Auf Fragen zu deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine bekommen die Journalistinnen und Journalisten in dieser Bundespressekonferenz (BPK) keine Antworten. Stattdessen formuliert die Sprecherin des Verteidigungsministeriums einen Appell:
"Ich bitte Sie, sehr genau abzuwägen, wie detailreich und mit welcher Tiefe Sie in Ihren Berichterstattungen arbeiten. Bitte bedenken Sie, dass das unter Umständen zu einem Sicherheitsrisiko werden kann. Nicht nur für unsere Frauen und Männer, die dort unterstützen und helfen wollen, sondern auch im schlimmsten Fall für die Ukraine selbst."
Als Reaktion auf eine weitere Frage zum Vorgehen der Bundeswehr wechselt die Bundespressekonferenz wenige Minuten später in das vertrauliche "Unter drei"-Format. Die Informationen, die die Medienschaffenden jetzt erhalten, dürfen also nicht öffentlich verwendet werden. Das passiert in der BPK selten.
Die feine Linie zwischen Sicherheitsrisiko und öffentlichem Interesse
Der Journalist und Militärexperte Thomas Wiegold hält den Appell für nachvollziehbar. "Es geht darum, keine Berichterstattung zu machen, die Menschenleben gefährdet." Die Abwägung zwischen Sicherheit und transparenter Berichterstattung ist für ihn nicht neu. "Wir Journalisten, die uns mit Verteidigungs- und Sicherheitspolitik befassen, haben schon seit Jahren diese feine Linie im Auge haben müssen: Wo sind Details besser in unserem Hinterkopf aufgehoben und eben nicht in der Öffentlichkeit?" Ein Regelwerk, an dem sich Wiegold dabei orientieren könnte, gibt es nicht.
"Es muss immer eine Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse, der Pressefreiheit und den damit verbundenen Sicherheitsinformationen geben", sagt Dr. Marc Jungblut, Medienwissenschaftler an der Ludwigs-Maximilians-Universität München.
Wenn bei der Abwägung zugunsten der Sicherheit entschieden wird, hieße das nicht, dass die Berichterstattung damit ihre Kritikfähigkeit verliere. "Der Journalismus kann ja durchaus auch ohne explizit zu nennen, welches Gerät wie geliefert wird, die Lieferungen interpretativ einordnen", so Jungblut.
Sicherheit als politischer Vorwand
Es komme selten vor, dass Sicherheitsgründe von der Politik als Vorwand genutzt werden, um Journalistinnen und Journalisten von der Berichterstattung abzuhalten, so Thomas Wiegold. Dennoch ist es wichtig, genau hinzuschauen.
Ein Beispiel: Bei Todesfällen deutscher Soldaten in Afghanistan wurden Reporterinnen und Reporter gebeten, nicht zu berichten bis die Angehörigen informiert waren. Wiegold weiß allerdings von einem Fall, bei dem im Nachhinein bekannt wurde, dass die Berichterstattung zurückgehalten wurde, weil im politischen Raum noch nicht alle informiert waren. "Das hatte also weder Sicherheitsgründe, noch etwas mit den Angehörigen zu tun. Das hatte politische Gründe."
Welchen Einfluss hat die Kriegsberichterstattung?
Welchen Einfluss die Berichterstattung hat, wird unter anderem im Hinblick auf die öffentliche Debatte um die Lieferung polnischer Kampfjets an die Ukraine diskutiert. "Wenn Russland die Information erhält, dass eine bestimmte Anzahl an Kampfflugzeugen kommen soll, dann sind sie natürlich in der Lage ihre Militärstrategie entsprechend anzupassen", so Marc Jungblut. Das wäre ein direkter Effekt der Berichterstattung auf militärische Operationen.
"Wenn Medien mit offenem Visier alles berichten, dann kann es eben sein, dass die Berichte die Sicherheit von militärischen Operationen gefährden. Im schlimmsten Fall das Leben von Soldat*innen." Etwa, wenn die Positionen von Truppenverbänden oder andere sensible Daten geteilt werden.
Zusätzlich gibt es indirekte Effekte, wie den Einfluss auf die Stimmung im Land. "Die Berichterstattung kann die Moral oder den Support für einen Konflikt oder eine Intervention steigern oder senken", so Jungblut.