – und man ist hinterher immer klüger als im Vorhinein -, Konsequenzen zu ziehen, dass nicht nur Wirecard aufgearbeitet wird, sondern dass auch das, was an Erfindungsreichtum in diesem kriminellen Bereich ansteht, in Zukunft ausgeschlossen ist. Das wird nie hundertprozentig gelingen, aber deswegen ist der Blick nach vorne, der Reformbedarf, den jetzt zu erkennen und umzusetzen, das wichtigste.
Heuer: Das ist natürlich auch angenehm für die SPD, nach vorne zu schauen. Dann muss man zum Beispiel in einem Untersuchungsausschuss nicht die Versäumnisse der Vergangenheit klein für klein aufarbeiten.
Walter-Borjans: Es geht nicht darum, dass man Versäumnisse der Vergangenheit nicht aufarbeitet. Aber ich glaube, daraus lernt man ja gerade erst. Was man nur nicht gleichsetzen darf ist, dass das, was man heute weiß, was gestern hätte besser laufen können, dass man nicht unterstellt, das hätte man auch gestern alles im Einzelnen so sehen können. Wir sind hier in einem Bereich: Früher haben Wirtschaftsprüfungsunternehmen Unternehmen geprüft, die haben seit 100 Jahren ein Produkt hergestellt, die sind in der Realwirtschaft tätig. Auch da gab es kriminelle Fälle, aber diese Volatilität, wie das heute so schön heißt, jeden Tag mit einer neuen Geschäftsidee zu kommen, daraufhin ist unsere Prüfungsinstitution, unsere Prüfungsstruktur nicht eingestellt. Wir arbeiten mit dem Besteck von vor vielen Jahren.
Heuer: Aber ein U-Ausschuss würde ja helfen, Klarheit über die Fehler der Vergangenheit zu erreichen, um die Maßnahmen für die Zukunft zu verbessern. Herr Walter-Borjans, sind Sie für oder gegen diesen Untersuchungsausschuss?
Walter-Borjans: Ein Untersuchungsausschuss ist das Recht der Opposition. Wenn sie ihn fordert, wird es einen geben. Es gibt auch viele andere Möglichkeiten wie zum Beispiel jetzt die Sondersitzung des Finanzausschusses. Da ist ja schon viel aufgearbeitet worden. Es gibt möglicherweise weitere.
Man muss einfach wissen: Wir werden jetzt in ein Wahljahr gehen und wir sollten uns alle nichts vormachen. Ein Untersuchungsausschuss, von der Opposition gefordert, hat dann auch andere Ziele als Aufklärung und Konsequenzen. Wenn das zum richtigen Ergebnis führt, habe ich nichts dagegen, aber man muss wissen, der ist dann auch mit der Wahl zu Ende. Ob es die richtige Sache ist, wage ich zu bezweifeln. Aber wenn es ihn geben sollte, ist der zu unterstützen, und dann bitte ich natürlich auch oder habe die Bitte an die Opposition, sich dann nicht mit Wahlkampf zu beschäftigen, sondern mit der Aufklärung und vor allen Dingen mit den Konsequenzen für die Zukunft.
Heuer: Wir bleiben noch bei der Aufklärung. Olaf Scholz sagt, er habe keine Möglichkeit gehabt, mehr zu tun. Der BaFin seien Grenzen gesetzt bei der Kontrolle. War der Bundesfinanzminister zum Zusehen verurteilt?
Walter-Borjans: Das ist ein Problem. Das haben wir zum Teil – ich habe mich da schon vor zwei Jahren in einem Buch mit beschäftigt und ich möchte mal darauf hinweisen, da habe ich eine Menge an Informationsbedarf, Kommunikationsbedarf in den Behörden des Bundes festgestellt. Da gab es sieben Jahre lang vorher einen Bundesfinanzminister Schäuble, mit dem ich mich immer wieder auseinandergesetzt habe. In den zwei Jahren mit Olaf Scholz ist eine Menge angestoßen und schon verändert worden.
