Nach den Überschwemmungen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz steht das deutsche Katastrophenwarnsystem in der Kritik: Warum wurden die Menschen offenbar nicht ausreichend vor den Fluten gewarnt – und welche Verantwortung trifft den Rundfunk? Die Medienredaktion des Deutschlandfunks hat die veröffentlichten Warnmeldungen ausgewertet und geprüft, ob die zuständigen Sender sie weitergegeben haben.
Im Krisenfall haben Behörden und Institutionen die Möglichkeit, offizielle Warnungen in das Modulare Warnsystem (Mowas) einzugeben. Diese Meldungen werden dann zum Beispiel in Warn-Apps wie Nina angezeigt und an Medien weitergeleitet. Viele von ihnen haben sich in entsprechenden Vereinbarungen verpflichtet, die Warnungen an Hörer und Zuschauerinnen weiterzugeben. Wichtig ist das vor allem dann, wenn Strom- und Handynetze ausfallen und nur das batteriebetriebene Radio als Informationsquelle bleibt.
Wie zeitnah Radio- und Fernsehstationen die Hinweise senden müssen, hängt von der Zuständigkeit und Dringlichkeit ab. Warnungen mit hoher Priorität müssen im Wortlaut wiedergegeben werden, weniger dringende Meldungen können journalistisch bearbeitet werden.
Relevant ist der Zeitraum vom 12. bis 16. Juli, der die ersten Hinweise auf anstehende Regenfälle bis hin zu den größten Schäden abdeckt. Laut Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) wurden in diesen fünf Tagen mehr als hundert Warnmeldungen verschickt, Aktualisierungen und Entwarnungen nicht eingerechnet. [*] 16 dieser Meldungen fielen in die höchste Warnstufe und mussten von den Radiosendern sofort weitergegeben werden.
Zwischen den betroffenen Bundesländern gibt es große Unterschiede: In Nordrhein-Westfalen wurden 105 dieser Warnmeldungen veröffentlicht, in Rheinland-Pfalz waren es nur 16. Das liegt auch daran, dass in NRW viele verschiedene Kommunen betroffen waren. In Rheinland-Pfalz war es neben der Region Trier vor allem eine Kommune, nämlich der Landkreis Ahrweiler. In diesem wurde keine einzige Warnmeldung herausgegeben. Zuständig gewesen wäre der Landkreis, dessen Pressestelle derzeit überlastet ist und sich deswegen auf Dlf-Anfrage noch nicht dazu äußern konnte.
Selbst wenn das Warnsystem, mit dem die Bevölkerung im Katastrophenfall gewarnt wird, technisch funktioniert, hängt es auch davon ab, dass es richtig bedient wird – dementsprechend groß ist die Fehleranfälligkeit.
Der SWR berichtete über Unwetterwarnungen, hätte diese in seinem Programm aber deutlicher herausstellen können. In den Abendnachrichten am 14. Juli - unmittelbar vor der Flutkatastrophe - war noch von eher wenig Regen in der Nacht die Rede, obwohl schon über erste Überflutungen berichtet wurde.
Nachdem im Landkreis Ahrweiler nicht gewarnt wurde, konnte der SWR für dieses Gebiet keine Meldung weitergeben. Aus der Region Trier, wo die Überschwemmungen vergleichsweise glimpflich abliefen, kam hingegen eine Warnmeldung der Stufe 1, die der SWR sofort Wort für Wort hätte durchgeben müssen. Diese Meldung hat den Sender allerdings nicht erreicht, obwohl er eigentlich im Verteiler hätte sein müssen. Stattdessen ging der Meldungstext unter anderem an den Radiosender ENERGY und die Verlagsgruppe Madsack, die beide in Rheinland-Pfalz gar keine Medien haben. Woran das liegt, kann sich der SWR nicht erklären. Der Landkreis Trier, der die Meldung herausgegeben hat, forscht derzeit noch nach Ursachen.
Der WDR erhielt 16 Warnmeldungen, die er sofort hätte durchgeben müssen – was aber nicht geschah. Der Sender analysiere die Abläufe zusammen mit dem BBK und dem NRW-Innenministerium, heißt es beim WDR.
Der Sender hat bereits klargestellt, dass er mehrfach ausdrücklich vor Lebensgefahr in bestimmten Gegenden gewarnt und lokale Warnmeldungen der Behörden verarbeitet habe. Das hätte aber engmaschiger passieren müssen, zum Beispiel mit einer durchgehenden Sondersendung im Radiosender WDR2.
Die Entscheidungen des Senders hatten unmittelbare Folgen: Im Rheinisch-Bergischen Kreis wurden die Sirenen nicht ausgelöst, solange es noch keine Berichterstattung im WDR gab. Man könne Sirenenalarm nur "Hand in Hand mit der Medienberichterstattung auslösen", sagte Birgit Bär, Pressesprecherin der Kreisverwaltung, auf Dlf-Anfrage. Sirenenalarm ohne entsprechende Informationen im Radio hätte zu einer Panik führen können, außerdem wäre womöglich die Leitung 112 überlastet worden.
Das hieße aber nicht, dass man auf Warnungen insgesamt verzichte: Man müsse immer abwägen, welche Warnung sinnvoll sei. In manchen Situationen seien Lautsprecherwagen vor Ort geeigneter als das Modulare Warnsystem. Der WDR hat angekündigt, eine Taskforce einzurichten, die ein digitales Angebot für Unwetterlagen entwickeln soll, um Menschen besser zu erreichen.
Beim Deutschlandfunk kamen keine Warnmeldungen der höchsten Kategorie an. Überregionale Unwetterwarnungen für mehrere Bundesländer haben den Sender erreicht und wurden gemeldet.
Mit den Behörden vereinbart ist, dass der Deutschlandfunk als bundesweites Programm außerdem Meldungen sendet, die mehr als ein Bundesland betreffen. Darauf ist das Warnsystem aber offenbar nicht eingerichtet: Tatsächlich waren bei der Flutkatastrophe zwei Länder betroffen, allerdings gab es keine landesweiten Warnmeldungen, sondern nur regionale und lokale – diese kamen beim Deutschlandfunk nicht an. Somit hätten die Absender der Warnmeldungen selbst entscheiden müssen, den Deutschlandfunk als Adressaten in den Verteiler aufzunehmen. Dieses System soll nun möglicherweise überarbeitet werden.
[*] Anmerkung der Redaktion: Wir haben an dieser Stelle die Anzahl der Warnmeldungen korrigiert.