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Warnstreik bei der Bahn
"Die Leute, die nichts dafür können, leiden am meisten"

Chaos, gestrandete Reisende, leere Schienen: Der Warnstreik der Bahn am Montag war für viele Fahrgäste eine Zerreißprobe. Detlef Neuß, Bundesvorsitzender des Fahrgastverbandes Pro Bahn, forderte für die Zukunft spezielle Streikfahrpläne. Kunden dürften nicht zu Leidtragenden werden.

Detlef Neuß im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Passagiere laufen mit Koffern auf einem Bahnsteig vor einem ICE in Richtung einer geöffneten Zugtür.
    Die Deutsche Bahn ist für viele Reisende aktuell ein Ärgernis (dpa picture alliance/ Imagebroker)
    Tobias Armbrüster: Es war ein chaotischer Start in die Woche, gestern Morgen für Hunderttausende von Bahnpendlern in ganz Deutschland. Nichts ging mehr an vielen Bahnhöfen im ganzen Land. Es war der Warnstreik der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG. Die Gewerkschaft will für ihre Mitglieder unter anderem mehr Geld und weitere Optionen bei der Gestaltung der Arbeitszeit. Heute sollen die Verhandlungen mit der Bahn nun weitergehen. Viele Bahnfahrer können bei diesem Arbeitskampf mitten in der Weihnachtszeit allerdings nur den Kopf schütteln.
    Am Telefon ist jetzt Detlef Neuß, Bundesvorsitzender des Fahrgastverbandes Pro Bahn. Das ist eine Organisation, die sich immer als Interessenvertreter der Bahnfahrer in Deutschland versteht. Schönen guten Morgen, Herr Neuß.
    Detlef Neuß: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
    Armbrüster: Herr Neuß, wer trägt die Schuld für diesen Chaos-Montag gestern?
    Neuß: Die Schuld für den Chaos-Montag trägt natürlich auch die EVG, und das liegt daran, dass über das Ausmaß und die örtlichen Schwerpunkte der Streiks vorher nichts bekanntgegeben wurde. Da fordern wir im Interesse der Fahrgäste, dass mindestens 48 Stunden vorher bekanntgegeben wird, wo gestreikt wird, damit die Fahrgäste informiert werden können, vor allen Dingen rechtzeitig informiert werden können.
    Ich habe gestern erlebt, dass Fahrgäste in Bahnhöfen gestrandet sind und dann stundenlang nicht weiterkamen, und da muss unbedingt für die Fahrgäste vorher klargestellt werden, fährt mein Zug oder fährt er nicht, damit man gegebenenfalls auf andere Verkehrsmittel beziehungsweise auf den eigenen PKW umsteigen kann, soweit vorhanden.
    Bahnreisende vor einer Anzeigetafel
    Die Beeinträchtigungen für die Reisenden dauerten bis weit in den Montagnachmittag (dpa /Martin Schutt)
    Armbrüster: Aber muss das nicht immer ein Merkmal, ein Wesensmerkmal eines Warnstreiks sein, dass er überraschend kommt?
    Neuß: Das ist völlig richtig, wenn man von normalen Verhältnissen ausgeht. Allerdings muss man gerade im öffentlichen Personenverkehr doch bedenken, dass davon viele Menschen betroffen sind, die eigentlich nicht Tarifpartner sind. Für den Tarifpartner kommt der Streik unvorbereitet. Das ist natürlich gut für die Gewerkschaft.
    Aber man muss ja auch berücksichtigen, dass die meisten Bahnkunden, die montagsmorgens unterwegs sind, selber Arbeitnehmer sind und eigentlich mit dem Streitpunkt der Tarifverhandlungen nichts zu tun haben. Da sehe ich dann doch bei beiden Tarifpartnern, nicht nur bei der Gewerkschaft, sondern auch bei der DB AG die Verpflichtung, hier die Verhältnismäßigkeit der Mittel nicht zu sehr überzustrapazieren.
    "In anderen Ländern gibt es Streikfahrpläne"
    Armbrüster: Können wir dann sagen, die Bahnfahrer werden gerade in Geiselhaft genommen?
    Neuß: Geiselhaft ist ein sehr harter Ausdruck, aber es trifft in gewisser Weise schon zu. Denn gerade die Leute, die eigentlich überhaupt nichts dafür können, dass die Verhältnisse so sind, wie sie sind, die leiden dann am meisten unter einem solchen Streik.
    Armbrüster: Fordern Sie Gesetzesänderungen? Muss die Politik darauf reagieren und etwas an diesen Warnstreiks gerade bei der Deutschen Bahn ändern, gerade wenn es um solche Auswirkungen geht? Muss da etwas gesetzlich neu geregelt werden?
    Neuß: Ob das gesetzlich neu geregelt werden muss, lasse ich mal dahingestellt. Unsere Forderung lautet, dass jetzt nach dem Streik sich beide Parteien mal an einen Runden Tisch setzen und darüber nachdenken, ob man nicht Streikfahrpläne entwirft, auf die sich der Kunde dann auch vorher verlassen kann. Das gibt es in anderen Ländern.
    Dann wird begrenzt gefahren. Wo zum Beispiel sonst acht Züge fahren, fahren dann nur drei. Aber auf die kann sich dann der Bahnkunde auch verlassen. Da weiß er dann schon vorher, wenn er in den Streikfahrplan schaut, an diesen und diesen und diesen Punkten fährt mein Zug, und der fährt dann auch. Dann kommt er zumindest weiter, wenn er keine Gelegenheit hat, auf ein anderes Verkehrsmittel umzusteigen.