Ich finde, zwei Aussagen von gestern, die machen eigentlich deutlich, wo der Unterschied liegt zwischen Herrn Altmaier und Herrn Scholz. Peter Altmaier sagt, wir sollten nichts unternehmen, bevor wir nicht im Einzelnen wissen, was passiert ist, und bevor wir wissen, wo die Probleme im Einzelnen liegen. Olaf Scholz hat klar gesagt, wir müssen die Entrüstung, die jetzt da ist, auch nutzen, um Konsequenzen zu ziehen.
Wenn ich mir überlege, dass wir in der Koalition oft die Auseinandersetzung haben, dass der Bundeswirtschaftsminister jede Form von Kontrolle, jede Form von Aufsichtspflicht, jede Form von Berichtspflicht als Behinderung der Wirtschaft ansieht, dann habe ich Sorgen, dass wir da nicht weiterkommen. Deswegen ist es so wichtig, aufzuarbeiten und wirklich Konsequenzen zu ziehen.
Heuer: Herr Walter-Borjans! Wenn ich die SPD wäre und Olaf Scholz wäre mein Finanzminister, dann würde ich auch sagen, lasst uns nach vorne gucken und Herr Altmaier trägt auch einen Teil der Verantwortung. Trotzdem ist es so, dass Olaf Scholz seit Anfang letzten Jahres wusste, dass die BaFin in alle Richtungen ermittelt bei Wirecard und dass es da nicht nur um Kleinigkeiten geht. Lässt man die Dinge dann einfach so laufen?
Walter-Borjans: Nein, das hat er auch nicht gemacht. Und dass es Mitteilungen gibt über Auffälligkeiten, das ist doch nicht ein Zeichen von Versagen, sondern es ist ein Zeichen, dass die Meldestrukturen funktionieren und auch Konsequenzen daraus gezogen werden. Aber wir müssen uns doch heute bewusst werden, …
Heuer: Herr Scholz sagt selber, die Kontrollmöglichkeiten der BaFin waren nicht stark genug, eigentlich kann er als Finanzminister da nichts tun. Und ich frage Sie – Sie waren ja selber NRW-Finanzminister; Sie haben da durchaus mal zu unkonventionellen Praktiken gegriffen, Stichwort Steuer-CDS -, hätten Sie sich bei Wirecard genauso verhalten wie Olaf Scholz und im Wesentlichen zugeguckt?
Walter-Borjans: Ich habe ihn, soweit ich das jedenfalls konnte, schon immer darin unterstützt, daran zu arbeiten, dass wir diese Strukturen verändern. Die Strukturen sind solche Bremsen. Wir haben immer im Nachhinein mehr gewusst und haben auch Konsequenzen gezogen. Das muss ich auch dem früheren Bundesfinanzminister gegenüber sagen. Wir hatten bei der Finanzkrise die Subprimes, diese faulen Immobilienkredite. Daraus sind Konsequenzen gezogen worden. Es gab Cum-Ex, es gibt umsatzsteuer-Karusselle. Das Schlimme ist doch, dass eine hoch intelligente Finanz-Mafia mit immer neuen Ideen kommt, und deswegen geht es darum, dass man sich zwar anguckt, was haben die vorher gemacht und wie sind wir damit umgegangen, aber wir müssen in die Vorhand kommen. Wir müssen Strukturen verändern, damit jetzt künftig die nächsten Ideen schwerer oder unmöglich werden. Ich vermute, unmöglich werden sie nie. Daran hat Olaf Scholz gearbeitet, daran arbeitet er, da wird er auch meine große Unterstützung haben. Mir würde im Moment, um Ihre Frage zu beantworten, nicht einfallen, dass die Steuer-CD in Sachen Bilanz helfend sein könnte.
Heuer: Ich meinte ja auch nur: Sie sind bereit, mal unkonventionelle Wege zu gehen. Man stellt sich vor, da sitzt ein Bundesfinanzminister, der kriegt mit, es gibt bei einem Vorzeigeunternehmen der Digital-Branche massive Probleme, es könnte etwas Kriminelles dahinter stecken. Da würde man doch eigentlich erwarten, dass der mal versucht, irgendwie Gespräche zu führen, um das aufzuklären, statt zuzugucken und hinterher zu sagen, die BaFin konnte nicht mehr tun als sie getan hat.
