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Warschau
Gegen die Regierung und für Europa

In Warschau versammelten sich heute mehr als 200.000 Demonstranten, um gegen die nationalkonservative Regierung zu demonstrieren. Unter dem Motto "Wir sind und bleiben Europa" protestierten sie vor allem gegen umstrittene Gesetzesvorhaben - unter anderem schränkte die regierende PIS-Partei die Arbeit des Verfassungsgerichts ein.

Von Florian Kellermann |
    "Wir sind und bleiben Europa": Teilnehmer der Demonstration in Warschau
    "Wir sind und bleiben Europa": Teilnehmer der Demonstration in Warschau (Tomasz Gzell, dpa picture-alliance)
    So viele Menschen haben in den jüngeren Jahren nur Papstbesuche in die Warschauer Innenstadt gebracht. Die Veranstalter haben die angepeilte Marke von 100.000 Teilnehmern an der Demonstration nach Schätzungen deutlich übertroffen. Die Warschauer Stadtverwaltung, die allerdings in den Händen der rechtsliberalen Oppositionspartei "Bürgerplattform" ist, spricht sogar von 240.000 Demonstranten.
    Die Rentnerin Danuta Sochacka ist extra aus Bytom in Oberschlesien angereist:
    "Die Stimmung ist euphorisch. Sehr viele Leute aus Schlesien sind gekommen. Die Autobahnen und die Züge waren voll. Die Regierung tut ja nichts, um den Verfassungsstreit beizulegen. Wir erwarten, dass sie sich endlich an die Regeln hält, die in unserem Staat nun einmal gelten."
    "Die PiS-Regierung kehrt Europa den Rücken zu"
    In den Augen der Demonstranten verletze die Regierung immer wieder die polnische Verfassung, führe das Land zunehmend autoritär - und entferne Polen damit immer weiter von den Grundwerten der Europäischen Union. Das Motto der Demonstration lautete deshalb: "Wir sind und bleiben in Europa".
    Der drei Kilometer lange Demonstrationszug führte aus dem südlichen Stadtzentrum, wo die meisten Ministerien beheimatet sind, Richtung Norden zum Pilsudzki-Platz. Dort findet am Abend ein Konzert statt. Organisatoren sind verschiedene Oppositionsparteien und die Bürgerbewegung KOD, ausgeschrieben: Komitee zur Verteidigung der Demokratie. Sie ist in den vergangenen Monaten stetig angewachsen. Kamila Gasiuk-Pihowicz von der liberalen Partei "Modernes Polen" sagte bei der Kundgebung zu Beginn der Demonstration:
    "Wir glauben, dass der Platz Polens im Herzen der Europäischen Union ist. Die PiS-Regierung kehrt Europa den Rücken zu. Ein Reisepass aus dem Land, in dem die PiS regiert, wird uns bald nur noch dazu berechtigen, dass wir in langen Schlangen an den Grenzen der Europäischen Union warten dürfen."
    "Wir Polen sind schon immer in Europa"
    Der PiS-Vorsitzende Jaroslaw Kaczynski gab sich unbeeindruckt vom heutigen Protest. In einem Online-Chat mit Internet-Nutzern erklärte er am Nachmittag, die Demonstranten seien schlicht unzufrieden mit dem Ausgang der Parlamentswahl im vergangenen Jahr. Eine Gefahr für die Demokratie stelle seine Regierung nicht dar. In einem heute veröffentlichen Werbespot, offenbar bereits zugeschnitten auf die Demonstration, sagt Kaczynski:
    "Wir Polen sind schon immer in Europa. Seit 1.050 Jahren beteiligen wir uns daran, eine christliche Zivilisation auf unserem Kontinent aufzubauen. Heute ist Europa in der Krise - wegen einer Flüchtlingswelle. Diejenigen, die heute marschieren, angeblich zur Verteidigung der Demokratie, wollten uns die obligatorische Aufnahme von Immigranten aufzwingen."
    Wie schon in den vergangenen Monaten, so machte Kaczynski auch heute klar: Von ihrem Kurs werde sich die rechtskonservative Regierung durch Demonstrationen nicht abbringen lassen. Derzeit arbeitet sie an einem Gesetz, das unter anderem die Ernennung von Richtern an ordentlichen Gerichten neu regeln soll. Auch hier soll die Exekutive, in diesem Fall der Präsident, mehr Einfluss bekommen als bisher.