"Wandel durch Annäherung war das Ergebnis der Tatsache, dass hier eine Mauer gebaut worden war und wir in West-Berlin festzustellen hatten, dass uns kein Mensch half, die Mauer durchlässig zu machen, geschweige denn, sie wegzubringen."
"Wandel durch Annäherung" hieß das politische Konzept, das den Kern der sozialliberalen Ost- und Entspannungspolitik in der Ära Brandt/Scheel bildete. Erstmals öffentlich vorgetragen hat diese Formel der SPD-Politiker Egon Bahr am 15. Juli 1963 auf einer Tagung des Politischen Clubs der Evangelischen Akademie Tutzing. Als Pressechef des Senats von Berlin beriet er damals Willy Brandt, den Regierenden Bürgermeister. Brandt und Bahr deuteten den Bau der Mauer als Zeichen der Angst und des Selbsterhaltungstriebes des SED-Regimes. In seinem Tutzinger Diskussionsbeitrag, Teil eines Streitgesprächs mit dem konservativen Publizisten Matthias Walden, sagte Bahr:
"Die Frage ist, ob es nicht Möglichkeiten gibt, diese durchaus berechtigten Sorgen dem Regime graduell so weit zu nehmen, dass auch die Auflockerung der Grenzen und der Mauer praktikabel wird, weil das Risiko erträglich ist. Das ist eine Politik, die man auf die Formel bringen könnte: Wandel durch Annäherung."
Im Sommer 1963, zwei Jahre nach dem Mauerbau, war die Zeit reif für ein neues politisches Denken: Der amerikanische Präsident Kennedy hatte gerade seine "Strategie für den Frieden" proklamiert, die die gemeinsamen Sicherheitsinteressen der USA und der Sowjetunion herausstellte. An die Stelle der Konfrontation sollte ein Prozess der friedlichen Veränderung treten. Während die Regierung des CDU-Kanzlers Adenauer weiter den Slogan "Keine Experimente" propagierte, sahen die Sozialdemokraten Brandt und Bahr in Kennedys Strategie die Chance zu einer Lösung der Probleme des geteilten Deutschlands. Doch als Bahrs Tutzinger Referat unter der Überschrift "Wandel durch Annäherung" in die Presse kam, hagelte es Kritik von allen Seiten. Die CDU befürchtete "Aufweichungstendenzen" und verfiel auf die Formulierung "Wandel durch Anbiederung", der Außenminister der DDR sprach von ´"Aggression auf Filzlatschen". Auch Teile der SPD kritisierten Brandts Pressechef. – Egon Bahr:
"Nicht vergessen kann ich natürlich die schöne Formulierung von Herbert Wehner: 'Dies ist bahrer Unsinn!’ Mit ‚h’ geschrieben. Eine gewisse Genugtuung ist natürlich, dass das, was ich dort geschrieben habe, ein paar Jahre später Politik der sozialliberalen Regierung wurde. Es war noch kein Programm, sondern es war die Methodik, dem Osten nicht den Rücken zuzudrehen, sondern sich ihm zuzuwenden."
Das Modell der späteren sozialliberalen Entspannungspolitik wurde im geteilten Berlin Ende 1963 erstmals konkret. Der Senat verhandelte mit der östlichen Seite über Besuchsmöglichkeiten für West-Berliner.
"Dann ist daraus zunächst einmal nichts anderes geworden als Passierscheine – für eine begrenzte Zeit über Weihnachten und Neujahr und mit einem riesigen Andrang."
1,2 Millionen Berliner strömten nach dem Passierscheinabkommen in den Osten der Stadt. Die SED hatte mit 30.000 gerechnet. In den Reihen der CDU aber grassierte weiter die Angst vor diesem "Wandel durch Annäherung". – Egon Bahr beschrieb das so:
"Wenn man einmal mit denen in Ost-Berlin redet, dann begibt man sich auf die schiefe Ebene. Und am Ende wird der Verlust West-Berlins stehen."
Was mit dem Passierscheinabkommen zwischen West- und Ost-Berlin begann, das setzte die sozialliberale Koalition aus SPD und FDP ab 1969 mit ihrer Ostpolitik fort. Gegen den erbitterten Widerstand von CDU/CSU erkannte die Regierung Brandt/Scheel den Status quo in Europa an. In Abkommen mit Moskau, Warschau und Prag verzichtete sie auf Gewalt. Mit der DDR einigte man sich auf einen Grundlagenvertrag. Er führte 1973 zur Aufnahme der beiden deutschen Staaten in die UNO. Nicht ganz zwei Jahrzehnte später stand trotz des Wettrüstens zwischen Ost- und West – Stichwort: "Raketenschach" - am Ende dieses "Wandels durch Annäherung" die Auflösung der Sowjetunion. – Egon Bahr:
"Ich glaube, dass der äußere Druck und die Reduzierung des Gewichts der Ideologie, beide dazu beigetragen haben, dass das Ding gewaltfrei implodierte und plötzlich verschwand."
