"Liebe Angehörige, ein trauriger Anlass hat uns zusammengebracht. Wir nehmen Abschied."
Birgit Berg ist Hamburgs Friedhofspastorin – zuständig für Trauerbegleitung und Bestattungskultur. Und sie beerdigt fast täglich Verstorbene, deren Angehörige sich keiner Gemeinde zugehörig fühlen.
Birgit Berg kennt die besonderen Situationen: Wenn sich nur wenige Hinterbliebene am Grab versammeln oder sie allein dort steht. Oder wenn Angehörige verzweifelt sind, da sie keinen Ort zum Trauern haben, weil es von dem Verstorbenen nur ein anonymes Urnengrab auf einer Wiese gibt.
"Fürchte dich nicht, denn ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein."
Zitiert die 60-jährige Pfarrerin den Propheten Jesaja aus dem Alten Testament. Alexander Helbach ist Sprecher von Aeternitas, einer Verbraucherinitiative zur Bestattungskultur. Er sagt, Friedhöfe sind eigentlich Erinnerungsorte - für die Hinterbliebenen, aber auch für die Gemeinschaft eines Dorfes oder einer Stadt. Allerdings:
"Wenn der Name der Menschen nirgendwo mehr verzeichnet ist, können sie in Vergessenheit geraten, wobei man auch sagen muss, dass der Bestattungsort sich zunehmend von dem Erinnerungsort trennt bei vielen Menschen."
Gräber werden unwichtiger. Die Trauer wird privatisiert: Mit Fotos oder kleinen Erinnerungsstücken zu Hause – oder – wie dies in Bremen mittlerweile erlaubt ist – mit der Asche des Verstorbenen im heimischen Wohnzimmer. Die Friedhofskultur steht vor einem Wertewandel:
"Traditionen verschwinden, das Leben wird pluraler, die Lebensentwürfe verschiedener, mehr Individualität, und das spiegelt sich dann auch bei der Bestattung wieder."
Der Trend seit vielen Jahren: weniger Särge, mehr Urnen, mehr See- und Waldbestattungen. Allein die Zahl an Beisetzungen in Wäldern hat sich in den vergangenen fünf Jahren mehr als verdoppelt. Die Folgen für die Friedhöfe:
"Die leiden sehr unter diesen Veränderungen, weil dieser Haupttrend zur Feuerbestattung damit einhergeht, dass Gräber kleiner werden, dass Menschen Gräber ohne Grabpflege wünschen, dass Gräber anonym sind, und die Friedhöfe haben das Problem, dass die Einnahmen schwinden, weil diese ganzen Arten von Urnengräbern billiger sind, und dass sie riesige Freiflächen haben, die sie nicht mehr benötigen, die aber Kosten verursachen."
Die Friedhofsgebühren zu erhöhen, sei allerdings kontraproduktiv, da dies Billigangebote noch attraktiver mache. Immer mehr Kommunen subventionieren die Friedhöfe, um sie zu erhalten. Die Verbraucherinitiative Aeternitas geht noch einen Schritt weiter: Sie fordert eine kostenlose Bestattung für alle Bürger – finanziert vom Steuerzahler. So weit will man in Hamburg nicht gehen. Dort befasst sich ein Projekt, das von der Bundesregierung finanziell gefördert wird, mit der Zukunft des Ohlsdorfer Friedhofs, des größten Parkfriedhofs der Welt. Dort wird auch Helmut Schmidt nun seine letzte Ruhestätte finden. Heino Grunert ist in der Hamburger Behörde für Umwelt und Energie zuständig für die Gräberfelder. Eine Idee für ein Überleben der Friedhöfe:
"Ein schönes Beispiel ist das Thema 'Friedhofstourismus': viele Leute, die nach Paris fahren, besuchen den Friedhof Pere Lachaise, wer nach Wien fährt, kennt den Wiener Zentralfriedhof, und Ohlsdorf steht natürlich auch für Hamburg, und wir wollen den Friedhof auch für die Marke Hamburg stärken."
Die Hamburger wollen die letzte Ruhestätte öffnen, wollen für mehr Leben im Totenreich sorgen. Aber in Maßen:
"Es gibt – nur als Beispiel – das Thema Grillen auf Friedhöfen. Das wird in Kopenhagen praktiziert. Das geht, so wie ich die Diskussion mitbekommen habe, in Hamburg aber zu weit. Kulturelle Angebote kann man sich vorstellen, Ausstellungen oder auch bis hin zu Gastronomien."
Zum Beispiel in einer der zwölf Kapellen auf dem Friedhof, die nur noch zum Teil für Trauerfeiern benötigt werden. In Ohlsdorf wie auf anderen Friedhöfen zeigt sich auch der Trend zur Säkularisierung, sagt Alexander Helbach von Aeternitas:
"Christliche Symbole verschwinden, das Kreuz taucht immer seltener auf; es kommen ganz andere Symbole zum Vorschein. Beim Grabmal ist es eher so, dass der Beruf oder das Hobby des Verstorbenen verewigt wird, oder Fotos des Verstorbenen."
Statt des Kreuzes findet man auf manchem Grabstein die Insignien des Fußballvereins, dessen treuer Fan der Verstorbene war. Der Trend geht vom Jenseits zum Diesseits. Nach einer aktuellen Umfrage glaubt ohnehin nur noch ein Drittel der Deutschen an das ewige Leben.
"Niemand stellt heute mehr einen Bronzeengel auf. Es ist sehr viel kleiner und bescheidener. Es ist aber auch so, dass es den Hang zur Exklusivität gibt: es werden neue Mausoleen gebaut in hochwertiger Architektur an herausragenden Plätzen."
Sagt Heino Grunert und fügt hinzu, dass die soziale Kluft auch am Grab größer werde. Während immer mehr Menschen zum Abschied Billiglösungen wollen, suchen einige die Repräsentanz über den Tod hinaus. Ein Trend, der sich fortsetzen wird. Auf der Strecke bleibt – so die Vermutung von Alexander Helbach – der traditionelle Friedhof: das gepflegte Reihengrab mit Stein und Blumenschmuck.
"Ich glaube, Friedhöfe werden noch mehr als heute wie Parks aussehen. Es wird dahin gehen, dass diese Gräberreihen aufgelöst werden und die Gräber eher in gartenartig angelegten Landschaften zu finden sein werden."
Dann vielleicht doch mit Frisbee auf dem Friedhof, einer Kneipe in der Kapelle und mit Grillen neben der Gruft.