    Ein Ersatzfahrplan hängt im Hauptbahnhof in Magdeburg aus.
    Ein Ersatzfahrplan hängt im Hauptbahnhof in Magdeburg während eines Warnstreiks aus. (picture alliance / dpa / Jens Wolf)
    Armbrüster: Aber wenn sich die Fahrgäste so gut darauf einstellen können auf solche Streiks, besteht dann nicht die Gefahr, dass diese Arbeitskämpfe viel länger dauern, weil sie dann auch vielleicht niemandem so richtig toll weh tun?
    Neuß: Wenn Sie acht Züge gerade in Ballungszentren auf drei reduzieren, dann schmerzt das noch genug. Da viele Fahrgäste ja auch Zeitfahrkarten innerhalb der Verkehrsverbünde haben und dann eigentlich kein Geld zurückfordern können für die ausgefallene Fahrt, schmerzt es den Arbeitgeber natürlich dann in diesem Fall auch weniger. Da sage ich dann doch, für die Bahn müssen andere Bedingungen gelten als für einen Streik beispielsweise in der Metallindustrie oder in der chemischen Industrie.
    "Bei der Infrastruktur der Bahn da muss einiges getan werden"
    Armbrüster: Herr Neuß, jetzt sind wir hier mitten im Dezember 2018, mitten in der Weihnachtszeit, und schon wieder, sagen jetzt viele, ist so ein Arbeitskampf bei der Deutschen Bahn. Viele erinnern sich noch an den letzten, wo es auch immer wieder zu Warnstreiks gekommen ist, wo man auch immer wieder wochenlang gewartet hat, oder sagen wir mal stundenlang - wochenlang auf das Ende des Arbeitskampfs. Was sagt uns das alles? Was sagen uns diese Arbeitskämpfe, diese Uneinigkeit? Was sagt uns das über den Zustand der Bahn in Deutschland?
    Neuß: Die Arbeitsbedingungen bei der Bahn sind nicht optimal. Es fehlen 2.400 Lokführer und die haben dann natürlich auch entsprechend Schichten und bauen gut Stunden auf, die sie nicht abfeiern können. Die Schichten liegen teilweise ungünstig und deshalb streiken die natürlich auch und möchten gerne, dass das verbessert wird. Das ist der eine Punkt, der Personalmangel bei der Bahn.
    Aber es werden ja auch sehr viele Verspätungen eingefahren und auch durch die Verspätungen entstehen Überstunden. Bei der Infrastruktur der Bahn, beim Zustand der Schienen, der Weichen, da muss einiges getan werden. Da ist vieles in den letzten Jahrzehnten, auch bedingt durch mangelnde Finanzierung durch die Politik, zu Schaden gefahren worden, was jetzt dringend repariert werden muss. Da sind wir doch sehr im Hintertreffen gegenüber dem Straßenbau.
    Armbrüster: Herr Neuß, da kann sich die Eisenbahnergewerkschaft EVG auf Ihre Unterstützung verlassen, auf die Unterstützung von Pro Bahn?
    Detlef Neuß, Bundesvorsitzender des Fahrgastverbandes Pro Bahn.
    Detlef Neuß, Bundesvorsitzender des Fahrgastverbandes Pro Bahn. (privat)
    Neuß: Was die Forderungen des Streiks angeht, auf jeden Fall. Was uns nicht so gut gefallen hat ist das Ausmaß dieses ersten Warnstreiks. Da sind wir schon der Meinung, das hätte man auch eine Nummer kleiner machen können. Denn in diesem Umfang gleich beim ersten Warnstreik fast die ganze Bundesrepublik lahmzulegen, ob das jetzt unbedingt nötig war, da üben wir dann doch Kritik und sagen, etwas weniger Streik hätte auch gereicht.
    "Die Deutsche Bahn ist an diesem Personalproblem auch selbst schuld"
    Armbrüster: Jetzt sagt die Deutsche Bahn natürlich, wir sind der Gewerkschaft schon extrem entgegengekommen. Da sind nur noch ganz wenige Punkte, die eigentlich noch ausverhandelt werden müssen. Da ist nur noch ganz wenig Spielraum zwischen den Forderungen der Gewerkschaft und den Zugeständnissen der Bahn. Außerdem sagt die Bahn natürlich, es ist für uns als Bahn sehr schwierig, im aktuellen Arbeitsmarkt überhaupt noch neue Leute zu finden für diese ganzen Jobs, die da gebraucht werden. Können Sie die Nöte der Bahn auch verstehen?
    Neuß: Nicht ganz, denn die Bahn hat in den letzten Jahrzehnten meiner Meinung nach viel zu wenig ausgebildet. An diesem Mangel ist die DB AG keineswegs unschuldig. Es gibt andere Eisenbahn-Verkehrsunternehmen, die bilden deutlich mehr aus und haben auch diese Personalprobleme nicht. Von daher ist die DB AG auch an diesem Arbeitsmarkt-Mangel selbst schuld. Das ist der eine Punkt und der andere Punkt ist: Die EVG klagt da völlig zurecht über schlechte Arbeitsbedingungen.
    Armbrüster: … sagt hier bei uns im Deutschlandfunk Detlef Neuß, der Bundesvorsitzende des Fahrgastverbandes Pro Bahn. Wir haben mit ihm über die Warnstreiks der EVG gestern Morgen gesprochen. Vielen Dank, Herr Neuß, für Ihre Zeit.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.