"Wandel durch Annäherung" hieß das politische Konzept, das den Kern der sozialliberalen Ost- und Entspannungspolitik in der Ära Brandt/Scheel bildete. Erstmals öffentlich vorgetragen hat diese Formel der SPD-Politiker Egon Bahr am 15. Juli 1963 auf einer Tagung des Politischen Clubs der Evangelischen Akademie Tutzing. Als Pressechef des Senats von Berlin beriet er damals Willy Brandt, den Regierenden Bürgermeister. Brandt und Bahr deuteten den Bau der Mauer als Zeichen der Angst und des Selbsterhaltungstriebes des SED-Regimes. In seinem Tutzinger Diskussionsbeitrag, Teil eines Streitgesprächs mit dem konservativen Publizisten Matthias Walden, sagte Bahr:
"Die Frage ist, ob es nicht Möglichkeiten gibt, diese durchaus berechtigten Sorgen dem Regime graduell so weit zu nehmen, dass auch die Auflockerung der Grenzen und der Mauer praktikabel wird, weil das Risiko erträglich ist. Das ist eine Politik, die man auf die Formel bringen könnte: Wandel durch Annäherung."
Im Sommer 1963, zwei Jahre nach dem Mauerbau, war die Zeit reif für ein neues politisches Denken: Der amerikanische Präsident Kennedy hatte gerade seine "Strategie für den Frieden" proklamiert, die die gemeinsamen Sicherheitsinteressen der USA und der Sowjetunion herausstellte. An die Stelle der Konfrontation sollte ein Prozess der friedlichen Veränderung treten. Während die Regierung des CDU-Kanzlers Adenauer weiter den Slogan "Keine Experimente" propagierte, sahen die Sozialdemokraten Brandt und Bahr in Kennedys Strategie die Chance zu einer Lösung der Probleme des geteilten Deutschlands. Doch als Bahrs Tutzinger Referat unter der Überschrift "Wandel durch Annäherung" in die Presse kam, hagelte es Kritik von allen Seiten. Die CDU befürchtete "Aufweichungstendenzen" und verfiel auf die Formulierung "Wandel durch Anbiederung", der Außenminister der DDR sprach von ´"Aggression auf Filzlatschen". Auch Teile der SPD kritisierten Brandts Pressechef. – Egon Bahr:
"Nicht vergessen kann ich natürlich die schöne Formulierung von Herbert Wehner: 'Dies ist bahrer Unsinn!’ Mit ‚h’ geschrieben. Eine gewisse Genugtuung ist natürlich, dass das, was ich dort geschrieben habe, ein paar Jahre später Politik der sozialliberalen Regierung wurde. Es war noch kein Programm, sondern es war die Methodik, dem Osten nicht den Rücken zuzudrehen, sondern sich ihm zuzuwenden."
Das Modell der späteren sozialliberalen Entspannungspolitik wurde im geteilten Berlin Ende 1963 erstmals konkret. Der Senat verhandelte mit der östlichen Seite über Besuchsmöglichkeiten für West-Berliner.
"Dann ist daraus zunächst einmal nichts anderes geworden als Passierscheine – für eine begrenzte Zeit über Weihnachten und Neujahr und mit einem riesigen Andrang."
1,2 Millionen Berliner strömten nach dem Passierscheinabkommen in den Osten der Stadt. Die SED hatte mit 30.000 gerechnet. In den Reihen der CDU aber grassierte weiter die Angst vor diesem "Wandel durch Annäherung". – Egon Bahr beschrieb das so:
"Wenn man einmal mit denen in Ost-Berlin redet, dann begibt man sich auf die schiefe Ebene. Und am Ende wird der Verlust West-Berlins stehen."
Was mit dem Passierscheinabkommen zwischen West- und Ost-Berlin begann, das setzte die sozialliberale Koalition aus SPD und FDP ab 1969 mit ihrer Ostpolitik fort. Gegen den erbitterten Widerstand von CDU/CSU erkannte die Regierung Brandt/Scheel den Status quo in Europa an. In Abkommen mit Moskau, Warschau und Prag verzichtete sie auf Gewalt. Mit der DDR einigte man sich auf einen Grundlagenvertrag. Er führte 1973 zur Aufnahme der beiden deutschen Staaten in die UNO. Nicht ganz zwei Jahrzehnte später stand trotz des Wettrüstens zwischen Ost- und West – Stichwort: "Raketenschach" - am Ende dieses "Wandels durch Annäherung" die Auflösung der Sowjetunion. – Egon Bahr:
"Ich glaube, dass der äußere Druck und die Reduzierung des Gewichts der Ideologie, beide dazu beigetragen haben, dass das Ding gewaltfrei implodierte und plötzlich verschwand."