Walter-Borjans: Weder Olaf Scholz, noch seine Leute im Bundesfinanzministerium – das hat er ja auch wirklich glaubhaft bestätigt – haben ja nur zugeguckt. Sie haben ja Gespräche geführt.
Heuer: Ja, mit dem Wirecard-Chef zum Beispiel, der Staatssekretär, und zwar neun Monate nach der ersten Information führt der Staatssekretär von Olaf Scholz ein Gespräch mit dem Wirecard-Chef. Ergebnis: Es ändert sich nichts.
Walter-Borjans: Und wir haben riesige Konzerne, die Wirtschaftsprüfung betreiben und immer wieder Testate ausstellen, dass alles in Ordnung ist. Das ist doch genau der Punkt, den Olaf Scholz auch anspricht, dass wir uns angucken müssen, kann es sein, wenn wir heute Großkonzerne der Wirtschaftsprüfung haben, die sogenannten Big Four, die davon abhängen, deren Geschäft davon abhängt, dass der, der geprüft wird, sie auch wieder bestellt im nächsten Jahr. Da läuft doch was schief und das ist doch etwas, was damit zu tun hat, dass - in diesem Fall muss ich es sagen – ein Koalitionspartner Veränderungen an Berichtspflichten, Veränderungen an Kontrollmöglichkeiten für wirtschaftsschädlich hält. Darüber müssen wir reden und das müssen wir ändern. Ansonsten bin ich auch als Minister natürlich irgendwo immer auf Informationen angewiesen, die testiert sind, die bestätigt sind und bei denen ich nicht sagen kann, ihr habt alle gelogen, ihr habt alle versagt. Aber genau in diesem System muss sich etwas ändern.
Heuer: Da sagt nun der Wirtschaftsminister, den Sie damit kritisieren, Peter Altmaier, die Wirtschaftsprüfer sind unabhängig, da hat der Minister keine staatliche Aufsicht drüber. Aber die Regeln, dass die eingehalten und verändert werden, das liegt gar nicht beim Wirtschaftsminister, sondern beim Bundesjustizminister, und den, Herr Walter-Borjans, ich sage es ja nur ungern, stellt seit 2013 ebenfalls die SPD im Chefsessel.
Walter-Borjans: Der Anlass, der Ausgangspunkt dafür, dass sich etwas ändern muss, kommt trotzdem von dem Ministerium, das die Aufsicht führt. Ich will auch gar nicht den schwarzen Peter hin- und herschieben, sondern ich will sagen, es wird sich in dieser Szene mit Wirecard nicht der letzte Eklat ereignet haben, wenn wir nicht die Situation, in der wir jetzt sind, nutzen, diese Strukturen, die wir gerade ansprechen, zu verändern. Wenn vier große Konzerne der Wirtschaftsprüfung entscheiden, was gut und was schlecht ist, die selbst davon abhängig sind, dass sie den Auftrag kriegen, wenn wir verschiedenste Institutionen haben, die ihr Wissen nicht gebündelt bekommen, dann gibt es – und das habe ich jetzt schon mehrfach gesagt – einen ganz generellen Reformbedarf. An den müssen wir ran. Sonst kriegen wir immer wieder weitere Punkte, bei denen wir im Einzelpunkt sagen können, das konnten wir so nicht vorhersehen, die aber erst möglich werden, weil in diesem System Lücken bestehen.
Heuer: Muss BaFin-Chef Felix Hufeld gehen?
Walter-Borjans: Meine Sache ist es jetzt nicht, Köpfe zu fordern, sondern zu sagen, es geht jetzt darum, er hat ganz offenbar ja auch Eigenversäumnisse in dieser Institution eingestanden und die Frage ist, wie bekommt man die ganz offen dargelegt, wie kriegt man die Kommunikation zwischen den einzelnen Behörden und mit den Ministerien verbessert. Da muss man sich angucken, inwiefern die Leute, die das jetzt machen, die richtigen sind, das in der Zukunft auch zu tun.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.